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Grenzöffnungsfeier im Eckertal nach 22 Minuten abgebrochen Vom Winde verweht – und von "Carmen"

Von Rainer Marschel 13.11.2010, 04:17

Dass es am Donnerstagabend weniger als 100 Traditionsbewusste zur Grenzöffnungsfeier ins Eckertal zog, hatte zwei Gründe. Nach dem Jubiläumsjahr 2009 mit Ministerpräsident Wolfgang Böhmer (CDU) wollten es die Organisatoren in Stapelburg diesmal deutlich verhaltener angehen. Ausschlaggebend war aber dennoch das Sturmtief "Carmen", das bereits nach 22 Minuten einen Abbruch erzwang.

Stapelburg. Tapfer marschieren die Stapelburger Spielleute am Donnerstag-abend durch die Finsternis in Richtung Grenzdenkmal. Allerdings in diesem Jahr weitestgehend allein. Extreme Windböen bringen sie immer wieder ungewollt aus dem Gleichschritt. Der Regen peitscht aber nicht nur den Musikern aus der Waagerechten ins Gesicht. Am Ziel angekommen, frösteln etwa 80 Unentwegte. Und die scheint auch das denkbar schlechteste Wetter nicht davon abzuhalten, dem historischen Moment der Grenzöffnung an dieser Stelle vor 21 Jahren zu gedenken.

Die Rede hält in diesem Jahr der ehemalige Pfarrer und heutige Braunschweiger Klaus Pieper. Er erinnert an die Gerüchte und Spekulationen vom 11. November 1989, wonach sich an der Grenze im Eckertal in den nächsten Stunden vielleicht etwas Bedeutsames abzeichnet. Das schien sich spätestens in jenem Moment zu bestätigen, als man von westlicher Seite beobachtete, wie plötzlich jemand auf der Mauer saß. Nur wenig später war der "Schutzwall" einen Spalt breit geöffnet. Tausende wechselten von da an neugierig die Seiten und lagen sich euphorisch in den Armen. Klaus Pieper: "Die Hauptparole der nächsten Tage, sie werden sich erinnern, war ,Wahnsinn!‘" Nur einer sei anfänglich enttäuscht gewesen, nämlich sein eigener Sohn. Damals 13 Jahre alt, reagierte er sinngemäß: "So ein Mist. Jetzt habe ich wochenlang für die Geschichtsarbeit gelernt. Das ist doch jetzt alles umsonst."

Pieper spricht davon, dass man sich in Deutschland oft an Negatives erinnere: "Heute ist ein Tag, da dürfen wir uns Großartiges ins Gedächtnis zurückrufen. Gerade wir, die wir an der Grenze gewohnt haben, sind in besonderer Weise verpflichtet, diese Erinnerung wachzuhalten und auch Anderen weiter zu erzählen". Als 20 Minuten später gemeinsam die Nationalhymne intoniert wird, haben selbst die mit den Regenschirmen längst keinen trockenen Faden mehr am Leib. 21 Jahre nach dem "heißen Herbst" hat es auch Sturmtief "Carmen" nicht vermocht, die tiefen Emotionen der Zeitzeugen einfach so wegzufegen.