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Einwanderinnen gestalten interkulturelles Projekt am Stadtfeld-Gymnasium Schüler erfahren von gefährlichen Fluchten

Von Jörn Wegner 01.10.2013, 03:07

Wernigerode l Von dramatischen Fluchtgeschichten und schweren Schicksalen haben Schüler des Stadtfeld-Gymnasiums erfahren. Zu einer Gesprächsrunde trafen sie sich in der Vorwoche mit zwei ehemaligen Flüchtlingen aus Vietnam und der Türkei.

Huyen Tran ist in den 1980er-Jahren als Jugendliche mit ihren Eltern aus Vietnam geflohen. Den Schülern erzählt sie vom Schicksal der "Boat People", die in kleinen Nussschalen die Flucht über das offene Meer wagten.

"Unsere Piraten waren freundlich", berichtet sie von einer Begegnung mit Seeräubern, die nur an Geld und Wertgegenständen und nicht am Leben der Flüchtlinge interessiert gewesen wären. Huyen Tran ist heute als Künstlerin tätig. Das in Vietnam traditionsreiche Schnitzen von Obst und Gemüse hat sie mit nach Deutschland gebracht. Ihre aus Kartoffeln, Rettichen oder Mohrrüben gefertigten Figuren und Skulpturen fotografiert sie und stellt die Bilder aus.

Die Stadtfeld-Gymnasiasten hören der heute in Goslar lebenden Frau nicht nur zu, sondern zeigen großes Interesse an ihrer Fluchtgeschichte, aber an Erlebnissen mit Rassismus und Fremdenfeindlichkeit.

"Während meiner Schulzeit habe ich hier in Wernigerode auch Erfahrungen damit gemacht, gerade in der Berufsschule", erzählt auch Aye Borteck von Konfrontationen und Ausländerhass. Die Kurdin ist als kleines Mädchen mit ihren Eltern vor dem türkischen Militär geflohen. "Mein Vater hat Messerstiche abbekommen, und der Hund, der unser Grundstück bewachte, wurde erschossen", berichtet die junge Frau vom Schicksal ihrer Familie. Ihnen wurde die Existenzgrundlage genommen - ein übliches Mittel der Unterdrückung, wie sie sagt. Andere Flüchtlinge hätten ihr gesamtes Hab und Gut verkaufen müssen, um den Schleuser bezahlen zu können. In Radkästen von Lkws oder in deren Tanks ging es dann nach Europa, erzählt Borteck.

Heute ist sie mit einem Deutschen verheiratet. "Mir wurde das unterstellt, sogar von Freunden", sagt sie über Verdächtigungen, eine Scheinehe zu führen. Erst seit einigen Tagen besitzt sie die deutsche Staatsbürgerschaft. Mit der Einbürgerungsurkunde ist sie sofort zum Amt gegangen, um sich dort ins Wählerverzeichnis eintragen zu lassen.

Die Begegnung zwischen den Schülern und den beiden ehemaligen Flüchtlingen ist Teil einer Projektwoche am Stadtfeld-Gymnasium. "Das ist authentischer, als es den Schülern zu erzählen", erklärt Susanne Ristau das Konzept der Gesprächsrunde. Die Lehrerin am Gymnasium hat den Austausch zwischen den Einwanderinnen und den Schülern mitorganisiert, damit die Gymnasiasten fremde Lebensrealitäten kennenlernen könnten. Durchaus wirkungsvoll sei diese Art des Unterrichts, auch wenn es noch immer vereinzelt Desinteresse an solchen Themen gebe, sagt sie.

Am Projekt beteiligt ist das Wernigeröder Interkulturelle Netzwerk und die Schreibwerkstatt von Christine Schulz, aus der heraus ein Buch entstanden ist, das die Lebenswege von Migranten nachzeichnet.