1. Startseite
  2. >
  3. Lokal
  4. >
  5. Nachrichten Stendal
  6. >
  7. Chronologie eines Massenmordes

Massaker vom 13. April 1945 nahe Gardelegen Chronologie eines Massenmordes

Am 13. April 1945 wurden in und an der Feldscheune Isenschnibbe nahe Gardelegen 1016 KZ-Häftlinge ermordet. In seinem neuen Buch "Gardelegen 1945 - Dokumentation des Unfassbaren" beschreibt Torsten Haarseim dieses schreckliche Verbrechen, aber auch die Todesmärsche davor und die Gedenkkultur danach.

Von Donald Lyko 10.04.2015, 03:20

Am 13. April 1945 wurden in und an der Feldscheune Isenschnibbe nahe Gardelegen 1016 KZ-Häftlinge ermordet. In seinem neuen Buch "Gardelegen 1945 - Dokumentation des Unfassbaren" beschreibt Torsten Haarseim dieses schreckliche Verbrechen, aber auch die Todesmärsche davor und die Gedenkkultur danach.

Gardelegen l Seit Torsten Haarseim vor zehn Jahren nach Gardelegen gezogen ist, lässt ihn das Thema nicht mehr los. Ein Gedenkstein war es, der seine Neugier geweckt hat. Ein Gedenkstein an der Straße An der Remonte, wo Haarseims jetzt wohnen. Denn dort, wo sich heute das neue Wohngebiet befindet, gab es früher die Wehrkreis-Reit- und Fahrschule XI, auch Remonte-Schule genannt. Sie war die vorletzte Station der Häftlinge auf ihrem Todesmarsch. Von dort wurden sie am 13. April 1945 zur Feldscheune des Gutes Isenschnibbe gebracht. Sie wurden in die Scheune gepfercht, benzingetränktes Stroh darin angezündet: 1016 Männer verbrannten, erstickten oder wurden erschossen, nur ganz wenige überlebten.

Seit bei Torsten Haarseim die Neugier geweckt war, mehr darüber zu erfahren, hat er intensiv recherchiert. Er war in Archiven und Museen, hat Zeitzeugen befragt und Dokumente gesammelt, hat Kontakt aufgenommen zu Nachfahren von Ermordeten und Überlebenden, steht in Kontakt mit ehemaligen US-Soldaten. Anfangs hat er für sich selbst Antworten gesucht, heute sieht er seine Aufgabe darin, seine Recherchen öffentlich zu machen - "im Gedenken an die Ermordeten und zum Nachdenken über die Vergangenheit, die Gegenwart und die Zukunft", schreibt er dazu im Vorwort der Dokumentation. Er hält Vorträge, führt Schüler über die Mahn- und Gedenkstätte, betreut als Mitglied Aktivitäten des Fördervereins der Mahn- und Gedenkstätte - und schreibt Bücher.

Das Massaker von Gardelegen, das zu den grausamsten Verbrechen der Nazis zählt und über das nach Kriegsende international berichtet wurde, hat er 2013 im Roman "Gardelegen Holocaust" verarbeitet, in einer fiktiven Geschichte zweier Freunde, die das Schicksal zum Opfer und zum Täter macht. Um Jugendliche anzusprechen, erzählt Haarseim mit einem Video "Gardelegen Gedicht" (2013) die Geschichte eines 16-Jährigen auf dem Todesmarsch von Mieste nach Gardelegen. Und im vergangenen Jahr veröffentlichte er "Holocaust - Das Kinderbuch", mit dem er Schülern die Verbrechen der Nationalsozialisten an der jüdischen Bevölkerung vermitteln möchte. In einem Abschnitt geht es auch um das Isenschnibbe-Massaker.

Das jährt sich in wenigen Tagen. Anlässlich des 70. Jahrestages hat Torsten Haarseim darum nach Roman und Video - zwei sehr emotionalen Darstellungen - nun sein Sachbuch "Gardelegen 1945 - Dokumentation des Unfassbaren" vorgelegt. Die Fotos und Dokumente hatte er in den vergangenen Jahren schon zusammengetragen, so dass er das Projekt recht schnell umsetzen konnte.

"Ich habe versucht, keinen Wälzer daraus zu machen", sagt Haarseim. Und dennoch wird auf den gut 200 Seiten das Geschehen umfassend und sehr detailliert beschrieben. Es beginnt mit den Todesmärschen der Häftlinge aus den Konzentrationslagern Mittelbau-Dora und Hannover-Stöcken und endet mit der Gedenkkultur in der DDR und nach der Wende. Dazwischen erfährt der Leser -begleitet von zahlreichen, sehr eindrucksvollen Fotos - was in jenen Tagen im April 1945 in und nahe Gardelegen geschah, welche Personen beteiligt waren, was die Amerikaner vorfanden, als sie am 15. April an der Scheune eintrafen, und was an den Tagen danach passierte. An den Tagen also, als die Gardeleger Männer auf dem Rathausplatz antreten mussten zum gemeinsamen Marsch zur Feldscheune. Dort begruben sie die Toten, erst in Massengräbern, dann auf Befehl von General Dwight D. Eisenhower in Einzelgräbern, versehen mit Kreuz oder Davidstern. Torsten Haarseim hat aus Nachlässen alle Dokumente, mit denen die Männer Gardelegens damals zu den Einsätzen befohlen und mit denen sie später zur Grabpflege verpflichtet wurden, zusammengetragen. Sie sind im Buch abgebildet.

"Fachlich fundiert, aber auch etwas für den Normalbürger"

"Das Buch ist fachlich fundiert, aber auch etwas für den Normalbürger", beschreibt Haarseim seine neue Publikation. In die hat er aktuelle Forschungen eingearbeitet und Ergänzungen zum Totenbuch. Denn bei seinen Recherchen hat er weitere Namen ermordeter Häftlinge gefunden.

An einigen Stellen im Buch gibt es QR-Codes. Via Smartphone lassen sich so im Internet Originalfilmaufnahmen der US-Armee und das "Gardelegen Gedicht" aufrufen. Der Buchtitel zeigt einen Ausschnitt aus einem Holzschnitt von Joachim Pick aus Frankfurt/Main. Er hatte keinen Bezug zu Gardelegen, damals aber von dem Massaker gehört und es künstlerisch verarbeitet. Die Witwe des Künstlers hatte vor einiger Zeit an die Hansestadt Gardelegen geschrieben und den Holzschnitt aus dem Nachlass ihres Mannes als Geschenk angeboten. Offiziell soll es am Montag übergeben werden.

Haarseim, Torsten: Gardelegen 1945 - Dokumentation des Unfassbaren, ISBN 978-3-86468-902-4, Preis 14,90 Uhr