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  5. "Industrielle Agrarstrukturen sind für solche Skandale besonders anfällig"

Als Lehre aus dem Dioxin-Skandal fordert Bauernbund-Präsident Klamroth einen Kurswechsel in der Landwirtschaftspolitik: "Industrielle Agrarstrukturen sind für solche Skandale besonders anfällig"

08.01.2011, 04:25

Nicht nur die Gier einzelner Akteuere der Tierfutterindustrie sei schuld am Dioxin-Skandal, sagt der Deutsche Bauernbund (DBB). Eine beinahe landesweite Futtervergiftung werde erst durch industrielle Agrarstrukturen ermöglicht, sagt DBB-Präsident Kurt-Henning Klamroth im Gespräch mit Winfried Borchert. Dafür verantwortlich sei auch eine verfehlte Landwirtschaftspolitik.

Volksstimme: Herr Klamroth, kein Fleisch- oder Eierkäufer weiß, ob sein Lebensmittel verseucht ist. Sollte der Agrarminister die Namen der mit Dioxin-Futter belieferten Agrarbetriebe öffentlich machen?

Kurt-Henning Klamroth: Ich sehe darin keinen Sinn. Die Betriebe, die in dem Skandal genauso Opfer sind, würden Schaden erleiden, ohne dass die Verbraucher davon etwas hätten. Wichtig ist, die kriminellen Verursacher der Situation zu finden und hart zu bestrafen.

Volksstimme: Viele Menschen fragen sich aber, was sie gefahrlos essen können.

Klamroth: Bei Eiern lässt sich anhand von Prüfungen und Chargen-Nummern zuordnen, ob die Ware belastet ist. Bei Fleischprodukten ist das praktisch nicht möglich. Wenn der Verbraucher Rotwurst oder Schnitzel im Supermarkt kauft, kann er nicht zurückverfolgen, von welchem Schwein die Wurst stammt und ob das womöglich giftiges Futter gefressen hat. Denn das Schwein wurde wahrscheinlich gleichzeitig mit -zig anderen Tieren aus anderen Betrieben verarbeitet.

Volksstimme: Das bedeutet, der Verbraucher hat keine Chance zu erfahren, was er da isst?

Klamroth: Hat er, aber nur wenn er bei einem Betrieb kauft, der seine Produkte selbst verarbeitet und vermarktet. Das wäre für unsere Landwirtschaft aber nicht realistisch. Deshalb müssen wir dem Verbraucher eine Generalgarantie geben, dass er sichere Lebensmittel erhält.

Volksstimme: Das ist schon oft versprochen worden, hat neue Lebensmittelskandale aber nicht verhindert.

Klamroth: Das stimmt leider, weil die Agrarminister von Bund und Ländern eine falsche Landwirtschaftspolitik betreiben. Sie reden zwar von der Förderung heimischer Agrarbetriebe, fördern aber vor allem eine Konzentration auf immer größere, industrielle Agrarstrukturen, die für Skandale dieser Art besonders anfällig sind. Bei der Futtermittelherstellung etwa wird der Markt von wenigen Großfirmen beherrscht. Wenn dann an einer Stelle etwas schiefläuft, gibt es einen Flächenbrand. Daran können auch klangvolle Qualitätssicherungssysteme nichts ändern. Die Verursacherfirmen haben ja diverse Qualitätszertifikate. Jetzt zeigt sich, was die wert sind.

Volksstimme: Wir brauchen also einen Neuanfang in der Landwirtschaft?

Klamroth: Ich würde es Kurswechsel nennen. Wohlgemerkt: Niemand von uns will zurück zu Pferd und Pflug, selbst Ökobauern nicht. Wir brauchen aber endlich eine Agrarpolitik, die nicht wie jetzt die bäuerlichen Familienbetriebe gegenüber den Kapitalgesellschaften drastisch benachtei-ligt, wobei Sachsen-Anhalt in der Investitionsförderung ein besonderes Negativbeispiel darstellt.

Volksstimme: Können kleine Strukturen Fehler oder kriminelles Handeln verhindern?

Klamroth: Nein. Aber es kommt nicht sofort zu einem bundesweiten Flächenbrand. Wir brauchen zugleich eine gesetzliche Bindung der Tierproduktion an den Grund und Boden. Wer Schweine oder Rinder hält, muss nachweisen, dass er das benötigte Futter auf seinem Land anbauen kann. Natürlich wird man dann immer noch Futter zukaufen. Aber der staatlich geförderte Gigantismus mit Schweinemastanlagen von 12 000 Plätzen und mehr wäre nicht mehr möglich. Und das zum Wohl der Verbraucher, der Umwelt und des Tierschutzes.

Volksstimme: Das könnte auch ein Grüner oder Umweltschützer sagen, Sie sind aber bekennender Konservativer und CDU-Mitglied. Wie passt das zusammen?

Klamroth: Ich sehe da keinen Widerspruch. Ich setze auf den gesunden Menschenverstand. Wir konservativen Bauern wollen, dass auch unsere Kinder und Enkel auf dem Land ihrer Vorfahren ihren Lebensunterhalt verdienen können. Das geht nur, wenn wir das Vertrauen der Verbraucher in gesunde Lebensmittel bewahren, die Umwelt nicht vergiften und auch das Tier als Geschöpf betrachten, nicht wie ein Stück Eisen in der Industrieproduktion. Deshalb sitzen wir konservative Bauern mit Umwelt- und Tierschützern in einem Boot, solange es sich nicht um versponnene Ökos handelt.