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Kandidat für "Magdeburger des Jahres 2012": Gerald Altmann, Behinderten-Fanbeauftragter beim 1. FC Magdeburg Nächstenliebe in Blau-Weiß kennt keine Barrieren

Von Rainer Schweingel 27.11.2012, 02:23

Zum Jahresende sucht die Volksstimme traditionell den Magdeburger des Jahres. Zwölf Kandidaten stehen zur Wahl, die wir Ihnen näher vorstellen. Heute: Gerald Altmann, ehrenamtlicher Behinderten-Fanbeauftragter des 1. FC Magdeburg.

Magdeburg l "Sagen Sie mal, wer hat mich eigentlich vorgeschlagen?" Gerald Altmann ist auch wenige Tage nach seiner Nominierung für den Magdeburger des Jahres 2012 einigermaßen ratlos. Vor allem aber ist er überrascht. "Damit habe ich im Traum nicht gerechnet", gibt der waschechte Magdeburger, der die Wahl schon aus den Vorjahren kennt, einen Einblick in sein Gefühlsleben. Handballer Stefan Kretzschmar und Fußballtrainer Dirk Heyne hatte Gerald Altmann seinerzeit mit seiner Stimme mit zum Titel Magdeburger des Jahres verholfen. Nun steht er plötzlich selbst auf der Kandidatenliste. Und mit ihm eine Mischung aus Freude, Anspannung und der Skepsis, missverstanden zu werden. Gerald Altmann: "Ich engagiere mich gern für Fans mit Behinderungen, aber meine Arbeit ist kein Werk von einem Einzelnen", diktiert er dem Reporter in den Block, um dann nachzuschieben: "Schreiben Sie bitte unbedingt, dass da viele Helfer sind wie der FCM-Fanbeauftragte Ralf Dobberitz, Hans-Jürgen Sasse vom Verein für barrierefreies Umfeld (VBU), meine Frau Heike oder die vielen Helfer des Dachverbandes der FCM-Fanclubs."

Nicht zuletzt deshalb ist es ihm unangenehm, am Freitag beim FCM-Spiel gegen Cottbus für dieses Zeitungsporträt im Beisein der Fans abgelichtet zu werden. "Du wirst ja noch berühmt", hatten da manche schon geflachst.

Das aber ist er schon, denn Gerald Altmann kümmert sich seit Jahren beim 1. FC Magdeburg um die Betreuung von Fans mit Behinderungen und ist deswegen kein Unbekannter mehr. Doch zum Fan-Behindertenbeauftragten kommt er so überraschend wie zur Kandidatur selbst. "Ich bin eigentlich nicht der Typ Funktionsträger, der zu Sitzungen geht", sagt er über sich selbst. Doch ein Vorfall ändert diese Einstellung. Als der FCM wegen des Stadionneubaus einst ins Germerstadion ausweichen muss, sollen die Rollstuhlfahrer ihren angestammten Platz wegen einer Werbebande räumen und hinters Tor abgeschoben werden. Gerald Altmann weigert sich als Einziger, kämpft für die Stammplätze und wird plötzlich so etwas wie das Sprachrohr von FCM-Fans mit Behinderungen. Wenn es was zu klären gibt, heißt es fortan: "Gerald, kannst du mal ...?"

Trotzdem dauert es noch ein paar Jahre, bis sich das auch in einer Funktion niederschlägt. Gerald Altmann: "Als Präsident Peter Fechner ins Amt kam, habe ich gemerkt, dass die Sorgen der FCM-Fans mit Behinderungen erstmals wirklich ernst genommen wurden. Das war dann das Signal, mich richtig zu engagieren."

Gerald Altmann sagt also doch zu, als er 2011 zum Fan-Behinderten-Beauftragten des 1. FC Magdeburg berufen werden soll. "Ich hatte die ganze Betreuung für Fans mit Behinderungen doch sowieso schon organisiert, warum sollte ich dann nicht auch die Funktion übernehmen? Schließlich kann ich so viel mehr bewegen", begründet der gelernte Maler seinen Sinneswandel. Neben seiner Mitgliedschaft im Dachverband der FCM-Fanclubs seit 2009 hat er damit erstmals eine Funktion in seinem geliebten Club inne, dem er seit 1971 als regelmäßiger Besucher die Daumen drückt, und bleibt sich treu.

Auch als Funktionsträger lässt es Gerald Altmann nicht bei Lippenbekenntnissen. Gemeinsam mit seinen Mitstreitern baut er die Idee eines Behindertentages beim 1. FC Magdeburg aus. 1300 Menschen mit Behinderungen, auch aus anderen Bundesländern, wird im April 2012 ein rundum gelungener Tag im Stadion mit dem FCM geboten. Manche von ihnen kommen seitdem sogar regelmäßig wieder.

Jenen 29. April vergisst Gerald Altmann auch deshalb nicht, weil ihm dieser Tag neben viel Freude auch ein mulmiges Gefühl beschert. "Wir hatten bestenfalls mit 500 Teilnehmern gerechnet, plötzlich wurden es immer mehr Anmeldungen." Dem Fan-Behinderten-Beauftragten geht es daraufhin wie vielen anderen Ehrenamtlichen auch: Gutes zu wollen ist die eine Sache. Es aber auch umsetzen zu können, die andere. Viele Vorschriften sind einzuhalten, und sei es die korrekte Titelauswahl für die kostenlos spielende Schalmeienkapelle, um GEMA-Gebühren zu vermeiden ...

Hunderte dieser Probleme bis hin zur persönlichen Haftung für mehrere Tausend Euro, weil Fördergeld erst verspätet fließt, werden von Gerald Altmann und seinen Mitstreitern gelöst, so dass am Ende die Freude die Schwierigkeiten überdeckt - und Mut für eine Neuauflage gibt.

Derzeit steckt Gerald Altmann wieder im Vorbereitungsstress, denn der April 2013 und mit ihm der nächste Behindertentag beim FCM rückt näher - und so ist Gerald Altmann derzeit auf Organisations- und Sponsorentour.

Dass er selbst seit einem Unfall vor 25 Jahren im Rollstuhl sitzt, ist ihm dabei eine Hilfe: "Ich weiß, worauf es ankommt", sagt er. In der Organisation spielt die eigene Einschränkung aber keine Rolle. Altmann: "Ich habe zwar nur noch ein Bein, aber alles andere ist doch noch dran", sagt der sympathische, aufgeschlossene 50-Jährige und rollt sich wieder an seinen kleinen Schreibtisch im Arbeitszimmer seiner Wohnung im Hansapark - der Schaltzentrale für den Behindertentag. An der Schreibtischlampe hängt derweil schon lange ein FCM-Dankeschön-Wimpel für sein Engagement. Die Fanszene weiß seine Arbeit zu werten, auch weil Gerald Altmanns Motto lautet: "Für die Sache setze ich mich ein, aber ich will nicht im Vordergrund stehen." Blau-weiße Nächstenliebe hat einen Namen: Gerald Altmann.

Sein Umfeld hat das erkannt und kämpft dieses Mal für ihn - mit der Nominierung für den Magdeburger des Jahres 2012.

www.volksstimme.de/ magdeburgerdesjahres