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Wohnungsunternehmen lassen vor allem Bäder umbauen Das altersgerechte Zuhause für alle gibt es nicht

Von Elisa Sowieja 26.04.2013, 20:30

Magdeburg/Wernigerode l "Hier mache ich meine Klimmzüge", erzählt Otto Hosbach, als er die Wendeltreppe runtermarschiert. Mit 74 Jahren? Nein, er scherzt nicht. Zwei Sekunden später hängt er tatsächlich an einer Eisenstange über seinem Kopf. Die Hosbachs wohnen im einstigen Prinzessinnenspielhaus vor dem Schloss Wernigerode. Zwischen Wohnzimmer und Bad liegen zwei Treppen - insgesamt 33 Stufen. "Für uns ist das Training", erzählt Ottos Frau Helga voller Elan.

Auf solch fitte Senioren müssen sich die Wohnungsunternehmen im Land künftig stärker einstellen, sagt Jost Riecke vom Verband der Wohnungswirtschaft Sachsen-Anhalt. Denn die Bevölkerung werde künftig nicht nur älter, sondern bleibe auch länger gesund. Doch in genau dieser positiven Nachricht liegt das Problem: Umbauten zu planen ist schwierig, denn jeder hat seine Bedürfnisse. Die einen wollen eine Wohnung ohne Türschwellen, die anderen fürchten, nach einem Umbau wirke ihr Zuhause wie ein Pflegeheim. "Die altersgerechte Wohnung für alle gibt es nicht", erklärt Riecke.

Zumindest zwei Besonderheiten seien ihm zufolge besonders häufig gefragt: ein barrierefreier Zugang zum Wohnhaus - etwa durch eine Rampe - und eine ebenerdige Dusche. Letzteres bestätigt Klaus Jacobs von der Firma Gangway aus Sülzetal (Landkreis Börde). Sie plant den altersgerechten Umbau von jährlich rund 500 Wohnungen, 50 davon in Sachsen-Anhalt. "80 Prozent der Anfragen betreffen das Bad", berichtet er. Zudem sei das Entfernen von Balkonschwellen gefragt.

Die Hosbachs haben nichts davon machen lassen. Im Gegenteil: Zu ihrem verwinkelten Heim gehört sogar noch ein 1000 Quadratmeter großes Grundstück, auf dem der Hausherr regelmäßig Rasen mäht und Büsche beschneidet. "Wir sind zwar nicht mehr die Jüngsten. Aber über altersgerechte Umbauten haben wir uns noch keine Gedanken gemacht. Das wäre hier auch gar nicht möglich." Die beiden wollen ihr Zuhause einfach genießen. Otto Hosbach schwärmt: "Das hier ist Natur pur - wir treten vor die Tür und stehen im Wald."

Im Vergleich zu den Wernigerödern leben die Voigts in einer anderen Welt: drei Zimmer/Küche/Bad in einem Magdeburger Neubauviertel, erste Etage mit Fahrstuhl, keine Schwellen, extra breite Türen, ebenerdige Dusche - das Rumdum-Sorglos-Paket.

Allerdings hatte das Paar bei der Wahl seiner Wohnumstände auch keine Alternative. Denn seit einem Schlaganfall vor fünf Jahren sitzt der heute 66-jährige Bernd Voigt im Rollstuhl. "Wir wollen so lange wie möglich zu Hause wohnen", erzählt seine Frau Ute. "Da ist es wichtig, dass mein Mann hier bequem überall hinkommt."

Das Thema altersgerechtes Wohnen beschäftigte die 56-Jährige aber schon vor dem Schicksalsschlag ihres Mannes. In ihrer damaligen Wohnung - schräg gegenüber von der heutigen - ließ das Paar die Badewanne entfernen und eine Dusche mit niedriger Schwelle einbauen. "Ich hatte damals schon Probleme mit einem Bein - das wird ja im Alter nicht besser", sagt die Frührentnerin. Auch in die Wohngegend sind beide damals bewusst gezogen. "Im Umkreis von einem Kilometer haben wir vier Supermärkte und alle Ärzte", erzählt sie. "Ich finde, man muss da mit Weitblick entscheiden."

Rund 2500 Euro der Umbaukosten in der neuen Wohnung hat die Pflegekasse übernommen. Den Rest haben sich die Voigts und ihre Wohnungsbaugenossenschaft aufgeteilt. Abgesehen von einer einmaligen Zuzahlung überweist das Paar nun monatlich 134 Euro mehr Miete als zuvor, berichtet die Magdeburgerin.

Auch andere Wohnungsbauer rüsten bei Bedarf um. Die Wobau Magdeburg zum Beispiel investiert nach eigenen Angaben pro Jahr mehrere hunderttausend Euro; das Mieterinteresse am Umbau wächst. Die Städtische Wohnungsbau GmbH Schönebeck (SWB) berichtet, dass mittlerweile zwölf Prozent ihres Bestands barrierearm oder -frei sind. "Das reicht aber noch nicht aus", sagt Chefin Sigrid Meyer. Schließlich sind 49 Prozent ihrer Mieter älter als 60 Jahre. Auf diese Struktur reagiert die SWB auch mit einigen Besonderheiten. So gibt es fünf Demenz-Wohngemeinschaften und eine hauptamtliche Seniorenbeauftragte, die Umzüge und Stammtische organisiert.

Ansprechpartner vor Ort werden laut Jost Riecke vom Verband der Wohnungswirtschaft künftig immer wichtiger: "Die Unternehmen müssen weiterhin aufmerksam sein, um die Bedürfnisse ihrer Mieter in Erfahrung zu bringen."

Zunehmend wichtiger werde auch die Zusammenarbeit mit sozialen Trägern. Denn ein Umbau allein reicht oft nicht aus, damit Senioren zu Hause wohnen bleiben können. Manchmal brauchen sie auch Essen auf Rädern oder Hilfe im Haushalt. Die AWO in Sachsen-Anhalt, ein Anbieter hierfür, ist mit den Wohnungsunternehmen schon recht gut eingespielt, sagt Geschäftsführer Wolfgang Schuth. Ein besonderes Ergebnis des Austauschs seien Senioren-Treffpunkte, die der Träger in einigen umgebauten Häusern eingerichtet hat.

Mit all dem haben sich die Hosbachs in Wernigerode bisher noch kein Stück beschäftigt. Doch dass sie nicht ewig in ihrem Traumhaus wohnen können, ist ihnen durchaus bewusst. "Wenn es gar nicht mehr geht, müssen wir wohl in eine umgebaute Wohnung", sagt Helga Hosbach. Bis es soweit ist, können sie noch jeden Tag in ihrem Wintergarten sitzen und zuschauen, wie sich die Eichhörnchen streiten.