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Regionalgeschichte Ogema: Konserven aus der Altmark

Alte Stendaler werden sie noch kennen: die Ogema-Fabrik in der
Arneburger Straße in Stendal. Einst war sie ein wichtiger
Produktionsstandort, doch die politische Wende hat sie nicht überlebt.
Für die Volksstimme-Serie "Vergessene Orte" hat die Ogema noch einmal
ihre Türen geöffnet.

28.03.2015, 01:18

Stendal l "Wären wir in Berlin oder Hamburg, hätte sich bestimmt schon längst jemand gefunden, der das Gebäude in Loft-Wohnungen umgestaltet hätte", sagt Uwe Wells, als er durch die Ruinen der einstigen Konservenfabrik in Stendal führt. Der Hausmeister der Firma Rosier, der das Gelände und der Gebäudekomplex gehört, kennt sich hier aus wie in seiner Westentasche.

Immer wieder kommen Besucher, wollen sich von ihm durch die Gebäude führen lassen. Teils, weil sie hier gearbeitet haben, teils weil sie hier interessante Fotomotive zu finden hoffen.

Und das tun sie tatsächlich, denn der Gebäudekomplex in der Arneburger Straße ist erstaunlich gut erhalten. Die alten Kontore und Fabrikhallen, in denen einst Obst- und Gemüsekonserven produziert wurden; alte Labore, Lagerräume, Verladeflächen - man braucht nicht viel Fantasie, um zu erkennen, das auf dem riesigen Gelände einmal rege Betriebsamkeit geherrscht haben muss.

Ogema als Wirtschaftsstandort in der Altmark

1902 gegründet, wie es aus Unterlagen des Stendaler Stadtarchivs hervorgeht, wird die "GEG Gemüse- und Obstkonservenfabrik Stendal", wie der Betrieb damals noch hieß, bereits um 1930 zum größten seiner Art in Deutschland.

Zu dieser Zeit hat er für die Region Stendal eine beträchtliche wirtschaftliche Bedeutung: Die Mengen an Obst und Gemüse, die hier verarbeitet werden, stammen aus der altmärkischen Landwirtschaft. Ein Prinzip, wie es sich hiesige Bauern und Verbraucher heute auch wieder wünschen und wie es auch teilweise schon wieder umgesetzt wird.

13 Konservenfabriken gab es um 1930 in der Altmark, fünf allein im Landkreis Stendal: je eine in Arneburg, Tangermünde und Bismark, zwei in Stendal. Der GEG-Betrieb, aus dem später der VEB Ogema Stendal hervorgegangen ist, war der modernste. Knapp 900 Menschen haben hier gearbeitet, vorwiegend Frauen. Ihnen standen neben Garderobenräumen auch Wannen- und Brausebäder, ein großer Speiseraum, ein Krankenzimmer und eine hochmoderne maschinelle Ausstattung zur Verfügung.


Geheimes Leben im mystischen Gebäude

Vorzeigeobjekt war eine Erbsenverarbeitungsanlage: Innerhalb einer dreiviertel Stunde waren die von den Landwirten angelieferten Schoten verarbeitet, stapelten sich die Erbsenbüchsen in den Pack- und Lagerräumen. Mit Gründung der DDR wurde die Fabrik in "Altmärkische Konservenfabrik" umbenannt. Bis zur politischen Wende durchlief die Firma noch weitere Umbenennungen, dem Stendaler dürfte sie aber bis heute als Ogema im Gedächtnis und vielleicht auch im Herzen geblieben sein.

Nach dem Zusammenbruch der DDR kam auch für Ogema das Aus. 1992 meldete die Firma Konkurs an. Noch knapp 212 Mitarbeiter wickeln die letzten Geschäfte ab. Dann wird es still um das Gelände.

Seit 1993 ist die Firma Rosier Besitzer des rund 80.000 Quadratmeter großen Grundstückes, das genügend Platz für den Fuhrbetrieb des Autohauses beherbergt. Auch der backsteinrote Gebäudekomplex gehört dazu, "und wir hätten es auch gerne genutzt", so Uwe Wells, "aber die Auflagen des Denkmalschutzes hätten wir nicht leisten können. Naja, und jetzt sieht es eben so aus", sagt er und zeigt auf große, leere Räume mit kaputten Fenstern und den grasbewachsenen Böden und Wänden.

Techno-Partys im Keller

Aber es herrscht auch Leben im Gemäuer. Vor allem die Jugend fühlt sich von dem mystisch wirkenden Gebäude stark angezogen. Kunstvolle Graffiti an den Wänden und hier und da eine Skateboard-Rampe zeugen davon, dass das Gebäude in Benutzung ist, wenn auch heimlich. "Im Keller haben sogar Techno-Partys stattgefunden", erzählt Uwe Wells. Und weil es keinen Strom gab, hätten sich die Partygänger mit Knicklichtern Helligkeit und stimmungsvolles Licht geschaffen "und sogar richtige Partydekorationen angebracht."

<6>Ob das Gebäude jemals wieder eine Zukunft haben wird, ist unklar. Mittlerweile steht es zwar nicht mehr unter Denkmalschutz, "die Kosten für einen Sanierung wären jetzt aber beträchtlich", sagt Uwe Wells. Und was will man schon in Stendal mit einem solch riesigen Komplex anfangen? Es steht ja, wie gesagt, nicht in Hamburg oder Berlin.<7><8><9><10><11><12><13>