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Jeden Sonnabend verteilt die Stendaler Tafel Lebensmittel / Harte Arbeit vieler Ehrenamtlicher Ein "Konsum" für die Bedürftigen

Von Nora Knappe 29.03.2010, 06:53

Jeden Sonnabend stellen sich über 200 Menschen bei der Tafel an, um für einen symbolischen Betrag Lebensmittel zu bekommen. Die Organisation hinter den Kulissen ist zum Teil echte Knochenarbeit.

Stendal. Bärbel Kohl muss sich in einem ständigen Gewissensstreit befinden. Ein Schwanken zwischen Dankbarkeit und Groll. Verursacht vom Überfluss in dieser Gesellschaft. Dankbar, weil sie genau wegen dieses Überflusses die Arbeit der Stendaler Tafel aufrechterhalten kann. Grollend, weil es eben dieser Überfluss ist, der uns gedankenlos mit Lebensmitteln umgehen lässt.

Seit fünf Jahren koordiniert Bärbel Kohl, die diese Woche 67 wird, die Ausgabe von Lebensmitteln für Bedürftige in der Ladenzeile. Vor fünf Jahren ging die Tafel hier als eine von über 800 bundesweit an den Start. " Natürlich wäre es mir lieber, es müsste die Tafeln nicht geben. Aber es wäre auch eine Sünde, diese Lebensmittel einfach wegzuwerfen. "

Jeden Sonnabend herrscht in dem kleinen Konsum, so könnte man die Ausgabestelle gut und gern bezeichnen, emsiges Treiben. An diesem Vormittag sind sie zu elft, zwischen 45 und 70 Jahre alt. Die Frauen und Männer schleppen Kisten, packen Brot, Gemüse, Obst, Wurst, Käse und Milch aus, selektieren Schlechtes aus, sortieren die Ware in die Regale und Kühlschränke. Drei Stunden unermüdliche Arbeit. Alles geht Hand in Hand, keiner murrt, es wird auch geplaudert und gelacht. Am Ende des Arbeitstages aber wissen alle, was sie geleistet haben – körperliche Arbeit.

Auch die Frauen packen tüchtig mit an. Carola Walter, seit zweieinhalb Jahren dabei, weiß, wie es ist, auf der anderen Seite der Ausgabe zu stehen. Sie ist selbst Hartz-IV-Empfängerin, verdient sich ihre Lebensmittel-Tüte durch ihre Arbeit bei der Tafel. " Ich hab hier selbst immer angestanden. Da wollte ich auch mal mit anpacken. "

Als Bärbel Kohl vor Jahren das erste Mal etwas über die Tafeln im Fernsehen sah, dachte sie : Das wär was ! Dass ausgerechnet sie dann der Stendaler Tafel in Trägerschaft des Paritätischen auf die Beine half, war ihr da noch nicht klar. Aber das " helfende Etwas " in ihr, wie sie sagt, habe dann schließlich doch dazu geführt. " Ich bin Christ, auch deshalb möchte ich helfen. "

Gammel wird bei der Tafel nicht weitergegeben. Manches ist über das Mindesthaltbarkeitsdatum hinaus, manches nicht mehr der Supermarkt-Ästhetik entsprechend. Die Helfer nehmen jedes Stück Ware in die Hand, kontrollieren, putzen und werfen weg. " Wir sind keine Entsorger ", betont Bärbel Kohl und will niemanden anzählen, wenn sie berichtet, dass manch Supermarkt aber genau das in der Tafel zu sehen scheint. Da wird schimmliges Obst ganz nach unten in die Kiste getan, das besser kommt oben drauf.

Dass die Märkte aber in der Wirtschaftskrise ihre abgelaufenen Waren noch zu Schleuderpreisen selbst verkaufen, macht der Tafel-Chefin Sorgen. " Da bleibt nur noch wenig für uns, das macht sich in den letzten Monaten schon bemerkbar. " Für mehr als 200 Leute, die sich nach einem Nummernlossystem jeden Sonnabend vor der Ladenzeile in Stadtsee anstellen, muss die Ware reichen. " Es soll nichts übrig bleiben, soll aber auch für den Letzten noch reichen ", so Kohl.

Viele derer, die sich anstellen, grüßen die Mitarbeiter freundlich, bekommen ein Hallo und ein Lächeln zurück. Und beim Rausgehen nimmt sich der ein oder andere einen Strauß Tulpen mit. Ein Farbtupfer im nicht immer einfachen Alltag.

• Die erste deutsche Tafel wurde 1993 in Berlin gegründet.

• Derzeit gibt es über 800 Tafeln in Deutschland. Alle sind gemeinnützige Organisationen. Bundesweit versorgen sie regelmäßig rund eine Million bedürftige Personen mit Lebensmitteln – ein Viertel davon Kinder und Jugendliche.

• Rund 40 000 Menschen engagieren sich für die Tafeln ehrenamtlich. Damit gelten die deutschen Tafeln als eine der größten sozialen Bewegungen.

• Die Tafeln finanzieren sich durch Spenden. Bundesweit setzen sich zahlreiche Unternehmen für die Tafeln ein.

• Waren einst Obdachlose die Zielgruppe, sind es heute vor allem Arbeitslose und Geringverdiener, Alleinerziehende und Rentner.

Quelle : www. tafel. de ( Bundesverband Deutsche Tafel )