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Zivildienst wird zum 30. Juni ausgesetzt / Einrichtungen in der Börde bangen um Unterstützung "Jetzt müssen wir zusehen, wo wir Leute herbekommen"

Von Josephine Schlüer 17.02.2011, 04:34

Zum 30. Juni wird der Zivildienst ausgesetzt. In den sozialen Einrichtungen in Oschersleben und Umgebung wird es deshalb bald an Unterstützung fehlen. Als Alternative zum Zivildienst plant die Bundesregierung die Einführung eines Bundesfreiwilligendienstes, ähnlich dem Freiwilligen Sozialen Jahr. Doch einige Mitarbeiter von Krankenhäusern, Pflegediensten und weiterer entsprechender Institutionen befürchten, dass das freiwillige Engagement den Unterstützungsbedarf nicht decken wird.

Oschersleben / Neindorf / Peseckendorf. Unterstützende Aufgaben übernehmen Zivildienstleistende seit 20 Jahren in Einrichtungen des sozialen Bereichs der Region, als Alternative zum verpflichtenden Grundwehrdienst. Von Juli 2011 an werden nur noch Freiwillige zur Bundeswehr eingezogen, deshalb wird gleichzeitig auch der Zivildienst ausgesetzt. Nun bangen Pflegeheime, Krankenhäuser, Jugendclubs und viele andere Einrichtungen um die Unterstützung seitens der jungen Männer.

Betroffen ist auch die Begegnungsstätte der Volkssolidarität in Oschersleben. "Bewerbungen gehen kaum noch ein", weiß Heidi Fritsch, die stellvertretende Geschäftsführerin. Ihr Mitarbeiter Gunnar Rieß fügt hinzu: "Normalerweise waren die Stellen schon auf ein Jahr im Voraus vergeben." Aktuell sind noch vier Zivis in der Begegnungsstätte beschäftigt. Steffen Gammisch, Franz Doil, Robert Wisz und Alexander Roeper hatten ähnliche Motive für die Wahl des Zivildienstes. Sie wollten möglichst in der Region bleiben, beispielsweise, um dem eigenen Hobby weiterhin regelmäßig nachgehen zu können. Über den sozialen Aspekt hätten sie vorher nicht viel nachgedacht. Doch im Nachhinein habe sich der Einsatz auch für die persönliche Entwicklung gelohnt: "Man lernt auf jeden Fall, mehr Verständnis für ältere Menschen aufzubringen", sagt Steffen Gammisch aus Hadmersleben.

"Momentan beschäftigen wir zusätzlich noch zwei geringfügig Beschäftigte. Es sind zwei, weil sie jeweils keine 40-Stunden pro Woche arbeiten dürfen", so Heidi Fritsch. Diese Lösung sei jedoch denkbar ungünstig, da die Tätigkeit von heute auf morgen durch einen neuen Arbeitsplatz oder aus anderen Gründen vorbei sein könne.

Eng wird es derzeit auch in der Landesjugendbildungsstätte in Peseckendorf. "Die jungen Männer spielen bei uns eine sehr wichtige Rolle", sagt Oliver Flohr, der sich um die Zivildienstbelange kümmert. Er befürchtet, dass die geplante Einführung eines Bun- desfreiwilligendienstes nicht mehr denselben Zuspruch finden wird und dass deshalb auf viele Einrichtungen erhebliche Schwierigkeiten zukommen. "Das wird im sozialen Bereich ein echtes Problem", so Flohr. Klaus Cynybulk ist der einzige Zivildienstleistende, der noch in der Landesjugendbildungsstätte tätig ist.

<6>"Definitiv weniger Freiwillige als Zivildienstleistende"

<7>Und auch in der Werkstatt für Menschen mit Behinderung der Matthias-Claudius-Haus-Stiftung in Oschersleben lichtet sich allmählich die Gruppe der Zivildienstleistenden. Einer von ihnen ist der 19-jährige Markus Tuchen aus Altenweddingen. Er wäre im April zwar fertig, hat die Stelle aber um drei Monate verlängert. "Erstens habe ich Spaß an der Arbeit, zweitens möchte ich die Zeit überbrücken, bis ich im Sommer eine Lehre beginne", begründet der Altenweddinger. Die Tätigkeit im sozialen Bereich lasse ihn sogar darüber nachdenken, sich auch beruflich in diese Richtung zu orientieren. "Anfangs hatte ich zwar einige Berührungsängste, aber die konnten schnell abgebaut werden. Jetzt ist es ein sehr schönes Miteinander", so Tuchen. Rainer Renschin, bisheriger Koordinator für Zivildienstangelegenheiten in der Werkstatt für Menschen mit Behinderung, ist sich sicher: "Hier sieht der junge Mensch, dass er etwas bewirken kann. Für uns waren die Zivildienstleistenden immer eine wichtige Hilfe. Jetzt müssen wir zusehen, wo wir die Leute herbekommen."

<8>Diese Frage stellen sich auch die Mitarbeiter im Krankenhaus in Neindorf. "Bei uns waren immer neun junge Männer pro Zyklus beschäftigt, fünf in der Pflege und vier im Bereich Küche und Technik", weiß Dr. Dieter Thielemann, Pressesprecher des Medigreif Börde-Krankenhauses. Momentan seien es noch drei, die ihre im April auslaufende Dienstzeit freiwillig auf 15 Monate verlängert haben: Maximilian Heine, Philip Wild unf Philipp Heine sind sich einig, dass sie durch den Umgang mit älteren und kranken Menschen toleranter geworden sind, auch wenn die anfängliche Motivation nur der Tatsache geschuldet war, nicht den Grundwehrdienst absolvieren zu müssen. Jetzt sind sie die letzten Zivildienstleistenden im Neindorfer Krankenhaus. "Wir versuchen bereits seit einiger Zeit, junge Menschen für ein Freiwilliges Soziales Jahr zu gewinnen", so Thielemann.

Künftig wird es nur noch Freiwillige für die unterstützenden Aufgaben geben. Die Bundesregierung ist dabei, einen so genannten Bundesfreiwilligendienst (BFD) ins Leben zu rufen. Im Gegensatz zum Freiwilligen Sozialen Jahr (FSJ) soll es dabei keine Alterseinschränkung nach oben geben, außerdem soll es möglich sein, den Freiwilligendienst mehrmals und nicht nur einmal im Leben zu absolvieren. Die Laufzeit wird voraussichtlich 6 bis 18 Monate betragen, ebenso sollen darin 25 Seminartage integriert werden. Der BFD kann in den Bereichen Soziales, Kultur, Sport, Denkmalpflege, Natur- und Umwelschutz sowie Integration angetreten werden. Geplant ist ein höheres Taschengeld als beim FSJ, dafür haben die Freiwilligendienstler voraussichtlich keinen Anspruch auf Kindergeld. Das teilte Christel Buschke vom Freiwilligenzentrum in Berlin mit und schätzt ein: "Es werden definitiv weniger Freiwillige künftig einen Dienst antreten, als es bisher Zivildienstleistende gab."