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Wilfried Köhler, Landesstabsstellenleiter Demografie, im Interview "Es gibt keinen Grund, den Kopf in den Sand zu stecken"

28.10.2011, 04:22

Kann die Politik dem demografischen Wandel in Sachsen-Anhalt gegensteuern? Über dieses Thema sprach Redakteur Oliver Schlicht mit dem zuständigen Stabsstellenleiter Demografischer Wandel, Wilfried Köhler.

Volksstimme: Eine nachhaltige Finanzpolitik sei ein Schwerpunktbereich in der Auseinandersetzung mit dem demografischen Wandel, steht im Strategiepapier der Landesregierung. Sollte eine solche Politik nicht selbstverständlich sein?

Wilfried Köhler: Natürlich. Einer vorausblickenden Finanzpolitik kommt vor dem Hintergrund des demografischen Wandels eine grundlegende Bedeutung zu. Wenn die Bevölkerungszahl zurückgeht, entsteht ein besonderer Finanzdruck. Einnahmen und Zuschüsse gehen zurück. Alles, was wir an Wünsch-dir-Was auflisten, muss unter den Generalvorbehalt gestellt werden, ob die Investition in der Zukunft noch vertretbar ist. Das gilt zum Beispiel für jeden Straßenbau.

Volksstimme: Also gibt es in vielen Gebieten Sachsen-Anhalts bald viele Alte, die auf schlechten Straßen unterwegs sind?

Köhler: Natürlich nicht. Eine funktionierende Infrastruktur auf dem Land ist aus zweierlei Gründen auch für die Zukunft wichtig. Zum einen hat sich die Landesregierung zum Ziel gesetzt, dass im ländlichen Raum nicht gleiche, aber gleichwertige Lebensverhältnisse zu erhalten und zu entwickeln sind. Dazu gehören auch der Bau und die Instandsetzung von Straßen. Zum anderen hat sich gezeigt, dass wirtschaftliche Entwicklung dort stattfindet, wo die Verkehrsanbindungen funktionieren. Deshalb haben wir große Hoffnung, dass sich nach Fertigstellung der A38 die Wirtschaft im Landkreis Mansfeld-Südharz besser entwickeln wird. Ähnliches gilt in einigen Jahren für die Altmark durch die Verlängerung der A14 nach Norden. Die wirtschaftliche Entwicklung einer Region ist das beste Rezept gegen Abwanderung.

Volksstimme: Sie sprechen vom Erhalt gleichwertiger Lebensräume. Das ist schwer vorstellbar, wenn durch den Mangel an Kindern immer mehr Kitas und Schulen im ländlichen Raum geschlossen werden und junge Familien dort keine Lebensperspektiven mehr haben. Droht da nicht ein Dominoeffekt aus Abwanderung und Vergreisung?

Köhler: Es gibt bereits jetzt Bemühungen, dem durch die Absenkung von Schülerzahl-Standards auf dem Land gegenüber der Stadt zu begegnen. Zukünftig kann ich mir mehr Ganztagsschulen und auch einen jahrgangsübergreifenden Unterricht vorstellen. An Orten, wo weniger Menschen leben, muss es nicht zwangsläufig eine schlechtere Schulbildung geben.

Volksstimme: Schafft sich bei den jetzt prognostizierten Bevölkerungsrückgängen das Land Sachsen-Anhalt nicht irgendwann selbst ab?

Köhler: Nein, das sehe ich nicht so. Politik wird für die Menschen gemacht, die da sind. Egal ob das nun 2,35 Millionen oder 2,18 Millionen Menschen sind. Der Anspruch an die Politik, das Leben dieser Menschen positiv zu gestalten, bleibt bestehen. Es gibt auch keinen Zusammenhang, dass mehr Bevölkerungsdichte zwangsläufig mit mehr Lebensqualität verbunden ist. Sonst müssten die Menschen in Kalkutta oder Mexiko-City ja die glücklichsten auf der Welt sein.

Volksstimme: Zum Teil werden die Negativprognosen bis in das Jahr 2050 hochgerechnet. Ist die Darstellung einer Bevölkerungsentwicklung in einer so fernen Zukunft seriös?

Köhler: Aus meiner Sicht hat das mehr mit Kaffeesatzleserei zu tun. Es gibt in der europäischen Geschichte immer auch Beispiele, wie Wanderungsbewegungen die demografische Entwicklung in den Regionen beeinflusst haben. Das kann viel verändern. Wir betrachten aktuell den Zeitraum bis 2025. 15 Jahre in die Zukunft zu blicken, ist realistisch. Mit den Herausforderungen dieser Zukunft können wir gut leben. Es gibt überhaupt keinen Grund, den Kopf in den Sand zu stecken.