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Längstes Musikstück der Welt erklingt in Halberstädter Burchardikirche 639 Jahre Töne für viele Generationen

Von Gerald Eggert 25.04.2009, 05:32

In den vergangenen Wochen haben wir Ihnen, liebe Leserinnen und Leser, an dieser Stelle in unserer Reihe " HarzPerle " Interessantes aus dem Landkreis vorgestellt. Mit dem John-Cage-Projekt, das Sie heute unter dieser Rubrik lesen, beschließen wir die erste Staffel der Reihe. Sie wird aber am 4. Juli fortgesetzt.

Halberstadt. In Halberstadt wurde am 5. September 2000 Musikgeschichte geschrieben. In der verlassenen Burchardikirche wurde mit einem Festakt das längste Musikstück, das die Welt jemals gehört hat, gestartet. 639 Jahre soll in der Domstadt das Stück Organ 2 / ASLSP von John Cage zu hören sein.

Langsam und leise mit einer Pause begann das Stück des amerikanischen Avantgarde-Komponisten. ASLSP steht für " As SLow aS Possible " -- " so langsam wie möglich ". Am 5. Februar 2003 erklang der erste Akkord : ein gis ‘, ein gis ‘‘ und ein h ‘. Seither ist viel geschehen. Medien haben weltweit über das Projekt und über Halberstadt berichtet.

Zehntausende von Musikliebhabern aus der ganzen Welt sind zur ehemaligen Zisterzienserkirche gepilgert, um die längsten Töne der Welt zu hören oder der Hektik der heutigen Zeit zu entf iehen. Viele versammelten sich jedes Mal in dem alten Gemäuer, wenn durch das Entfernen oder Hinzufügen von Pfeifen ein Klangwechsel auf der John-Cage-Orgel vollzogen wurde.

Den siebten nahm die Journalistin und Buchautorin Wiebke Bruhns vor. Die gebürtige Halberstädterin begleitet das Projekt von Anfang an, sie entfernte eine Pfeife und veränderte damit den Akkord. Der nächste Klangwechsel ist für den 5. Juli 2010 geplant. Dann werden zwei neue Töne hinzugefügt. Als Cage " Organ 2 / ASLSP " 1987 schrieb, ging es ihm um etwas Tempoarmes. An ein Jahrhunderte währendes Rund-um-die-Uhr-Konzert hatte er im Traum nicht gedacht. Auf diese Idee kamen andere, und einige von ihnen fnden sich heute im Kuratorium der Cage-Stiftung.

Begonnen hat alles 1997 in Trossingen, als sich rund zwanzig Musikwissenschaftler, Philosophen, Theologen und Künstler bei einem internationalen Symposium " Zeit und Raum " austauschten. Im Mittelpunkt stand das Orgelstück von John Cage. Auf der Suche nach einer Def nition der Aufführungsdauer verwiesen die Wissenschaftler auf ein epochales Ereignis im Jahre 1361, als im Halberstädter Dom die erste Orgel mit einem Oktaven-System gebaut und eingespielt wurde. Dieses Ereignis führte zu einem Paradigmenwechsel in der weiteren Kompositionspraxis dieses Instruments. So kann man sagen : Die Wiege der modernen Musik stand in Halberstadt. Und so wählten die Wissenschaftler den zeitlichen Abstand zu dieser Zäsur und dem Aufführungsstart des Cage-Stückes als Spieldauer 639 Jahre.

Das Stück ist in der Originalversion 29 Minuten lang, hochgerechnet auf die nun geplante Aufführungszeit wird eine Minute im John-Cage-Orgelprojekt auf gut 22 Jahre gestreckt. Den besonderen Reiz dieses Projektes macht die langfristige Inszenierung aus : Jede Generation nimmt das fortlaufende Werk anders wahr und rezipiert es unter verschiedenen Zeitbezügen. In einer auf Schnellebigkeit und totaler Verfügbarkeit ausgerichteten Wertewelt wirft das Stück seine Zuhörer auf wesentliche Kernfragen zurück - wie die nach der Zeit und ihrer Wahrnehmbarkeit.

Die Orgel existiert allerdings vorläufg nur verkleinert im Maßstab 1 : 5. Das Originalinstrument, das Jahrhunderte überstehen soll, baut die Firma Romanus Seifert & Sohn aus Kevelaer mit Unterstützung der Halberstädter Orgelbauwerkstatt von Rainhard Hüfken. Die Kosten für das Instrument belaufen sich auf 180 000 Euro. Bislang fehlt das Geld. Sukzessive soll das Instrument entstehen, mit dem Fortschreiten der Partitur.

Die Kirche ist dienstags bis sonntags von 11 bis 17 Uhr in den Monaten April bis Oktober und von 12 bis 16 Uhr von November bis März geöffnet. Zur Tradition geworden ist der Tag der offenen Tür am 5. September, dem Geburtsdatum von John Cage.

www. john-cage. halberstadt. de