1. Startseite
  2. >
  3. Lokal
  4. >
  5. Nachrichten Havelberg
  6. >
  7. Heimatgeschichte: Ein Schulhaus wird 100

Das Königliche Lehrerseminar wurde im Oktober 1912 oberhalb des Weinberges in Havelberg eingeweiht. Von Helmut K. J. Knopf Heimatgeschichte: Ein Schulhaus wird 100

29.09.2012, 01:15

Am 1. Oktober 1912 wurde in Havelberg das Königliche Lehrerseminar eingeweiht. Es verkörperte für lange Zeit preußische Schulgeschichte. Viele Tausende Schüler haben an diesem Schulstandort in den vergangenen 100 Jahren auf immer hohem Niveau ihre Schulausbildung erhalten.

Havelberg l Die Stadt Havelberg blickt in diesem Jubiläumsjahr auf eine erfolgreiche Schulgeschichte und Bildungstradition zurück. Das Wirken besonderer Stadtbehörden, wie zum Beispiel die "Städtische-Schul-Deputation", sorgte für ein hohes Bildungsniveau an den Schulen. Die Erfolge dieser Arbeit sind über die Jahrhunderte hinweg belegt und zeigen sich im akademischen Erfolg Havelberger Schulabgänger. Viele bekannte Wissenschaftler und Gelehrte ließen sich hier aufzählen.

Deshalb freut es die Havelberger besonders, dass rechtzeitig zum hundertjährigen Bestehen der Havelberger Oberschule, besser unter dem alten Namen "Pestalozzi-Oberschule" bekannt, eine umfassende Sanierung erfolgt. Der ursprünglich nicht vorhandene Anbau auf der Hofseite ist schon fertiggestellt und übergeben. Am historischen Haupthaus wird noch gebaut. Diese Schule, bewusst auf einer exponierten Lage am steil abfallenden Havelhang errichtet, hat in ihrer Geschichte einige grundlegende Änderungen erfahren. Ursprünglich wurde sie aber mit einer anderen Bestimmung errichtet.

Davon soll hier auch nur die Rede sein, denn eine ursprünglich geplante Schulchronik zum 100. Geburtstag musste wegen der Fülle der vorhandenen Unterlagen recht schnell aufgegeben werden. Dieses Quellenmaterial müsste einmal sorgfältig aufgearbeitet werden, um dann in komplexer Form der Bedeutung dieses Schulstandortes Rechnung tragen zu können.

Denkschrift von 1891 bringt Verhandlungen in Gang

Die Havelberger Stadtväter waren schon immer darauf bedacht, aus Havelberg eine Schulstadt zu machen. Es gab bereits die Domschule, die Mädchen- und Knabenschule, eine Stadtschule, eine Präparanden-Anstalt, ein Gymnasium und noch einige Fortbildungsanstalten für das Handwerk. Das war den Behörden der Stadt aber noch nicht genug, und so versuchte man in den sechziger Jahren des 19. Jahrhunderts, ein Lehrer-Seminar nach Havelberg zu bekommen. Es fanden diesbezüglich Verhandlungen mit dem Provinzial-Schul-Kollegium statt, das aber erst einmal die Stadt Kyritz bevorzugte.

Die Zeit war reif, als im Jahre 1891 von den zuständigen Stellen anerkannt wurde, dass in der Provinz Brandenburg noch zwei Lehrerseminare erforderlich wären. Die Stadt bewarb sich zum zweiten Mal um ein Lehrer-Seminar. Dazu reichte der Havelberger Magistrat beim Minister eine Denkschrift ein.

Diese bewirkte, dass am 23. Mai 1891 eine Kommission des Königlichen Provinzial-Schul-Kollegiums in Havelberg eintraf, um mit der Stadt in dieser Angelegenheit zu verhandeln. Von den angebotenen Grundstücken wurde von den Herren Kommissaren ganz besonders der in der Nähe des Domes zum Domänenfiskus gehörige 1,14 Hektar große Dechaneigarten ins Auge gefasst. Die weiteren Verhandlungen führten zu dem Resultat, dass die städtischen Behörden durch Beschluss vom selben Tag mit der Königlichen Schul-Behörde einen Kontrakt abschlossen.

Stadtväter werben mit kunsthistorischen Bauten

Die Stadt verpflichtete sich, einen ein Hektar großen Platz nach Wahl der Behörde zur Disposition zu stellen und nach einem von der Schulbehörde vorgeschriebenen Bauplan die Seminargebäude auf ihre Kosten zu bauen. Als Gegenleistung verpflichtete sich die Behörde, die Baukosten bis zur Höhe von 100000 Mark mit vier Prozent zu verzinsen und hierfür auf den Zeitraum von 15 Jahren Garantie zu leisten.

Vorerst aber wurde in Prenzlau der Bau eines Seminars vorgezogen, wieder einmal musste Havelberg fürs Erste zurückstehen. Diesmal aber wurde der Stadt berechtigte Hoffnung gemacht, dass, sobald die Mittel von Seiten des Staates bereitgestellt werden können, das mögliche weitere Seminar in Havelberg errichtet wird. Die Stadt hatte sich verpflichtet, den Dechaneigarten vom Domänenfiskus anzukaufen und der Schulbehörde zur Disposition zu stellen. Die Stadt argumentierte, dass der Bau in Havelberg viel billiger würde als an jedem anderen Orte. So sollte der Bau einer Aula wegfallen, da man hierfür den Paradiessaal des Domes nutzen wollte.

Man warb weiter damit, dass die Seminaristen auf der weit und breit berühmten Orgel im Dom Orgelunterricht nehmen könnten. Ins Feld geführt wurde auch die schöne Fernsicht vom Dechaneigarten auf die Havel mit ihrem regen Schiffsverkehr und mit den daran liegenden Schiffbauereien, Ziegeleien und so weiter.

Außerdem wurde argumentiert, dass man den Gesichtskreis dieser jungen Leute erweitern wolle. Es sollte die stille Abgeschlossenheit des engeren Dombezirks mit seinen geschichtlich und kunsthistorisch wichtigen Bauten unwillkürlich "zu stiller Einkehr und ernsten Gedanken anregen".

Statt Dechaneigarten ein Platz oberhalb des Weinberges

Unbedingt wollte man die Vorzüge eines Neubaus in Havelberg der zuständigen Schulbehörde als Entscheider darlegen. Man zählte auch die vielen Bauwerke und geschichtsträchtigen Orte in der Umgebung auf, von denen man sich einen hohen "vaterländischen und erzieherischen Wert" versprach.

Auf jeden Fall müssen die Bemühungen des Havelberger Magistrats Erfolg gehabt haben, denn etwa im Jahre 1910 begann der Bau des Lehrerseminars. Schriftliche Unterlagen beweisen, dass es vom Perleberger Königlichen Hochbauamt schon am 24. März 1908 eine erste Stellungnahme zum Bau mit konkreten Kostenvoranschlägen gab. Nochmals am 7. Juli 1908 gab es einen revidierten Vorentwurf mit einer neuen Kostenschätzung.

Der Standort war aber nicht der ursprünglich angedachte Dechaneigarten, sondern es wurde ein ebenso schöner Platz am Steilhang oberhalb der Weinbergstraße ausgesucht.

Zweimal der gleiche Name für die Fußbodenleger

Bei vielen Schreiben zum Baugeschehen war besonders auffällig, dass von Seiten der Schulbehörde immer wieder die Rede davon war, dass der Bau von der Inselstadt aus, und überhaupt schon von Weitem gesehen werden muss. Man wollte damit wahrscheinlich die Bedeutung dieses Baus hervorheben, so wie man früher immer darauf achtete, dass die Sichtachsen einen schönen Anblick darboten. Leider spielt dies heute kaum noch eine Rolle, was sehr zu bedauern ist.

Bei der Ausführung des Seminargebäudes wirkten viele Firmen aus Havelberg mit. Interessant beim Lesen der Ausschreibungen der Handwerker: Eine Havelberger Firma Mewes bekamfür das Legen des Fußbodens den Zuschlag. Genau 100 Jahre später hat wieder eine Firma Mewes aus Havelberg den Zuschlag für das Fußbodenlegen erhalten. Auf Nachfrage bei Gerhard Mewes, dem Gründer der jetzigen Firma Mewes, war aber zu erfahren, dass es keine familiäre Verbindung gibt.

Der Bau selbst ist zum Teil im Jugendstil ausgeführt. So kann man in der Denkmalliste Nr. 73 für die Aula nachlesen, dass "...an der Stuckdecke und den Glasmalereien der großen Aulafenster die Stilelemente des Jugendstils erkennbar sind". Weiter heißt es dort, "... hier bestechen vor allem die neuartige Ornamentik und die flächenhaft-dekorative Verbindung der einzelnen Motive". Dass es hauptsächlich der Jugendstil ist, der das Gebäude prägt, erkennt man leicht an den Ausführungen der zwei hohen Eingangstüren auf der Straßenseite. Trotzdem sind an der Außenfassade aber auch neubarocke Stilelemente erkennbar.

Diese Elemente fertigte der Havelberger Steinmetzmeister Fritz Krege an. Er hat damit der Fassade ihr prächtiges Aussehen verliehen und sich selbst ein bleibendes Denkmal gesetzt.

Viele Gäste, viele Reden und am Abend ein Fackelzug

Als Bauleiter war der Regierungsbaumeister Student eingesetzt. Er fertigte auch mehrere grundlegende Zeichnungen an, die noch heute vorhanden sind. In etwa zwei Jahren war der Bau vollendet und konnte somit am 1. Oktober 1912 feierlich eingeweiht werden.

Am 5. Oktober 1912 wurde über die Einweihung des neuen Seminars in der Presse berichtet: "Durch die stärkste Anspannung aller Kräfte, vor allem durch die Bemühungen der Bauleitung, ist es möglich geworden, die Ausstattung der Innenräume des Seminarneubaus so weit zu fördern, dass das Haus am Dienstag feierlich eingeweiht werden konnte. Die Feier verlief in allen ihren Teilen außerordentlich erhebend und eindrucksvoll. Zur Feier fanden sich nachmittags um 12.45 Uhr in der Anstalt eine große Anzahl von Ehrengästen und Gästen ein. Es erschienen u. a. der Vertreter der Unterrichtsverwaltung, der Geheime Regierungsrat Dr. Ostermann, Generalsuperintendent Köhler, Landrat von Graevenitz und Baurat Süßapfel. Der Magistrat war vollzählig zur Stelle. Auch die Stadtverordnetenversammlung war durch ihren Vorsteher und zehn Mitglieder vertreten. Anwesend waren weiter die Spitzen sämtlicher hiesiger Behörden und die Leiter aller städtischen Schulanstalten mit ihren Lehrerkollegien.

In großer Zahl waren auch ehemalige Schüler der Anstalt erschienen, um ihrer Ausbildungsstätte warme Anhänglichkeit zu bezeugen. (Anm. des Autors: Schon vor Fertigstellung des neuen Seminars im Jahre 1912 war ein Lehrer-Seminar provisorisch im Dombereich untergebracht. Die Lebensbeschreibung eines Seminaristen beweist das.) Die Feier begann mit der Übergabe der Schlüssel.

Eine bronzene Bismarck-Büste vom Bürgermeister

Wegen des schlechten Wetters fand dieser Teil der Feier nicht vor der Anstalt, sondern im Gebäude selbst statt. Nun folgte die Feier in der Aula. Nach gemeinsamem Gesang, nach dem zu Herzen sprechenden Weihegebet des Generalsuperintendenten und dem wohlgelungenen Vortrag des 23. Psalms von Schubert durch den Seminarchor eröffnete der Vertreter des Provinzial-Schulkollegiums, Geheimrat Dr. Ostermann, die Reihe der Ansprachen. Es sprachen weiterhin Superintendent Hörnlein, Seminardirektor Rathke aus Kyritz, Realschuldirektor Dr. Anderson (Havelberg).

Bürgermeister Kürten übergab der jungen Anstalt ein wertvolles Stadtgeschenk, eine bronzene Bismarck- büste. (Die Schule lag in der Bismarckstraße.) Dann hielt der Direktor Kohlbach die Festrede. Mit gemeinsamem Choralgesange schloss die Feier. Dann folgte eine Besichtigung der Anstalt, die in ihrer zweckmäßigen schönen Anlage und Ausstattung die lebhafteste Bewunderung weckte. Von 15 Uhr ab fand im Hotel Magdeburg (jetzt Sparkasse) ein Festessen statt. Auch hierbei war die Beteiligung recht stark, so dass ein Grüppchen sich im stillen Winkel zum festlichen Schmause niederlassen musste, da die Tafel sich als zu kurz erwies.

Da sich in den Abendstunden der Sturm etwas legte und der Regen ganz aufhörte, konnte um 19 Uhr der Fackelzug der Schüler der Anstalt auch noch stattfinden. Danach versammelten sich die Schüler der Anstalt mit ihren Lehrern noch zu einem frohen Festessen im Hotel Kronprinz. Damit endete die schöne eindrucksvolle Einweihungsfeier, die allen Beteiligten in dauernder, liebender Erinnerung bleiben wird." (wird fortgesetzt)

Das Prignitz-Museum hat zum Jubiläum eine Sonderausstellung mit dem Titel "Ein Schulhaus wird Hundert - Preußische Schulgeschichte und Königliches Lehrerseminar in Havelberg" vorbereitet. Die Eröffnung ist am heutigen Sonnabend um 15 Uhr.