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Schlechte Haushaltslage Stirbt die Jugendarbeit Salzlandkreis?

Vom Aussterben bedroht ist die offene Jugendarbeit im gesamten Salzlandkreis. Denn die meisten Vereine und Kommunen, die Jugendarbeit leisten, werden durch den Kreis als Träger der öffentlichen Jugendarbeit finanziert. Aufgrund der Kreis-Haushaltlage bleiben die Träger vorerst auf ihren Kosten sitzen. Ihre Konsequenz: Mancherorts werden die Öffnungszeiten der Jugendclubs reduziert, anderenorts werden Einrichtungen sogar geschlossen.

Von Kathleen Radunsky-Neumann 29.05.2015, 03:19

Salzlandkreis l So richtig gute Stimmung will im Freizeitzentrum "Future" in Schönebecks Berliner Straße nicht aufkommen. Letzte Woche waren noch Ferien und die Welt in Ordnung. Doch seit Dienstag ist alles anders. Für die Kinder und Jugendlichen, die sich hier täglich treffen, ihre Freizeit in angenehmer Atmosphäre verbringen, gilt seit Wochenbeginn eine Veränderung: Die bisherigen Öffnungszeiten, die von mittags bis meist 20 Uhr galten, sind passé.

"Wir mussten die Öffnungszeiten anpassen", sagt Steffen Uhlig, Geschäftsführer des Vereins "Rückenwind", der Träger des Jugendclubs ist. Hintergrund ist, dass sich der Verein von einem der zwei Mitarbeiter trennen muss. Unfreiwillig, wohlgemerkt. "Doch wir müssen nun Konsequenzen ziehen", sagt Steffen Uhlig. Hintergrund ist die finanzielle Lage des Salzlandkreises. Da der Kreistag auf seiner Sitzung am 13. Mai dem Haushalt für das laufende Jahr nicht zugestimmt hat, befindet sich der Kreis in der vorläufigen Haushaltsführung. Das bedeutet, er ist eigentlich arbeitsunfähig - nur Pflichtaufgaben dürfen bezahlt werden. Die offene Jugendarbeit ist zwar eine Pflicht des Landkreises und muss durch ihn finanziert werden, jedoch ist gesetzlich nicht vorgeschrieben in welchem Umfang diese stattzufinden hat. Das bedeutet nun: Der Landkreis kann vorerst nur den Vereinen, die offene Jugendarbeit betreiben, Geld zur Verfügung stellen, die einen Vertrag mit dem Landkreis haben - das ist die Pflicht für den Kreis. Aber: Das betrifft nur drei Vereine im gesamten Salzlandkreis. Alle anderen Träger der offenen Jugendarbeit wie der Verein "Rückenwind" in Schönebeck, die Stadt Calbe und die Stadt Staßfurt gehen vorerst leer aus.

"Die bisherige Praxis war so, dass wir jedes Jahr mit dem beschlossenen Haushalt des Landkreises den Bewilligungsbescheid für unseren Zuschuss erhalten haben", erklärt Steffen Uhlig. Da der Etat eigentlich nie zu Jahresbeginn bereits beschlossen war, gingen die Vereine und Träger bisher immer in finanzielle Vorleistung - "bis dann meist Mitte des Jahres der Bescheid und das Geld kamen", sagt Steffen Uhlig.

2015 nun kommt alles anders. Der Kreistag hat den Haushalt nicht beschlossen. Bis jetzt sind die Vereine aber schon in Vorkasse gegangen. Wann sie nun überhaupt mit Zuschüssen vom Landkreis rechnen können, steht komplett in den Sternen.

"Das ist für uns eine einmalige bisher noch nie dagewesene Situation", versucht der Rückenwind-Geschäftsführer die richtigen Worte zu finden. "Wir sind ein gemeinnütziger Verein und dürfen deshalb keinen Gewinn machen, wir haben also auch keine Rücklagen", sagt Steffen Uhlig. "Wir haben nichts zum Ausgleichen der Verluste", macht er deutlich.

"Die mobile Jugendarbeit wird gestrichen." - Steffen Uhlig, Verein "Rückenwind"

Deshalb muss der Schönebecker Verein nun die Reißleine ziehen. Weiter in Vorkasse kann "Rückenwind" nicht gehen, ganz zu schweigen davon, wie die bisherigen verursachten Kosten gedeckt werden sollen. Die Konsequenz: "Die mobile Jugendarbeit wird gestrichen." Das betrifft vor allem die Gemeinden Bördeland und Barby. Hier wurden dank dieses Projektes mehrere Jugendclubs in den einzelnen Orten wie Pömmelte und Eickendorf geöffnet.

In Schönebeck selbst sind die Folgen jetzt noch nicht so drastisch zu spüren. Das liegt daran, dass durch die gewachsenen Strukturen eine Mischfinanzierung aus Mitteln des Landkreises und der Stadt herrscht. Bemerkbar wird es aber im Freizeitzentrum "Future". Ein Mitarbeiter ist nun nur noch allein für den Club zuständig, die Folge sind verkürzte Öffnungszeiten.

"Uns bleibt nichts anderes übrig", sagt Steffen Uhlig. Leicht ist ihm und dem Vereinsvorstand die Entscheidung nicht gefallen. Insgesamt fehle dem Verein durch den Wegfall des Kreiszuschusses ein hoher fünfstelliger Betrag. "Für einen Verein wie uns ist das schrecklich", sagt er.

Rückenwind ist nicht der einzige Träger in der Region, der von der finanziellen Schieflage des Landkreises betroffen ist. Insgesamt hängen 99 Kinder- und Jugendzentren im gesamten Salzlandkreis am Finanztropf.

Darunter ist auch der Verein BBRZ Aschersleben, der unter anderem in Staßfurt den Kindertreff "Leopoldshall", den Jugendfreizeittreff "Glashaus" und eine Jugendwerkstatt betreibt. Wie Elke Brüggemann, stellvertretende Geschäftsführerin des BBRZ, der Volksstimme mitteilt, muss auch sie Konsequenzen ziehen. "Der Kindertreff Leopoldshall wird zum 1. Juni geschlossen." Die anderen Einrichtungen bleiben geöffnet - das liegt unter anderem an der Mischfinanzierung, an der auch die Stadt Staßfurt beteiligt ist. Jedoch müssen diverse Projekte gestrichen werden.

Doch der BBRZ ist nicht nur in Staßfurt aktiv. Deutlich zeigen sich die finanziellen Einschnitte in der Verbandsgemeinde Egelner Mulde, Aschersleben, Stadt Seeland, Hecklingen, Staßfurt und der Verbandsgemeinde Saale-Wipper. Hier sind die sogenannten Landjugendpfleger des BBRZ bisher im Einsatz gewesen. "Laut Konzeption werden die Mitarbeiter in den 33 Jugendeinrichtungen der Städte und Verbandsgemeinden durch die Landjugendpfleger angeleitet und bei der Durchführung von Projekten unterstützt", erklärt sie. "Die Arbeit der Landjugendpfleger wird zum 1. Juni eingestellt", nennt sie nun die Folgen.

Auch für andere Vereine wie der Arbeiterwohlfahrt, dem CVJM und der städtischen Träger hat die derzeitige Finanzsituation im Salzlandkreis Folgen.

Stirbt die Jugendarbeit also aus? Geht es nach Landrat Markus Bauer (SPD), soll es nicht zum Wegrationalisieren der über Jahre gewachsenen Strukturen kommen. "Ich möchte hier keine verbrannte Erde hinterlassen", sagt er im Gespräch mit der Volksstimme. Ihm ist die derzeitige Situation auch äußerst unangenehm. Nicht umsonst hatte er die Kreistagsmitglieder vor der Abstimmung eindringlich gewarnt, dass eine Ablehnung des Haushaltes Auswirkungen auf viele Bereiche wie etwa der Jugendhilfe habe. Die Kreistagsmitglieder ließen sich nicht beirren. Sie wollen ein Zeichen setzen - in Richtung Land. Dass der Landkreis finanziell schlecht aufgestellt ist, darin sehen sie eine große Schuld beim Land.

"Möchte keine verbrannte Erde hinterlassen." - Landrat Markus Bauer

"Ich kann den Kreistag gefühlsmäßig verstehen", sagt Markus Bauer. Aber: "Wir brauchen trotzdem einen Haushalt." Doch das Kind ist nun in den Brunnen gefallen. Der Kreistag hat den Haushalt abgelehnt. "Ich führe sehr viele Gespräche auf verschiedenen Ebenen zu dieser Thematik", sagt Markus Bauer. So habe er in der kommenden Woche einen Termin beim Landesverwaltungsamt, auch mit dem Städte- und Gemeindebund und dem Land steht er in Kontakt. "Ich will nicht die Jugendarbeit zur Mitte des Jahres schließen", nennt er sein Ziel. Wann und wie genau er dieses Vorhaben in die Tat umsetzen kann, das vermag er aber noch nicht zu sagen. Er betont, dass "wir mit Nachdruck an dem Thema dran sind".

Was bedeutet das nun für die Vereine und Städte?

Momentan stehen dem Landkreis ausschließlich 504379 Euro aus der Jugendpauschale des Landes zur Verfügung. Wie werden diese Mittel verteilt? Das soll am Mittwoch, 3. Juni, in der Sitzung des Jugendhilfeausschusses beraten werden. Der Beschlussvorlage nach steht eines fest: Der Großteil der Summe - nämlich 356516 Euro - muss an jene Vereine gezahlt werden, mit denen der Landkreis Verträge hat. Das sind laut Christel Wenzel, Fachdienstleiterin Jugend und Familie, der Jugendverein "Elf" für die Kindereinrichtung "Butze" in Aschersleben (77000 Euro), die Lebenshilfe Bördeland gGmbH für den Kinder- und Jugendfreizeittreff in Egeln (75000 Euro) und die Stiftung Evangelische Jugendhilfe St. Johannis Bernburg für die Jugendfreizeiteinrichtung in Bernburg (204516 Euro).

Damit bleiben über: 56721 Euro. Welcher Verein von diesem minimalen Kuchenkrümel noch etwas abbekommt, darüber werden die Mitglieder des Jugendhilfeausschusses beraten.