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Die Medienserie der Volksstimme (Teil 5): 3D-Kino boomt Kino im Umbruch: Effekt oder Story?

Von F.-René Braune und Oliver Schlicht 03.04.2010, 05:16

Manche Effekte sind wirklich erstaunlich: Ähnlich wie Quallen scheinen leuchtende Blüten durch den Kinosaal zu schweben, hin und wieder macht einer der Leinwandakteure den Eindruck, direkt vor dem Kinobesucher zu agieren. Geschosse erwecken den Eindruck, den bebrillten Filmfreund mitten im Saal treffen zu wollen. Mit "Avatar - Aufbruch nach Pandora" hat sich die Dreidimensionalität angeschickt, das Kino zu erobern. Aber wird sie auch den Sieg davontragen?

Magdeburg. Obwohl es 3D seit Jahrzehnten - und in seiner neuesten Technologie auch schon seit Jahren gibt - hat sich diese Art, Filme zu sehen, erst mit James Camerons "Avatar" endgültig vom cineastischen Randgruppendasein zum kassenträchtigen Massenvergnügen gemausert. Die Zahl von mehr als zwei Milliarden eingespielten US-Dollar und der daraus resultierende Status "erfolgreichster Film aller (bisherigen) Zeiten" belegen dies zweifelsohne.

Erreicht wurde dies, obwohl sich viele "Avatar"-Besucher in ihrem Urteil einig sind: Sehenswerte Effekte, aber die Handlung ist eher schwach. Das Internet ist voll von Foren, in denen genau dies zum Ausdruck gebracht wird. Aber damit nicht genug: Zu lesen ist auch immer wieder von "anstrengendem Sehen", "ruckligen Bildern bei schnellen Sequenzen" oder "Unschärfen, an die man sich erst gewöhnen muss". Normalerweise genügt dergleichen Mundpropaganda, um einem Kinofilm den Höhenflug zu versagen, bei "Avatar" jedoch kann davon keine Rede sein. Warum nicht?

Eine Kampagne über das "Epochale"

Natürlich könnte man eine gewaltige Marketing-Kampagne ins Feld führen, die schon vor Beginn der Dreharbeiten das "Epochale" des neuen Cameron-Werkes publikumswirksam ins allen Medien in Szene gesetzt hat. Aber damit allein ist der Erfolg nicht zu erklären. Zum einen profitierte der Film von seiner nahezu ungebrochenen Präsenz in der öffentlichen Wahrnehmung - ein Rekord jagte den nächsten, schon wenige Wochen nach seinem Start war es nur noch eine Frage der Zeit, wann er "Titanic" überholen würde. Von "Avatar" nichts gelesen, gesehen oder gehört zu haben, hätte ein mehrwöchiges Koma vorausgesetzt.

Aus diesem In-aller-Munde-sein entwickelte sich wiederum fast zwangsläufig der Muss-man-gesehen-haben-Effekt. Man wollte mitreden können. Und sei es nur, um die anderen in ihrer Bewertung zu bestätigen oder zu widerlegen.

Bemerkenswert dabei ist übrigens, dass der kommerzielle Erfolg sich nicht maßgeblich auf die Zuschauerzahlen zurückführen lässt, sondern vielmehr auf die höheren Eintrittspreise. Statistiker haben berechnet, dass - wenn man die Inflation berücksichtigt - der Klassiker "Vom Winde verweht" in der Zuschauergunst noch immer weit vor "Avatar" liegt.

Ungeachtet dessen scheint der "Aufbruch nach Pandora" zugleich der Aufbruch in ein neues Kinozeitalter zu sein. Immer mehr Filme setzen in den kommenden Monaten auf 3D, immer mehr Kinos investieren in die notwendige Technik. Aber ist die Zukunft des Kinos wirklich dreidimensional?

Technische Kinderkrankheiten

Selbst wenn man davon ausgeht, dass alle genannten technischen Kinderkrankheiten irgendwann überwunden sein werden, wenn jedes Bild gestochen scharf zu erkennen ist, wenn die Augen nicht ermüden und der komplette Film tatsächlich räumlich wirkt – und bis dahin dürfte es noch ein weiter und teurer Weg sein – ist dies doch eher zu bezweifeln.

Ein Blick in die Kinogeschichte untermauert diese Skepsis. Denn grundsätzlich ist 3D-Kino nicht wirklich neu. 1937 konnte das Kinopublikum im Deutschen Reich bereits die "Gartenschau in Dresden" in einem 3D-Farbfilm bewundern. Nach dem Krieg war das Kino Ende der 1950er Jahre bemüht, über das räumliche Bild mehr Publikum anzulocken. Ein Beispiel für eine aufwändige Produktion ist der im Cinemascope-Breitbildverfahren gedrehte 3D-Klassiker "Der Schatz der Balearen" von 1960. Auch Alfred Hitchcocks "Bei Anruf Mord" und das Filmmusical "Kiss me, Kate" sind bekannte 3D-Beispiele aus den 1950er Jahren.

Dass sich im Kino 3D trotzdem bislang nicht durchgesetzt hat, lag vor allem an technischen Unzulänglichkeiten. Zumeist mussten die "Stereo-Filme" synchron über zwei Projektoren laufen, was selten ganz genau funktionierte. Auch sorgten Helligkeitsunterschiede in der Projektion für ein unruhiges Bild, was beim Betrachter Kopfschmerzen verursachte.

In der digitalen Filmwelt von heute scheinen diese Abstimmungsprobleme gelöst zu sein. Weitgehend, denn auch heute buhlen unterschiedliche Projektionsverfahren um die Gunst der Kinobetreiber. Egal ob "RealD", "Masterimage", "XPanD" oder "IMAX 3D" – alle werben indirekt damit, die technischen Unzulänglichkeiten des Mitbewerbers gelöst zu haben.

Dennoch scheint sich die dritte Dimension nun endgültig durchzusetzen. Nach Angaben des Branchenmagazins "c‘t" vom Januar dieses Jahres sind inzwischen deutschlandweit 260 Kinos technisch in der Lage, 3D-Filme zu zeigen.

"Noch drei Jahre, dann wird es im Kino fast nur noch 3D-Filme zu sehen geben", verkündete vor wenigen Monaten der US-amerikanische Filmproduzent Jeffrey Katzenberg, Miteigentümer des großen Studios DreamWorks. Wird er Recht behalten? Wohl kaum.

Außerirdische Landschaften

Denn Kino lebt in erster Linie von der Story, von der Geschichte und nicht vom Effekt. Natürlich sind computergenerierte, an Farbenfreudigkeit kaum zu überbietende außerirdische Landschaften in ihrer Dreidimensionalität spektakulär hübsch anzusehen. Aber nur fürs Auge, nicht fürs Herz. Kino lebt in erster Linie von der Emotion, nicht von der Attraktion.

Zweifellos wird es in Zukunft viele Filme geben, die für die 3D-Technik prädestiniert sind – Filme, in denen Spezialeffekte, Fantasygestalten, Comicfiguren oder Science-Fiction-Szenarien das Geschehen dominieren. Aber auch daran wird man sich gewöhnen, der Reiz des Neuen wird verblassen und der Filmfreund wieder nach "Nahrung für die Seele" fragen. Wäre "Notting Hill" ein schönerer Film, wenn sich Julia Roberts und Hugh Grant dreidimensional zusammenfinden? Wohl kaum, denn die großen Gefühle entstehen auf der Leinwand und in den Köpfen der Zuschauer nicht durch ihre Räumlichkeit, sondern weil sie anrührend erzählt werden. Möglicherweise – aber dies ist eine leicht zynische Unterstellung – sieht James Cameron das genauso.

Vielleicht hat er die Handlung seines Film ganz bewusst leicht verdaulich gestaltet – damit man sich auf die Bilder konzentrieren kann. Man darf gespannt sein, was die Zukunft bringt.