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Warten auf Gerichtsverfahren "Die Justiz wird kaputtgespart"

Jörg Biastoch hat mehr als 8000 Euro hingeblättert, um beim
Sozialgericht in Magdeburg zu klagen. Weil das Personal in der Justiz
wegen der Sparvorgaben der Regierung und der anhaltenden
Hartz-IV-Klageflut knapp ist, wartet der Unternehmer nun schon seit drei
Jahren auf sein Verfahren.

18.02.2015, 01:18

Magdeburg l "Ich fühle mich mittlerweile um mein Recht gebracht", sagt Jörg Biastoch verärgert. Er ist Inhaber einer Gesellschaft, die seit 2006 Seniorenwohnzentren an fünf Standorten in Sachsen-Anhalt betreibt. Seit drei Jahren kämpft Biastoch darum, seinen Standort in Meisdorf bei Aschersleben zu erweitern. Das Sozialgericht in Magdeburg lässt sich Zeit, eine Rechtsstreitigkeit zu entscheiden.

Für die Erweiterung hätte Biastoch einen neuen Versorgungsvertrag mit den Pflegekassen abschließen müssen. Obwohl die Kassen ihm bereits grünes Licht signalisierten, grätschte die Sozialagentur des Landes Sachsen-Anhalt dazwischen. Sie zahlt Sozialhilfe für Pflegebedürftige, die auf sie angewiesen sind, und muss deshalb Versorgungsverträgen zwischen Biastoch und den Pflegekassen zustimmen. "Die Agentur untersagte mir den Vertragsabschluss, weil die Leistungen, die wir bieten, zu teuer seien."

Mehr als 19.000 Verfahren für 105 Sozialrichter

Biastoch reichte daraufhin über seinen Anwalt eine Klage ein, das Sozialgericht bestätigte den Eingang im März 2012. Dann geschah nichts. Erst rund 21 Monate später bekam Biastoch wieder Post. Doch die enthielt nicht den ersehnten Termin für das Verfahren, sondern einen Kostenbescheid. "8868 Euro habe ich überwiesen", erzählt der Unternehmer. Über seinen Anwalt ließ er die langen Verzögerungen rügen, das erste Mal im Mai 2013, das zweite Mal Anfang Januar dieses Jahres. "Doch das hat nichts gebracht", sagt er, "in meinem Streitfall ist der Rechtsweg quasi ausgeschlossen, weil das Sozialgericht faktisch nicht arbeitet".

Statistisch beträgt die Verfahrensdauer an den Sozialgerichten des Landes rund 18 Monate. Ursache für die langen Wartezeiten ist die anhaltende Flut von Hartz-IV-Klagen. Im vergangenen Jahr mussten sich die 105 Richter mit rund 19.000 Verfahren beschäftigen, etwa 1.000 weniger als 2013. Bei jedem zweiten Verfahren ging es um einen Hartz-IV-Streitfall. So bleibt für Sonderfälle wie Pflege-Unternehmer Biastoch nicht viel Zeit.

Justiz-Staatssekretär Thomas Wünsch weiß um das hohe Aufkommen von Klagen. In den vergangenen Jahren seien die Sozialgerichte personell immerhin so verstärkt worden, dass es laut der bundesweit eingesetzten Personalbedarfsplanung theoretisch keinen Mangel an Richtern gibt. "Die Bedarfsplanung erfasst allerdings nicht die Verfahren aus früheren Jahren, die noch abgeschlossen werden müssen", erklärt Wünsch weiter und verdeutlicht: "Allein mit den Altfällen könnten wir unsere Richter ein Jahr lang voll beschäftigen, ohne dass sie neue Fälle bearbeiten."

Aufgrund der zusätzlichen Belastungen habe das Ministerium Richter aus anderen Bereichen an die Sozialgerichte zur Unterstützung abgeordnet. Obwohl die Personalverschiebung aber offenbar kaum ausreicht, will das Finanzministerium von Jens Bullerjahn (SPD) dem Justizressort kein Geld für weitere Richterstellen geben - weil der Personalbedarf ja statistisch gedeckt ist.

Jede zweite Hartz-IV-Klage erfolgreich

Dabei ist es unwahrscheinlich, dass die Hartz-IV-Klageflut in den kommenden Jahren abnimmt und die Richter entlastet werden. Denn die Kläger haben oft Erfolg: Etwa jeder zweite Hartz-IV-Fall wird zugusten des Klägers entschieden, bei Klagen in anderen Bereichen liegt die Erfolgsquote gerade einmal bei zehn Prozent. "Das hängt damit zusammen, dass die Hartz-IV-Gesetzgebung oft unterschiedlich ausgelegt werden kann", erläutert Wünsch. Das heißt aber auch: Oft sind die Hartz-IV-Bescheide der Behörden fehlerhaft, wobei es für sie auch schwer ist, angesichts schwankender Miet- und Energiepreise zu ermitteln, welche finanziellen Zuwendungen für Hartz-IV-Empfänger angemessen sind.

Der Verband Deutscher Alten- und Behindertenhilfe (VDAB), dem Jörg Biastoch als Vorstandsmitglied angehört, hat beim Landtag nun eine Petition eingereicht, um gegen den anhaltenden Personalnotstand bei den Sozialgerichten zu protestieren.

"Mit seiner Sparpolitik gefährdet Finanzminister Bullerjahn die Funktionsfähigkeit des Rechtsstaats, die Justiz wird kaputtgespart", begründet VDAB-Referentin Gisela Gerling-Koehler die Petition. Staatssekretär Thomas Wünsch geht jedoch nicht davon aus, dass sein Ressort weiteres Personal bekommt. Der Bedarf für die Sozialgerichtsbarkeit werde erst im Laufe des Jahres neu ermittelt, Ergebnisse der Erhebung gebe es frühestens zur Jahresmitte 2016.

Ein kleiner Trost für Biastoch: Das Bundessozialgericht (BSG) in Kassel hat vor Kurzem entschieden, dass nicht nur Bürger, sondern auch Unternehmen eine Entschädigung wegen überlanger Dauer von Verfahren beanspruchen können. Den Richtern zufolge können sie 1200 Euro pro Jahr verlangen. Entscheidend sei nur, ob das Verfahren bis dato unangemessen lange gedauert hat. Welche Dauer angemessen ist und welche nicht, müsse allerdings noch geklärt werden.