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Kommunalwahl Politik aus der Gartenlaube

Sie kämpfen um den Erhalt von Kleingärten, für mehr Bürgerbeteiligung
oder Kita-Plätze: Kleine Parteien und Wählergruppen wollen bei der
Kommunalwahl am 25. Mai punkten - und profitieren dabei vom Verdruss
mancher Bürger gegenüber den etablierten Parteien wie CDU und SPD.

06.05.2014, 01:22

Magdeburg l Roland Zander sitzt an diesem Nachmittag mit Lothar Lichtenberg auf der Terrasse seiner Gartenlaube und blättert ein Papier durch. "Wir sind eine neue Partei, die noch nicht verbraucht ist", sagt der 48-Jährige. Zander ist seit wenigen Monaten Chef der Magdeburger Gartenpartei, die erstmals bei einer Wahl in der Landeshauptstadt antritt. Und so ist das grüne Paradies von Roland Zander im Kleingartenverein Lerchenwuhne auch quasi die Parteizentrale.

Auf den zwei Seiten, die Zander in seiner Hand hält, steht in Kernthesen zusammengefasst, was ihn und seine Mitstreiter bewegt: "Wir setzen uns für den Erhalt der Kleingärten in Magdeburg ein", erläutert Zander. Im vergangenen Jahr zog Oberbürgermeister Lutz Trümper (SPD) zeitweise in Erwägung, Gartenanlagen in Bauland für Einfamilienhäuser umzuwandeln. Seither stehen die Laubenpieper politisch auf den Barrikaden. Und obwohl Trümper unlängst erklärte, die Lauben zu belassen, wollen Zander und seine Mitstreiter nun mit eigener Partei im Stadtrat dafür sorgen, dass das auch so bleibt.

"Die Zustimmung zu großen, etablierten Parteien schwindet." - Wissenschaftler Wolfgang Renzsch

Die Gartenpartei ist das jüngste Beispiel dafür, dass die Parteienlandschaft in Sachsen-Anhalt bunter wird. Neben CDU, SPD, Linken, Grünen und FDP treten zwölf nichtetablierte Parteien mit ihren Kandidaten für die Kreistage und Stadträte zur Kommunalwahl an. Die Kleinen sind allerdings nicht in jeder Region vertreten. Nach Angaben des Landeswahlleiters werden am 25. Mai dennoch mehr als 10.000 Kandidaten landesweit um die Stimmen werben - nicht nur für die Mandate in den Kreis- und Stadträten, sondern auch für Sitze in den Gemeinde- und Ortschaftsräten.

Chancenlos sind Neugründungen wie die Gartenpartei keineswegs. "Weil die Zustimmung zu den großen, etablierten Parteien über die Jahre zurückgegangen ist, haben Wählergruppen und neue Parteien eine Chance", erläutert Politikwissenschaftler Wolfgang Renzsch von der Universität Magdeburg. Vor allem bei Kommunalwahlen sei es einfach, sich zu organisieren. "Auf kommunaler Ebene kennt der Wähler die Kandidaten persönlich, da können auch die Schrebergärtner mit ihrer Partei viele Stimmen einwerben", sagt Renzsch.

Darauf hofft Roland Zander. Ein Erfolgserlebnis hatte er bereits: "Um für die Wahl zugelassen zu werden, mussten wir 1000 Unterschriften sammeln - wir haben es in wenigen Tagen auf 1800 gebracht", berichtet der Parteichef stolz. Und er ist optimistisch, auch das Wahlziel zu erreichen: "Wir wollen drei Mandate im Magdeburger Stadtrat erobern, damit wir in Fraktionsstärke auftreten können." Die Stimmen will Zander vor allem bei Kleingärtnern sammeln. "In Magdeburg gibt es 232 Gartenvereine mit mehr als 100.000 Mitgliedern - das ist ein großes Potenzial für uns."

Einen Automatismus für die Argumentation, wonach Kleingärtner gleich eine Gartenpartei wählen, gibt es zwar nicht - denn die Wähler wissen zum Beispiel nicht, ob sich die politischen Neulinge auch im Rat behaupten könnten. Aber dennoch werde der eine oder andere wohl sein Kreuzchen bei den "Dunkelgrünen" machen, vermutet Renzsch. "Parteien wie CDU oder SPD gelingt es heute wegen der Vielzahl politischer Fragen nicht mehr, breite Wählerschichten programmatisch an sich zu binden", erläutert er. "Denn die Wähler achten heute stark darauf, wer ihre einzelnen Interessen ganz konkret vertritt."

Gartenpartei-Chef Zander hofft auch auf Stimmen von Wählern, die einen Verdruss gegen etablierte Parteien hegen, als Protestwähler gelten. "In Magdeburg sieht man ja: Für Tunnelbauten und die Domplatzsanierung ist jede Menge Geld da, für die Schulen hingegen nicht", sagt Zander.

"Wir können zwar nichts versprechen, aber wir wollen uns kümmern." - Gartenpartei-Chef Roland Zander

Er wolle sich deshalb mit seiner Partei nicht etwa nur der Kleingarten-Frage widmen, sondern auch weitere Interessen der "kleinen Leute" vertreten. "Wir können zwar nichts versprechen, aber wir wollen uns kümmern", betont Zander. Neugründungen wie die Gartenpartei in Magdeburg oder die bundesweit agierenden Parteien Alternative für Deutschland (AfD) und Piraten müssen sich allerdings auch erst einmal in der politischen Landschaft etablieren.

"Volksparteien wie CDU und SPD haben gelernt, mit Meinungsverschiedenheiten unter ihren Mitstreitern umzugehen und Kompromisse zu formulieren - daran scheitern viele kleine Parteien", erklärt Wolfgang Renzsch. Ein Grund, weshalb wohl auch AfD und Piraten bei der Bundestagswahl nicht den Sprung ins Parlament geschafft haben, denn beide hatten im Vorfeld Streitereien und Personalquerelen.

Doch auch die Hürde, sich personell und programmatisch zusammenzuraufen, ist nicht unüberwindbar. Das zeigt "Future - die junge Alternative". Bereits 1997 hat sich die Partei in Magdeburg gegründet, ist seit 1999 dort im Stadtrat vertreten. Aus dem großen Ziel, eines Tages eine Fraktion im Landtag zu stellen, ist zwar nichts geworden, aber bei der kommenden Wahl strebt Future drei Sitze im Stadtrat an. Aktuell sind es zwei.

"Wir haben bei uns eine lebhafte Diskussionskultur, können uns aber immer wieder auf Kompromisse einigen", erläutert Kandidat Oliver Wendenkampf. Constanze Krüger kandidiert ebenfalls für die Partei, obwohl sie nicht einmal Mitglied ist. "In der Partei wird Mitbestimmung ernst genommen, ich konnte mich dort bislang immer einbringen", sagt Krüger.

Ein wenig gewandelt haben sich die Themen. "Früher wollten wir die Interessen junger Menschen vertreten, mittlerweile sind soziale und umweltpolitische Themen hinzugekommen", erklärt Wendenkampf. Mit Tempo 30 an Schulen, mehr Kita-Plätzen und dem Erhalt städtischer Grünflächen will die Partei nun punkten.

"Ich erwähne nur im persönlichen Gespräch, dass ich kandidiere." - Kandidatin Karin Keindorf

Während die etablierten Parteien in Ballungszentren wie Magdeburg den Neugründungen Angriffsflanken bieten, indem sie manche Themen nur unzureichend abbilden oder Interessengruppen wie die Kleingärtner unterschätzen, haben sie in ländlichen Regionen oft das Problem, nach der Wende von vornherein nicht verankert gewesen zu sein. Karin Keindorf zum Beispiel hat noch nie etwas mit CDU, SPD und Co. am Hut gehabt. Die 59-Jährige kandidiert trotzdem erstmals für den Ortschaftsrat im Haldensleber Ortsteil Satuelle. Der Grund: Keindorf ist Mitglied der Chorgemeinschaft. Und die hat in den vergangenen Jahren immer eine Vertretung im Ortschaftsrat gehabt. Zuletzt stellte sie zwei Mitglieder in dem siebenköpfigen Gremium. Weitere vier Sitze nahm die freiwillige Feuerwehr ein, lediglich zwei Sitze gingen an die CDU.

"Unserer Chorgemeinschaft, aber auch der Feuerwehr geht es darum, das kulturelle Leben im Ort zu erhalten", erzählt Keindorf. Parteien hätten da bislang wenig mitzureden gehabt. "Das ist in der Stadt Haldensleben vielleicht anders, weil dort nicht jeder jeden kennt." Für die Sitze im Ortschaftsrat ist Keindorf zufolge auch kein Wahlkampf nötig. "Auf Plakate verzichte ich. Ich erwähne im persönlichen Gespräch, dass ich kandidiere."

Bei Kommunalwahlen spielt die Bekanntheit der Kandidaten eine zentrale Rolle - "und auf dem Land kennt man sich noch eher als in der Stadt", sagt Politikwissenschaftler Wolfgang Renzsch. Gutheißen würde er es allerdings nicht, wenn die etablierten Parteien weiter an Zustimmung in der Gesellschaft verlieren: "Volksparteien bieten auch Schutz vor extremistischen Gruppierungen."

Immerhin: die etablierten Parteien wollen auf dem Land weiter Fuß fassen, indem sie Nicht-Parteimitglieder auf ihren Listen kandidieren lassen. Von den 1290 SPD-Kandidaten sind laut Landesgeschäftsführer Oliver Draber bis zu einem Drittel nicht in der Partei. Bei den 5211 Kandidaten der CDU sind 43 Prozent parteilos. Politikwissenschaftler Wolfgang Renzsch begrüßt das: "Es ist wichtig, dass sich die Parteien stärker für die Gesellschaft öffnen und das Funktionärsgehabe abbauen."