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Sozialministerium, Arbeitsagentur und Wirtschaft gewinnen über Qualifizierungsprogramm neue, dringend benötigte Fachkräfte Zweite Chance mit "EQ plus" - Hunderte Jugendliche in Ausbildung

Von Andreas Stein 30.01.2012, 05:41

Magdeburg/Halle l Florian Redlich hat es geschafft. Der 21-Jährige konnte vor kurzem bei einem Möbelhändler in Magdeburg eine Ausbildung als Fachkraft für Möbel, Küchen und Umzugsservice antreten - trotz schlechter Schulnoten. "Ich war schon immer praktisch veranlagt und fühle mich hier sehr wohl", sagt der frischgebackene Vater. Dabei hatte es lange so ausgesehen, als würde er wegen seines schlechten Hauptschulzeugnisses weder Ausbildung noch Arbeit finden. Florians Glück: Nach jahrelangen Qualifizierungsmaßnahmen bei Bildungsträgern kam der junge Mann ins von Land, Arbeitsagentur und regionalen Unternehmen organisierte Programm zur betrieblichen Einstiegsqualifizierung, kurz EQ.

Es funktioniert wie ein bezahltes Praktikum, dauert sechs bis zwölf Monate, am Ende gibt es ein Zertifikat - oft das erste aussagekräftige Dokument für den Lebenslauf, das die Teilnehmer erhalten. 226 Euro im Monat erhalten die Teilnehmer außerdem bar auf die Hand. "Das Programm ist vor rund sieben Jahren im Rahmen des bundesweiten Ausbildungspaktes entstanden. Schulmüde Jugendliche sollen sich beweisen, motiviert werden und lernen, dass Ausbildung und Arbeit der Normalfall und nicht die Ausnahme sind", erklärt Lutz Mania von der Bundesagentur für Arbeit. Sie werden schon vor dem Abschluss von den Berufsberatern der Agentur angesprochen und ins Programm gebracht.

Das Programm erwies sich als Renner - 226 Jugendliche konnten allein im vergangenen Jahr im Anschluss an EQ eine Berufsausbildung beginnen - 42 Prozent aller Teilnehmer. 1,5 Millionen Euro lässt sich die Bundesagentur das Programm kosten - gut investiertes Geld, ist Mania überzeugt. Denn der Fachkräftemangel ist längst bei den regionalen und lokalen Unternehmen angekommen. "Wir haben nicht genug Jugendliche in Qualität und Quantität." Deshalb werde jeder junge Mensch gebraucht.

Sachsen-Anhalt ist bei dem Programm in der Vorreiter-Rolle

Die Firmen im Land kennen EQ inzwischen und rennen den Industrie- und Handelskammern die Tore ein - von 2010 bis 2011 haben sich 1200 Unternehmen gemeldet, doch so viele Jugendliche gebe es gar nicht, die für EQ infrage kommen. "Die einheimischen Unternehmen werden so sozialer Verantwortung gerecht, grundsätzlich ist es aber Aufgabe der Schule, junge Leute mit nötigem Rüstzeug auszustatten", sagt Matthias Menger, Geschäftsführer der Arbeitgeber- und Wirtschaftsverbände.

Keine berufsfördernde Maßnahme ist erfolgreicher - deshalb wurde die Einstiegsqualifikation in Sachsen-Anhalt noch zu "EQ plus" weiterentwickelt. In Abstimmung mit dem Kultusministerium bilden die Teilnehmer an den regionalen Berufsschulen eigene Klassen und bekommen einmal pro Woche dringend benötigte Nachhilfe in den sogenannten MINT-Fächern (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik). Andere Bundesländer wollen diese Idee übernehmen.

"Wir haben hier eine Vorreiterrolle und der Erfolg gibt uns recht", sagt Carola Schaar, Präsidentin der Industrie- und Handelskammer Halle-Dessau. Nicht einer habe seine Ausbildung abgebrochen, der durch EQ in einen Betrieb gekommen ist, rechnet sie vor. Gefragt sind bei den Jugendlichen vor allem die Arbeit im Hotel- und Gaststättengewerbe, Lager und Logistik, Kfz- und Fertigungsmaschinen, aber auch Buchhandel und IT-Bereich.

Florian Redlich hat im Möbelgeschäft seinen Traumberuf gefunden - und macht weit mehr als nur Möbel zu schleppen. "Für uns sind nicht seine Noten, sondern die Sozialkompetenz entscheidend", sagt Möbelmarkt-Leiter Matthias Utermark. Seine Mitarbeiter sind im Schnitt 50 bis 60 Jahre alt - der Fachkräftemangel ist absehbar. "Durch das intensive Kennenlernen bei EQ, viel mehr als ein Praktikum, gewinnen wir einen Mitarbeiter, der sich mit dem Unternehmen identifiziert", so Utermark.

Auch das Sozialministerium unterstützt das Qualifizierungsprogramm. "Das ist keine gönnerhafte Geste. Die Jugendlichen haben das Recht auf Unterstützung. Und die Zeit, dass Unternehmen sich ihre Leute aus einer breiten Bewerbermasse aussuchen konnten, ist vorbei", sagt Norbert Bischoff, Arbeits- und Sozialminister (SPD). Er findet, man sollte die Stärken der Schüler nicht nur an ihren Noten ablesen. "Das meiste lernt man in der Praxis." Seite 3