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Geschichten zwischen Elbe und Fläming Bormann - Modezar aus Schönebeck

Von Massimo Rogacki 17.04.2015, 01:28

Schönebeck l Die alte Werkbank in seiner Garage erinnert den heute 80-Jährigen Horst Fahlberg noch an den Beruf, den er einst erlernt hat. 1954 arbeitet der 19-Jährige als Möbeltischler im Möbelhaus Held in Schönebeck. An einem verregneten Tag im Herbst steht plötzlich der neue Speditionslaster auf dem engen Hof. Ein zwei Tonnen schweres blechernes Ungetüm. Das Problem: Niemand traut sich, hinter dem Lenkrad des "Garant" Platz zu nehmen. "Da hab` ich mir ein Herz gefasst und habe mich in den Wagen gesetzt", erinnert sich Fahlberg. Der Moment, der sein Leben verändert. Zu diesem Zeitpunkt kann Fahlberg noch nicht wissen, dass er bald als Privatfahrer Heinz Bormanns in halb Europa, von Finnland über die Sowjetunion bis nach Jugoslawien und in den Libanon, unterwegs sein wird. "100 000 Kilometer bin ich, meist zusammen mit Bormann, im Jahr gefahren", sagt Fahlberg.

Mit einigen wenigen gewieften Rangiermanövern parkt der 19-Jährige den "Garant". Unbemerkt von der staunenden Menge der Kollegen verfolgt einer ganz genau, was auf dem Hof passiert: Heinz Bormann. Der 36-Jährige sitzt mit seinem Betrieb, den Bekleidungswerkstätten Heinz Bormann, in den oberen Etagen des Möbelhauses. Das tolldreiste Auftreten Horst Fahlbergs imponiert ihm. "Sie kommen später mal in mein Büro," instruiert er den jungen Mann.

Ein visionärer Modeunternehmer

Der 19-Jährige Horst ahnt Schlimmes: "Ich dachte, ich bekomme eins auf die Mütze", erinnert sich der Schönebecker. Doch es kommt anders: Bormann stellt seine Produktion seit einiger Zeit erfolgreich auf Damenmoden um, er hat eine Vision, will eines Tages in Berlin seine Kollektionen präsentieren. Und: Er benötigt einen Fahrer. Horst Fahlberg hat mit seinem selbstbewussten Einsatz die beste Bewerbung abgegeben. "Wollen Sie bei mir anfangen?" fragt Bormann. Fahlberg zögert keine Sekunde, zum Abschied aus der Tischlerei fragt er die Chefin, ob er die Werkbank, an der er gelernt hat, mitnehmen kann. Sie erlaubt es.

"Heute arbeite ich noch immer gern damit", sagt der 80-Jährige. Agil und fit wirkt er, macht im Blaumann wie auch im feinen Zwirn eine gute Figur. Er erscheint stolz, wenn er über 30 Berufsjahre spricht. Als Fahrer des Mode-Moguls hat er die Entwicklung des in Schönebeck gegründeten Unternehmens wie kein Zweiter begleitet. Angefangen hatte alles freilich vor seiner Zeit - vor ziemlich genau 70 Jahren.

Die eindrucksvolle Bormann-Geschichte kann man in einer vom Modehaus herausgegebenen Broschüre zum 25-jährigen Jubiläum rekapitulieren: Im Juli 1945 gründet der 27-jährige Kriegsrückkehrer Heinz Bormann ein kleines Konfektionsgeschäft in Schönebeck. Er will einen umfassenden Neuanfang. Elf Nähmaschinen rettet er gemeinsam mit seiner Frau Johanna aus den Trümmern der nahezu vollständig zerstörten Uniformenfabrik Hartung, der Produktionsstätte seiner Schwiegereltern. Schon damals legt er außergewöhnliches Improvisationsgeschick an den Tag. Die erste Zentrale Bormanns wird das Möbelhaus Held in Bad Salzelmen. An exklusive Damenmode ist in dieser Anfangszeit noch nicht zu denken. Zunächst werden Uniformen im Auftrag der sowjetischen Armee ausgebessert. Im Juni 1953 stellt Bormann seine Produktion auf Damenmode um. Von staatlicher Seite wird der Entschluss gestützt. Nach dem Volksaufstand 1953 soll die Bevölkerung mit hochwertigen Konsumgütern "ruhiggestellt" werden. Zu dieser Zeit finden auch die ersten Modenschauen in Schönebeck statt. Die überwiegend weiblichen Zuschauer sind begeistert. Damenmode wie jene von Bormann haben die Frauen bis dahin so noch nicht gesehen.

1956 beschließt Bormann, seinen Betrieb in eine Kommanditgesellschaft umzuwandeln. Doch er will die Kontrolle behalten. Und er behält sie - mit 51 Prozent. Die staatliche Kapitalbeteiligung bietet für Bormann die Chance, seinen Betrieb auszubauen. 1956 gründet der Unternehmer in seiner Privatvilla in Magdeburg eine Zweigstelle. Drei Jahre später verlagert er seinen Betrieb komplett in die Landeshauptstadt. Schönebeck spielt nun keine Rolle mehr.

Sonderzug für Näherinnen

Einzigartig bis heute: Die Näherinnen, die überwiegend aus der kleineren Elbestadt kommen, lässt Bormann jeden Tag per Sonderzug nach Magdeburg und wieder zurückfahren.

Eine der Näherinnen war Helga Sarg. Die Rentnerin beginnt ihre Lehre allerdings erst 1964, von der Sonderbehandlung für die Bormannbelegschaft habe sie natürlich gehört, erzählt die 67-Jährige. Sie tritt noch heute bei von der Feuerwache Magdeburg veranstalteten Modenschauen in Bormann-Kleidung auf. "Herr Bormann war ein fairer Chef, ich kenne keine Näherin, die ihn nicht gemocht hat", schwelgt die Rentnerin in Erinnerungen. Auch Horst Fahlberg erinnert sich: "Wer einen Vorschuss für eine Anschaffung brauchte, der stieß bei Bormann nie auf taube Ohren. Er war wirklich ein feiner Kerl."

Auch der Erfolg blieb Bormann hold. 1954 präsentierte der Unternehmer seine Modelle erstmals in Westdeutschland, die deutsche Presse bezeichnete ihn ehrfürchtig als den "Roten Dior des Ostens". Die bundesdeutschen Importeure werden auf Bormann-Mode aufmerksam. Schon bald produziert Bormann für Versandhäuser, beispielsweise Neckermann, Quelle und Horten. "Das durften die Käufer natürlich nicht wissen", sagt Horst Fahlberg. Die Etiketts von Bormann seien vorher entfernt worden. Belgien, Österreich und die Niederlande heißen weitere Exportländer. Nach Österreich chauffierte Fahlberg seinen Chef besonders gern. Mit dem Junior-Chef von Svarowsky habe man die eine oder andere Flasche Champagner geköpft, erinnert sich Fahlberg. 1971 erwirtschaftet Bormann einen Umsatz von 11 Millionen Mark. Er beschäftigt mittlerweile 400 Mitarbeiter. Keines der Modeunternehmen in den sozialistischen Ländern besitzt eine ähnliche Strahlkraft.

Auch in den Führungsetagen der DDR findet die Mode von "Ulbrichts tapferem Schneiderlein", so einer der Spitznamen Bormanns, Anklang. Funktionäre schauen gern vorbei, um ihren Ehefrauen ein neues ausgefallenes Kleid zu spendieren. Bei den Anproben mit Lotte und Walter Ulbricht sitzt Horst Fahlberg im Vorzimmer. Das Privileg, immer "dabei" gewesen zu sein, bescherte dem Chauffeur illustre Begegnungen: Mit Karl-Eduard von Schnitzler, dem Moderator des "Schwarzen Kanals", (Fahlberg: "Wirkte gar nicht so unsympathisch") oder mit Playboy Gunter Sachs ("Bekam eine ziemliche Abfuhr, als er mal eines unserer Mannequins belästigte").

Von den Funktionären habe sich Bormann im Übrigen nie instrumentalisieren lassen, so Fahlberg. In der NDPD, jedoch gänzlich unpolitisch, sei er gewesen. "In irgendeiner Partei musste man ja sein", sagt Fahlberg. Mitglied im Zentralvorstand der Gesellschaft für Deutsch-Sowjetische Freundschaft war Bormann, um die Vertriebskontakte gen Sowjetunion zu pflegen, so die Überzeugung Fahlbergs.

Planvorgaben nicht erfüllt

Anfang der 1970er-Jahre nimmt der Druck auf Bormann zu. Sein Unternehmen erfüllt die Planvorgaben nicht. Die Philosophie "Klasse statt Masse" erscheint unzeitgemäß. Von staatlicher Seite wird er nun zunehmend bedrängt, eine höhere Produktivität anzustreben.

Dem einen oder anderen ist sein vermeintlich westlicher Lebensstil ein Dorn im Auge, Millionär sei er, sagen viele. Mit seiner Frau und den vier Söhnen lebt er in einer Villa in der Feuerbachstraße in Magdeburg. "Millionär ist er aber bestimmt nicht gewesen", sagt Horst Fahlberg.Auch der Opel Diplomat, mit dem Horst Fahlberg seinen Chef Bormann über den halben Kontinent chauffiert, trägt dazu bei, das Gerücht zu befeuern. "Klar, ein hübsches Wochenendhaus nahe Teupitz hatte Bormann, zusätzlich zu einem kleinen Bungalow in Gommern", erinnert sich Fahlberg. Auf dem Rückweg von anstrengenden Geschäftsreisen seien sie zu zweit häufig noch nach Teupitz gefahren. Auf ein Bier und eine Schmalzstulle. Da es dann meist nicht bei einem Bier geblieben sei, habe Bormanns Ehefrau den beiden am nächsten Tag die Hölle heiß gemacht. Über Geld habe man manchmal im Scherz gesprochen. Auf die Frage, ob er Millionär sei, pflegte der Unternehmer immer scherzhaft zu antworten: "Wenn ich etwas bin, dann Knopfmillionär."

1972 wird Bormann als einer der ersten DDR-Vorzeigebetriebe verstaatlicht und als VEB Magdeburger Damenmoden neu gegründet. Als Betriebsdirektor arbeitet er weiter, doch seine Devise, die Zügel niemals aus der Hand geben zu wollen, muss er aufgeben. Dann wird eine Krebserkrankung diagnostiziert. Bormann scheidet aus dem Unternehmen aus. Die Wende wird der Unternehmer nicht mehr erleben.

Im Februar 1989, im Alter von 80 Jahren stirbt Bormann. Seine Mode lebt bis heute weiter.

Am 12. Juni erfahren Sie, wie Bormann die DDR-Mode geprägt hat und warum sein modisches Erbe bis heute gepflegt wird.