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20 Jahre deutsche Einheit in Stendal: Oberbürgermeister Klaus Schmotz und sein Stellvertreter Axel Kleefeldt im Gespräch Ost-West spielt überhaupt keine Rolle

02.10.2010, 04:15

20 Jahre deutsche Einheit gingen auch an Stendal und seinen Bürgern nicht spurlos vorbei. Viel davon, wie die Stadt zusammengewachsen ist, haben der Oberbürgermeister der Hansestadt, Klaus Schmotz, und sein Stellvertreter, Axel Kleefeldt, miterlebt – auch gemeinsam. Zuvor trennten sie ihre Biographien. Ost (Schmotz) und West (Kleefeldt) trafen im Rathaus aufeinander und haben vieles seitdem zusammen verantwortet und gestaltet. Was sie erlebten, darüber sprachen Frank Eckert und Reinhard Opitz mit ihnen.

Volksstimme: Mussten Sie beide wiedervereinigt werden?

Klaus Schmotz: Das war überhaupt kein Thema bei uns. Wir haben gleich an einer Kette gezogen.

Axel Kleefeldt: Ich war schon resozialisiert. Ich musste nicht wiedervereinigt werden.

Volksstimme: Können Sie sich noch an Ihre erste Begegnung erinnern?

Kleefeldt: Das muss beim Landratsamt gewesen sein. Wir saßen in einer gemeinsamen Dezernentenrunde in einer Sitzung zusammen.

Schmotz: Genau. Wir mussten in dieser ersten Zeit gleich viele Dinge bei den offenen Vermögensfragen klären. Da gab es wegen des Theater-Neubaus gleich ein vermögensrechtlich ungeklärtes Grundstück.

Kleefeldt: Man muss sich das vorstellen, da stand gleich mal im Raum, das Theater stünde auf fremdem Grund und Boden.

Volksstimme: Und dann mussten gleich Entscheidungen her. War das damals eigentlich für Sie einfacher als heute?

Kleefeldt: Also wenn es um rein formale Entscheidungen geht, dann ja. Heute bekommt man hier pro Woche drei bis vier Zentimeter Vorschriften, Durchführungsbestimmungen. Damals vor 18, 20 Jahren gab es das Bundesgesetz, das wurde übergeleitet, analoge Standards angewandt. Es war einfach flexibler handhabbar.

Volksstimme: Nennen Sie uns mal ein Beispiel.

Kleefeldt: Na da können wir gleich das Wohngebiet Stendal Süd nehmen. Da gab es für die Infrastruktur für die Stadt Stendal von Bund, Land und EU mal 20 Millionen Mark, und die haben wir nach Süd gesteckt. So einfach haben wir die Dinge nie wieder gehabt.

Schmotz: Das ging damals eben einfach und gleichzeitig trotzdem gut.

Volksstimme: Und mit den Menschen? Wie ging das? Der Bürger musste sich ja ständig umstellen, auch auf neue Leute an der Spitze der Stadt.

Kleefeldt: Als ich hierher kam, war ich ja relativ jung mit wenig sozialer Kompetenz im Umgang mit Bürgern. In den ersten Jahren habe ich sicher viele Fehler gemacht. Und vielleicht habe ich auch mal falsch reagiert.

Schmotz: Das ist ja auch lange abgeschlossen. Ost-West spielte bei uns vom ersten Tag an keine Rolle mehr.

Volksstimme: Für Sie, Herr Kleefeldt, war das hier doch alles neu, so wie die Bundesrepublik für den Osten?

Kleefeldt: Ja, ich konnte hier nochmal völlig neu anfangen, auch privat. Ich brauchte das so, diese neue Chance. Und auch die Altmark hat ja wie andere Gegenden in Deutschland ihre regionalen Besonderheiten. Für mich war das ein neues Umfeld, in das ich mich richtig einfügen musste. Und das hat sicher auch ein bisschen gedauert.

Volksstimme: Kann man also sagen, dass es zwischen Ihnen spezielle Ost- oder spezielle Westkompetenzen gibt?

Schmotz: Kompetenz ist das falsche Wort. Es gibt einfach unterschiedliche Erfahrungen, die wir beide hier mit einbringen. Wir haben ja verschiedene Lebensweisen, verschiedene Lebenserfahrungen gehabt.

Kleefeldt: Letztlich konnten wir uns auf den Prozess der Vereinigung hier in der Stadt kaum vorbereiten. Alles kam Holterdiepolter über uns, Recht und Gesetz haben sich rasant geändert. Alles Vorherige war weg. Und oftmals war es auch sehr schwer, gerade bei den Vermögensfragen, herauszufinden, was wie vorher war. Es gab da durchaus viele Fallstricke in der Verwaltung.

Volksstimme: Wie sieht denn nun die Bilanz der Einheit hier in Stendal nach 20 Jahren aus? Blüht es? Die Industrie und das Gewerbe haben sich doch eher zurückgehalten.

Kleefeldt: In der Stadtentwicklung hat sich in den zwanzig Jahren viel getan, die Stadt hat sich verändert. Viele Besucher, die herkommen, sind begeistert von Stendal. Das kriegen wir ja mit. Und man darf nicht vergessen, dass wir in den zurückliegenden zwanzig Jahren immer auch den demografischen Wandel im Blick hatten und weiter haben.

Schmotz: Klar ist natürlich, dass wir hier zum einen Probleme mit Fachkräften haben und weiter bekommen werden. Und beim Gewerbe, besonders in am Flugplatz in Nord, hängt alles an der Autobahn A14. Wenn die nicht schnellstmöglich kommt, brauchen wir niemandem dort etwas anzubieten. Nachfragen gibt es vor allem von regenerativen Energieanbietern. Da halten wir uns aber erstmal bewusst zurück. Doch das, was wir an Gewerbe und Industrie hier haben, ist breit und gefestigt.

Kleefeldt: Und sicher ist es so, dass es unzufriedene Menschen gibt und das auch nachvollziehbar ist. Als das Kernkraftwerk abgewickelt wurde, waren 5000 Menschen einfach weg. Und das sind dann aber keine Ost-West-Probleme, sondern strukturelle Schwierigkeiten.

Volksstimme: Warum wird zum Tag der Deutschen Einheit in Stendal nichts offiziell gefeiert?

Schmotz: Wir haben uns einen anderen Feiertag in Stendal gewählt, den 18. Mai als 20. Jahrestag der ersten freien Kommunalwahl. Den Tag der Deutschen Einheit feiert ganz Deutschland.

Volksstimme: Wo waren Sie beide am Einheitstag vor 20 Jahren und wo werden Sie am 3. Oktober 2010 sein?

Schmotz: Vor 20 Jahren hatten wir eine Dienstbesprechung in der Bezirksverwaltung Magdeburg. Am Sonntag werde ich hier in Stendal bei meiner Familie sein.

Kleefeldt: 1990 war ich nicht in Berlin. Ich war sicher in Bruchsal bei mir zu Hause. Für mich ist der 3. Oktober nicht so wichtig. Viel wichtiger ist mir der 9. November. Damals haben wir auf den Mauerfall angestoßen. Das war ein sehr emotionaler Moment, den ich viel tiefer empfunden habe. Darf ich noch etwas ungefragt sagen?

Volksstimme: Bitte sehr.

Kleefeldt: Stolz sollten wir in Deutschland auf die friedliche Revolution in der DDR sein. Wir haben den Ostdeutschen den historischen Glücksfall der Einheit zu verdanken. Diesen Traum hatten wir im Westen schon nicht mehr zu träumen gewagt.