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  7. Egon Krenz benötigt nach Grubenfahrt eine Friseuse

Heute Teil 2 der Volksstimme-Serie zum Jubiläum "40 Jahre Produktionsaufnahme im Kaliwerk Zielitz" Egon Krenz benötigt nach Grubenfahrt eine Friseuse

Von Burkhard Steffen 27.04.2013, 03:19

Zielitz l Weiße Arbeitskombi, Schuhe, Strümpfe, Schutzhelm, Unterwäsche und Handtuch. Das sind die Utensilien, die Helga Pinkernelle allen Gästen übergibt, die im Kaliwerk Zielitz in den Schacht einfahren wollen.

Die 60-jährige Zielitzerin ist die Leiterin der Gästekaue. Als Kaue bezeichnen die Bergleute ihre Umkleideräume. "Etwa 2000 Gäste werden jedes Jahr ins Kaliwerk eingeladen, die alle arbeitsschutzgerecht eingekleidet werden müssen", so Helga Pinkernelle.

Unter den Gästen war schon viel Prominenz. "Alle bisherigen Ministerpräsidenten Sachsen-Anhalts waren schon in der Grube. Unser aktueller, Reiner Haseloff, ist allerdings noch als Wirtschaftsminister eingefahren", erinnert sich Helga Pinkernelle.

Auch Steffen Wesemann und Martin Selber waren zu Gast

Auch Künstler, wie der Schriftsteller Martin Selber oder bekannte Sportler, wie Radprofi Steffen Wesemann, hat sie schon grubengerecht eingekleidet. Schmunzelnd gibt Helga Pinkernelle eine Episode vom Besuch des letzten DDR-Staatsratsvorsitzenden und SED-Chefs Egon Krenz zum Besten. "Er musste natürlich auch einen Arbeitsschutzhelm tragen. Das war allerdings seiner Lockenpracht nicht ganz zuträglich. Deshalb hatte ich eine Friseuse zu organisieren, die die Haare nach dem Ausfahren wieder richtete." Auch ein sturzbetrunkener sowjetischer General, der im Slip über die Flure stolperte, ist Helga Pinkernelle noch deutlich in Erinnerung.

In der Besucherkaue arbeitet die Zielitzerin seit 1990. "Ich bin aber schon seit dem 1. Januar 1975 im Kaliwerk Zielitz beschäftigt", so Helga Pinkernelle, "als gelernte Konditorin und Köchin habe ich anfangs in der Betriebsküche in drei Schichten gearbeitet, um die Versorgung der Bergleute abzusichern." Später wechselte sie in die Allgemeine Verwaltung und war hier für 40 Reinigungskräfte verantwortlich.

Schon zu DDR-Zeiten hat sich Helga Pinkernelle für ihre Kolleginnen und Kollegen engagiert, die sie damals zur Vertrauensfrau gewählt hatten. Dieses Engagement setzt sie seit 1990 im Betriebsrat fort. "Dort war ich zeitweise die einzige Frau", so Helga Pinkernelle.

Die wohl härteste Zeit im Betriebsrat hat sie gleich nach der Wende erlebt, "Es ging um die Freistellung vieler Kollegen. Die Belegschaft musste damals von etwa 3200 Kaliwerkern auf 1300 verringert werden. Unsere Betriebsratssitzungen dauerten von morgens um 7 bis abends um 21 Uhr."

Mittlerweile hat sich die Anzahl der Beschäftigten im Kaliwerk Zielitz wieder auf fast 1900 Mitarbeiter erhöht.

Helga Pinkernelle engagiert sich auch in der Feuerwehr. Hier hat sie es bis zum Dienstgrad einer Löschmeisterin gebracht. "Vor 30 Jahren habe ich in der Betriebsfeuerwehr begonnen und bin dann 1993 in die Freiwillige Feuerwehr Zielitz gewechselt."

Brieffreunde kommen aus mehreren Ländern

Helga Pinkernelle ist glücklich verheiratet, hat zwei Kinder und fünf Enkelkinder. Außer der Feuerwehr hat sie noch ein ganz besonderes Hobby. "Ich pflege seit etwa 35 Jahren zahlreiche Brieffreundschaften. Deshalb bekomme ich fast täglich Post aus Deutschland, Polen, der Tschechischen Republik und sogar aus der Kalmückischen Autonomen Republik", verrät die Frau, die erste Ansprechpartnerin für alle Grubengäste ist.