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Radfahrserie Warum der Fußweg die Radfahrer anlockt

Das Nebeneinander der Verkehrsarten ist oft konfliktbelastet. Werner
Hartig vom ADFC beantwortete im Rahmen einer Serie der Magdeburger
Volksstimme dazu Fragen von Redakteur Martin Rieß und regt an, dass
Radfahrer in Wohngebieten die Sichtweise der Fußgänger stärker im Blick
behalten sollten - ganz im Sinne der von der Straßenverkehrsordnung
geforderten Rücksichtnahme.

29.03.2014, 14:24

Volksstimme: Auch bei gemeinsamen Fuß- und Radwegen - mir scheint, dass eigentlich der Gedanke der Trennung der Verkehrsarten erhalten bleibt. Einer ist doch immer der Bestimmer auf "seinem Territorium", oder?
Werner Hartig: Ich beobachte eher die Tendenz zum Mischverkehr. Bei der Gesetzgebung und in der Rechtsprechung sehr deutlich, und zunehmend auch im wirklichen Verhalten. Die Verkehrsarten zu mischen, bedeutet doch nicht, die jeweiligen Besonderheiten in Abrede zu stellen.

Volksstimme: Was meinen Sie damit genau?
Werner Hartig: Vorrang genießen heißt für mich weniger "Bestimmer sein", sondern gleichermaßen Verantwortung für andere zu übernehmen und einfach mehr über das Miteinander nachzudenken. Das wäre gut fürs gesellschaftliche Klima, nicht nur auf den Straßen. Andererseits kann auch ich nicht übersehen, dass der motorisierte Verkehr mit Höchstgeschwindigkeit 50 Stundenkilometern - real sind es dann ja oft noch mehr - vielen Menschen Unbehagen oder gar Angst bereitet und sie deshalb den Mischverkehr scheuen. Zu denken gibt mir aber, dass selbst in den Tempo-30-Zonen noch viele Radfahrer nicht die Fahrbahn benutzen, sondern verbotenerweise Gehwege befahren, noch dazu häufig in der falschen Richtung. Wir Radfahrer führen auf diese Weise immer wieder Konflikte mit dem Fußgängerverkehr herbei. Und Fußgängerverkehr bedeutet auch: Da sind Kinder unterwegs, die gerade das Radfahren erlernen oder Kids, die mit zehn Jahren ja auch schon flott unterwegs sein können, wir behindern Menschen mit Kinderwagen oder erschrecken ältere Personen, die vielleicht einen Rollator benutzen. Wollen wir einen solchen schlechten Ruf fördern oder gar Schuld auf uns laden, wenn wir Unfälle verursachen? Niemand würde jetzt wohl Ja sagen. Sicher ist hier viel Gedankenlosigkeit im Spiel. Mein Vorschlag: Immer dann, wenn wir Radfahrer selbst als Fußgänger im Wohngebiet oder "in der Stadt" unterwegs sind, sollten wir mal kritisch auf das Verhalten von Rad Fahrenden achten.

Volksstimme: Jetzt zeichnen Sie aber ein sehr düsteres Bild! Ist das nicht übertrieben? Vielleicht gibt es sogar Gründe, die immer wieder zum Gehwegfahren verleiten? Auf die Ängstigung durch den Autoverkehr haben Sie ja schon hingewiesen.
Werner Hartig: Die Geschwindigkeit des Autoverkehrs spielt tatsächlich eine große Rolle. Und Sie vermuten richtig, dass noch weitere Gegebenheiten da eine Rolle spielen. Also: Stellen wir uns vor, die Fahrbahn in unserer Tempo-30-Zone ist mit Kopfsteinen gepflastert, der Gehweg asphaltiert oder mit sauber verlegten Platten versehen. Wir ahnen, was da im Radfahrerkopf passiert. Hier müsste man also durch bauliche Maßnahmen entgegenwirken.

Mein zweites Beispiel hat mit der Gesetzeslage zu tun, die ich in diesem Punkt als sehr unbefriedigend bewerte. Paragraf 2, Absatz 5 der Straßenverkehrsordnung schreibt vor: "Kinder bis zum vollendeten achten Lebensjahr müssen, ältere Kinder bis zum vollendeten zehnten Lebensjahr dürfen mit Fahrrädern Gehwege benutzen." Leider hat der Gesetzgeber (trotz vielfacher Forderungen, auch seitens des ADFC) sich nicht zu einer sinnvollen Regelung für die Rad fahrenden Begleitpersonen entschließen können. Diese kommen im Gesetz gar nicht vor, dürfen also nicht mit den Kindern gemeinsam den Gehweg befahren. Wir wissen, wie sich (wohl mehrheitlich) Eltern oder Großeltern entscheiden.

Volksstimme: Und wie sehen Sie das mit den Fußgängerzonen?
Werner Hartig: Hier würde ich im Grundsatz immer die Freigabe für den Radverkehr in Erwägung ziehen und darauf achten, dass Unklarheiten und Konfliktpotenziale vermieden werden. Für mich steht fest: Echtes städtisches Leben braucht solche gemeinsamen Verkehrsräume, und das Miteinander muss wieder gelernt werden.

In einer vergangenen Folge hatten wir schon auf das Shared-Space-Modell hingewiesen. Andere Ausdrücke dafür sind Begegnungszone oder Gemeinschaftsstraße. Gemeint ist nicht nur die drastische Verlangsamung und Mischung des Fahrzeugverkehrs. Es zielt auch darauf ab, dass die Fußgänger den Straßenraum zurückerobern und sich angstfrei und sicher auf Straßen und Plätzen trotz Autoverkehr bewegen können. Ich meine, dass gerade der Reduzierung der tatsächlich gefahrenen Geschwindigkeiten die zentrale Rolle zukommt. Überhaupt sehe ich verkehrsberuhigte Zonen noch zu wenig. Das ist doch eine kluge Methode!