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EU und Mindestlöhne Gabi Zimmer: "Die Krise steckt in Herzen und Hirnen"

10.05.2014, 17:05

Gabi Zimmer führt die Linkspartei-Liste für die Europawahl an. Mit der früheren PDS-Vorsitzenden sprach Steffen Honig bei einem Wahlkampfauftritt in Halle.

Europa leidet unter den Krisenfolgen: Die Linken profitieren davon aber laut Umfragen kaum. Warum?
Gabi Zimmer: Es ist unterschiedlich. In einigen europäischen Staaten wächst die Linke, in Griechenland und Spanien aber auch in Skandinavien. Ich hoffe, dass wir als Linkspartei unsere jetzigen acht Mandate im Europaparlament verteidigen können. Das wird durch die Abschaffung der Prozenthürden natürlich schwieriger. Zehn Prozent Stimmenanteil, denke ich, schaffen wir aber.

Ein echter Zuwachs ist das nicht.
Das hängt mit der Krise zusammen, die sich in die Herzen und Hirne der Menschen hineingefressen hat. Und die Krise ist noch längst nicht vorbei. Griechenland ist zwar wieder an den Finanzmärkten zugelassen worden, hat aber mehr Schulden als zuvor. Die Angst vor dem sozialen Abstieg führt dazu, dass viele sich zurückziehen. Es ist da einfacher, mit dem Finger auf andere wie Migranten zu zeigen und zu sagen: Die sind das Problem. Damit können sie leicht Rechtspopulisten und Ausländerfeinden verfallen.

Den Rechtsextremisten werden bei der Europawahl Erfolge prognostiziert. Wie sehen Sie die Gefahr?
In einigen Ländern legen rechtsextreme und ausländerfeindliche Parteien zu - in Frankreich, den Niederlanden, Großbritannien, Ungarn oder in Griechenland mit der "Goldenen Morgenröte", einer glasklar faschistischen Partei. Ich halte es für sehr problematisch, wenn diese im Europaparlament sitzen. Ein fatales Signal wäre es, wenn auch die NPD einziehen würde. Deutsche Nazis im Europaparlament halte ich für unsäglich. Um so wichtiger ist es, dass wir als Linke im Wahlkampf zeigen, dass eine soziale und friedliche EU, eine andere EU möglich ist. Es geht um die Glaubwürdigkeit der EU, die individuelle und soziale Menschenrechte gewährleisten muss und nicht nur einen Teil. Die deutschen Sozialsysteme den deutschen, die französischen den Franzosen - das hat mit Europa nichts zu tun.

Sie haben sich ein Solidarversprechen für Deutschland und Europa auf die Fahne geschrieben. Wer soll wem da was versprechen?
Wir uns gemeinsam. Es stimmt nicht, dass die Bundesrepublik überall die führende Position innehat und der Zahlmeister Europas wäre. Die EU-Gelder müssen zielgerichtet für die nachhaltige Entwicklung in den Mitgliedsstaaten eingesetzt werden. Auch in Deutschland sind viele Menschen gerade auf die Mittel aus dem europäischen Sozialfonds angewiesen. Wir wollen, dass es mehr Programme speziell für den Kampf gegen Armut und soziale Ausgrenzung gibt.

Was ist unter dem Zukunftsinvestitionsprogramm zu verstehen, für das Sie plädieren?
Wir wollen, dass die Gelder nicht wie im Zuge der Finanzkrise einfach an die Banken gegeben werden, um aus den Schulden herauszukommen. Um die Haushalte zu sanieren, müssen die Staaten nun Kredite bei den Banken aufnehmen, die sie zuvor gerettet haben. Dieser Kreislauf muss schnellstens gestoppt werden. Wir fordern, dass Zukunftsinvestitionsfonds für nachhaltige soziale, wirtschaftliche und ökologische Entwicklung angelegt werden. Das betrifft das Gesundheitswesen, Bildung oder kommunale Strukturen. Es würde zudem Arbeitsplätze schaffen.

Zu Ihrem Programm gehören EU-weite Mindestlöhne. Wie weit ist ein solches Unterfangen realistisch, wo schon die Auseinandersetzung in Deutschland zeigt, wie schwierig das ist?
In 21 Mitgliedsländern der Europäischen Union gibt es Mindestlöhne. Nur wenige erreichen aber 50 bis 60 Prozent des jeweiligen Durchschnittslohnes, wo die Armutsgrenze liegt. Wir wollen, dass auf der Basis der nationalen Verhältnisse Mindestlöhne eingeführt werden, entsprechend der Tradition des Landes. Es müssen keine gesetzlichen Festlegungen sein, wenn die Gewerkschaften das mit ihren Partnern selbst aushandeln wollen. Es geht nicht um den einen Mindestlohn für alle Mitgliedsstaaten, sondern darum, dass sie Armut in den einzelnen Staaten verhindern.

Halten Sie angesichts der Ukraine-Krise die von Ihnen geforderte Auflösung der Nato und stattdessen die Schaffung eines Sicherheitsbündnisses unter Einschluss Russlands aufrecht?
Nach 1989 hätte die Chance bestanden, ein kollektives Sicherheitssystem aufzubauen, das sowohl die EU, Osteuropa, Russland und die USA eingeschlossen hätte. Das wurde bewusst verhindert.

Wer hat das verhindert?
Diejenigen, die die politische Macht hatten, waren daran zu keinem Zeitpunkt ernsthaft interessiert. Auch die EU hat vieles falsch gemacht. Die europäische Nachbarschaftspolitik ist nie darauf ausgerichtet gewesen, in Osteuropa eine Kooperation mit allen Staaten, die zu Europa gehören, zu kooperieren und Russland dabei einzubinden. Die Ukraine ist immer ein Spielball gewesen. Wir haben zugesehen, wie sich eine kleine Minderheit von Oligarchen weltweit eingekauft hat, während ein Großteil der Ukrainer in bitterster Armut lebt. Jetzt muss alles dafür getan werden, dass ein Krieg, vor dem viele Menschen Angst haben, verhindert werden kann. Alle Beteiligten müssen an einen Tisch, um den Frieden zu sichern.

Sie fordern eine drastische Kürzung der Militärhaushalte in Europa. Brauchen wir keine Verteidigung?
Wir müssen in Stufen denken. Ist es nicht völlig unlogisch, wenn Krisenländer, in denen Teile der Bevölkerung um die Existenz kämpfen, auf Druck Brüssels noch Milliarden für Rüstungsgüter ausgeben müssen? Der Lissaboner Vertrag schreibt jedem Land vor, jährlich einen wachsenden Beitrag zur Sicherung der Verteidigungsfähigkeit zu leisten. Die Militärausgaben können drastisch reduziert werden. Fangen wir damit an. Fangen wir damit an, die Ausgaben für Waffen und Militärgerät zu senken. Es ist nicht nachzuvollziehen, warum die Bundesrepublik darauf bestanden hat, dass Griechenland noch Waffen kauft, obwohl das Land vor dem Bankrott stand.

So ziemlich alle Parteien schwingen die Keule der Entbürokratisierung in Brüssel. Welche Vorstellungen haben Sie dazu?
Mich ärgert, dass Brüssel als großer Wasserkopf dargestellt wird. Sachsen-Anhalt ist wie andere Bundesländer auf Förderprogramme angewiesen. Der EU-Haushalt finanziert sich wiederum aus den Beiträgen der Mitgliedsländer. Ein Großteil der Gelder fließt also wieder zurück. Wie die Gelder für die entsprechenden Programme und Projekte eingesetzt werden können, legt aber weitgehend das jeweilige Bundesland fest. Wir sind dafür, dass nur das in Brüssel geregelt wird, was in den Kommunen nicht entschieden werden kann. Zwischen Kommunalpolitik und EU-Politik besteht ein direkter Zusammenhang wie bei Wasser, Energie, Müll und Nahverkehr.
Wichtig ist, dass nicht durch die nationale Umsetzung von EU-Standards die Bürokratie erst recht zum Zuge kommt. Da kann gemeinsam noch vieles vereinfacht werden. In Brüssel müssen die Besonderheiten von 28 Mitgliedsstaaten beachtet werden. Andererseits beschweren sich Bürger über zu wenig Vereinheitlichung etwa bei technischen Standards. Ab 2017 wird es ein einheitliches Handy-Ladegeräte geben. Zu Verbesserungen gehört der Wegfall der Roaming-Gebühren ein Jahr vorher.

Aber die Abschaffung der Glühlampen bleibt ein EU-Aufreger ...
Ausgerechnet diese Regelung geht nicht von Brüssel aus, sondern ist von der Bundesregierung in den Europäischen Rat gebracht worden - im Interesse der Produzenten. Aber man nutzt gern den Umweg über Brüssel, um der Europäischen Union den schwarzen Peter zuzuschieben.