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Vorbeugende Baumfällung In Magdeburg mit Kanonen auf Käfer geschossen?

In Magdeburg werden derzeit massenhaft Bäume als vorbeugende Maßnahme gegen einen asiatischen Käferschädling gefällt. Der Kahlschlag ist umstritten. Umweltschützer sprechen von Aktionismus. In Bayern zog die Stadt Feldkirchen dagegen vor Gericht.

Von Oliver Schlicht 13.12.2014, 02:14

Magdeburg l "Alle 200 Jahre alten Eichen im Herrenkrugpark umgehauen!" "Zoo bald baumfreie Zone!" Solche Meldungen aus der Landeshauptstadt sind kaum vorstellbar - noch. Park und Zoo liegen am Rand einer behördlich verhängten Quarantänezone, wo der "Asiatische Laubholzbockkäfer" (ALB) entdeckt wurde. Vermutlich eingeschleppt über den nahen Hafen, versteckt in Holzpaletten aus China.

Vorbeugende Baumfällungen im Umkreis von 100 Metern jeder Käfer-Fundstelle sollen die Plage vernichten. Grund: Die Larven des ALB fressen sich durch das Holz und zerstören den Baum. Er bevorzugt Weichholzarten wie Ahorn, Weide, Pappel oder Birke. Hunderte Bäume rund um zwei Fundstellen wurden in Magdeburg seit August bereits gefällt. Sieben Käfer-Fundstellen gibt es in der "Zone" inzwischen insgesamt.

Widerstand gegen Baumfällungen

Ein lokales Magdeburger Problem? Mitnichten. Auch das Magdeburger Umland im Norden steht seit November unter Quarantäne. Die Gefahr einer weiteren Ausbreitung ist real, sagen Experten übereinstimmend. Das zeigen betroffene Gebiete in anderen deutschen Regionen und Ländern. Baumfällungen haben die Ausbreitungen des ALB bislang verzögert, ausgerottet wurde der Käfer nicht.

In Bayern, wo der Käfer zunächst 2004 in Passau und später rund um München gefunden wurde, formiert sich deshalb langsam Widerstand gegen die Fäll-Aktionen. In Feldkirchen (7500 Einwohner) bei München wurde der Käfer 2012 entdeckt. Die Gemeinde klagte in diesem Jahr gegen die vorbeugende Fällung der Bäume auf dem Friedhof. "Die Klage wurde abgewiesen", berichtet Bürgermeister Werner van der Weck. Begründung: Bayern müsse sich an die Vorgaben halten, die das federführende Julius-Kühne-Bundesinstitut in Braunschweig zum ALB erlassen habe.

Diese schreiben die Fällungen im 100-Meter-Radius vor. Fünf Fällzonen gibt es in Feldkirchen bereits. 350.000 Euro Fällkosten hatte die Kommune bislang. "Täglich klettern Steiger bei uns in die Bäume und suchen nach Schadstellen und Larven", erzählt van der Weck. Eine "Katastrophe biblischen Ausmaßes" sei das, die das Ortsbild sichtbar verändert habe.

BUND fordert Beschränkung für Verpackungsholz

Der Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND) in Bayern kritisiert den vorbeugenden Kahlschlag als Aktionismus. In der aktuellen Ausgabe des Münchner Magazins "Natur Umwelt" begründet das der Verband. Käfer und Larven des ALB seien im Baum selbst für Experten nur sehr schwer von anderen Käfern zu unterscheiden.

Die tatsächliche Ausbreitung sei viel größer, die Fundstellen nur die Spitze des Eisbergs. Der Käfer wäre schon längst nicht mehr durch vorbeugende Fällungen zu bekämpfen. Gefordert wird stattdessen neben dem Fällen befallener Bäume das bessere Erfassen der ALB-Population durch ausgebildete Experten und strengere Beschränkungen bei der Einfuhr von Verpackungsholz.

"Wir töten ja auch nicht Menschen, nur weil jemand in der Nähe an Grippe erkrankt ist", formuliert es drastisch Oliver Wendenkampf, Chef vom BUND in Sachsen-Anhalt. Die vorbeugenden Fällungen von gesunden Bäumen sei nur eine Billiglösung.

Käferbekämpfer sind sich nicht einig

Wird mit Kanonen auf Käfer geschossen? Die Experten der Behörden vermitteln in den Bürgerversammlungen Bilder einer drohenden Katastrophe von apokalyptischem Ausmaß. In Feldkirchen und darüber hinaus werde der Käfer alle Bäume vernichten, wenn nicht gefällt wird, so Hannes Lemme von der bayerischen Landesanstalt im April dieses Jahres. 2012 habe es wohl etwa 1000 ALB im Ort gegeben.

"Wenn nichts gemacht wird, werden es 2018 über zwei Millionen Käfer sein", zitierte ihn der Münchner Merkur. In Magdeburg sprach kürzlich auf der Bürgerversammlung Thomas Schröder, ALB-Experte beim Kühne-Institut Braunschweig, von "80 Millionen Bäumen, die der ALB allein in einer chinesischen Provinz vernichtet hat".

"Die Aussage zu China muss man etwas relativieren", schränkt Reiner Schrage, oberster ALB-Bekämpfer für Nordrhein-Westfalen in Bonn, ein. Dort seien in erster Linie riesige Monokulturen von Pappeln befallen worden. "In diesen Weichholz-Plantagen konnte sich der Käfer explosionsartig ausbreiten." Solche Bedingungen gibt es in Europa nicht.

Ähnliche Entwicklung wie andere Bockkäfer

Gerhard Renker, ebenfalls Experte vom NRW-Pflanzengesundheitsdienst, ergänzt: "In den USA und Kanada hat sich der Käfer im gesunden ökologischen Umfeld von Mischwäldern ähnlich entwickelt, wie andere heimische Bockkäferarten auch." Dort ist der ALB seit 1996 nachgewiesen.

"Sein natürlicher Feind, der Specht, holt sich im Mischwald die Larven genauso aus dem Holz wie die Larven anderer Käfer", sagt Renker. Der Käfer hat sich an der amerikanischen Ostküste inzwischen weit verbreitet - ohne, dass eine ökologische Katastrophe eingetreten wäre.

Bedrohlich sei die Situation bei befallenen Bäumen, die entfernt voneinander stehen, im städtischen Grün, insbesondere in Gewerbegebieten und Binnenhäfen, wo die Käfer aus Fernost "anlanden". Dort sei eine Bekämpfung dringend notwendig. Der häufig nur etwa 100 Meter weit fliegende ALB verbleibt im Baum, vermehrt sich, seine Larven zerstören langfristig das Holz. Dies treffe auch in Magdeburg zu.

Extremer Befall im Magdeburger Hafen

Die beiden NRW-Experten beraten die Landesanstalt von Sachsen-Anhalt. Sie verteidigen ausdrücklich die dort bislang vorgenommenen Maßnahmen. "Wir waren vor Ort. Der im Hafen an einer Weide entdeckte Befall war wirklich extrem", so Reiner Schrage. Es mache auch Sinn, in Magdeburg-Rothensee die Möglichkeiten der 100-Meter-Fällzonen auszunutzen, da es sich überwiegend um Gewerbe- und Industrieflächen handelt. Grundstückseigentümer werden hier nicht zur Kasse gebeten. Die Fällkosten tragen das Land und die EU.

In Nordrhein-Westfalen, wo es in und bei Bonn ALB-Quarantänezonen gibt, wird übrigens im Einzelfall geprüft, ob es nötig ist, im 100-Meter-Umkreis alle Bäume zu fällen. "Diese Entscheidung behalten wir uns vor", so Gerhard Renker. Das habe bereits zu Diskussionen mit dem Kühne-Institut in Braunschweig geführt. "Bislang gibt es lediglich eine Leitlinie über ein abgestimmtes Vorgehen der Länder. Gesetzlich bindend ist das nicht."

Dieses Schlupfloch hat aber finanzielle Konsequenzen. Renker: "Wer die Leitlinie aus Braunschweig, die sich an EU-Vorgaben orientiert, nicht umsetzt, bekommt auch kein Geld aus Brüssel." Die Hälfte der Fällkosten übernimmt die EU - aber nur, wenn im 100-Meter-Radius alle Laubbäume gefällt werden. Renker schmunzelt: "Der Käfer kam in der Vergangenheit mancher Kommune nicht ganz ungelegen - zur kostengünstigen Umgestaltung von Grünflächen."