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Migration „Es wird enger“: Flüchtlingszahlen steigen rapide

Die Plätze für neue Asylsuchende werden knapp: Niedersachsen sieht sich bei der Flüchtlingsaufnahme an der Grenze seiner Kapazität. Innenministerin Behrens erwartet einen „schwierigen Herbst“.

Von dpa Aktualisiert: 21.09.2023, 17:04
Eine rote Ampel leuchtet vor dem Wort „Asyl“.
Eine rote Ampel leuchtet vor dem Wort „Asyl“. Patrick Pleul/dpa/Symbolbild

Hannover - Niedersachsen verzeichnet einen starken Anstieg der Flüchtlingszahlen. Seien im Juli noch pro Woche etwa 500 bis 600 Asylsuchende gekommen, seien es mittlerweile mehr als 1300, teilte das Innenministerium in Hannover am Donnerstag mit. Die Landesaufnahmebehörde stoße dadurch an die Grenze ihrer Kapazitäten.

Insgesamt kamen vom 1. Januar bis zum 20. September rund 19.150 Asylsuchende nach Niedersachsen. Ein Jahr zuvor waren es im gleichen Zeitraum knapp 13.200. Das entspricht einem Anstieg um 45 Prozent.

„Es wird enger, es wird voller“, sagte Innenministerin Daniela Behrens (SPD) im Innenausschuss des Landtags. Derzeit seien alle rund 9500 Plätze der Landesaufnahmebehörde belegt. Dadurch leide die Qualität der Unterbringung. An den Standorten Bramsche, Braunschweig, Celle, Fallingbostel, Friedland, Oldenburg und Osnabrück sei man in eine Notbelegung übergegangen. Das bedeutet, dass mehr Menschen in den Zimmern untergebracht und auch Hallen und Schulungsräume als Unterkünfte genutzt werden.

Behrens sprach von einer enormen Belastung und kündigte an: „Sowohl das Land als auch die Kommunen werden in den kommenden Wochen sicherlich überall alle Unterbringungsmöglichkeiten nutzen müssen, die wir bekommen können. Das wird Belastungen auch für die Menschen vor Ort mit sich bringen.“ Niedersachsen sei dabei kein Sonderfall. „Wir erwarten insgesamt in allen 16 Bundesländern einen ganz schwierigen Herbst“, sagte die Ministerin.

CDU-Fraktionschef Sebastian Lechner schloss angesichts der neuen Zahlen auch Kontrollen an der deutschen Grenze nicht aus. „Wir brauchen eine Begrenzung der Migration nach Deutschland“, sagte Lechner. Diese müsse an der europäischen Außengrenze beginnen. Dabei müsse Deutschland die EU-Grenzschutzagentur Frontex unterstützen. „Wenn dies nicht ausreicht, müssen wir Grenzkontrollen an den deutschen Grenzen in Betracht ziehen, so bitter das auch in einem freien Europa ist.“ Darüber hinaus brauche es mehr Sprachkurse, um die Flüchtlinge zu integrieren. Wer ausreisepflichtig sei, müsse dagegen konsequent abgeschoben werden, betonte Lechner.

Die Aufnahmequoten der Kommunen sollen laut Innenministerium zum 1. Oktober angehoben werden. „Wir werden wieder mehr Flüchtlinge in die Kommunen verteilen müssen“, sagte Behrens. Für kommenden Montag sei dazu ein Spitzengespräch mit den Kommunalverbänden geplant.

Die Suche nach Unterkünften gestalte sich aber weiter schwierig. Man müsse sich daher darauf einstellen, dass auch winterfeste Zelte benötigt werden. „Wir wollen Obdachlosigkeit vermeiden, das ist unser oberstes Gebot“, sagte Behrens.

Erschwerend komme hinzu, dass das Messegelände in Hannover in den nächsten zwei Monaten nicht als Notunterkunft genutzt werden könne. Damit fielen 3000 Plätze weg. Zudem lägen für die Inbetriebnahme der Flüchtlingsunterkunft in Bad Sachsa mit 400 Plätzen nach wie vor nicht alle Genehmigungen vor. Der Standort solle nun aber mit 200 Plätzen als Notunterkunft genutzt werden, sagte Behrens.

Die Registrierung, Erstuntersuchung und Erfassung der Identität der Asylsuchenden ist der Ministerin zufolge jedoch weiterhin zentral möglich, bevor die Menschen auf die Kommunen verteilt werden. „Das passiert weiterhin, das kriegen wir auch hin“, versicherte sie.

Hauptherkunftsländer sind nach Behrens' Worten Syrien, die Türkei und Afghanistan, wobei die Menschen überwiegend auf dem Landweg nach Deutschland kämen. Im Fokus stehe dabei eine Ost-Route über Russland und Weißrussland. Man habe es mit einer hybriden Kriegsführung von Russlands Präsident Wladimir Putin zu tun, sagte Behrens. Sowohl Russland als auch Weißrussland gäben Visa an Menschen aus, die dann über Polen oder Tschechien nach Deutschland gelangten.

Während die Innenministerin betonte, Debatten über eine Obergrenze führten nicht weiter, forderte sie die EU auf, diese müsse sich mehr mit den Fluchtursachen beschäftigten und Abkommen mit den Herkunftsländern schließen. Derzeit nehme Deutschland fast jeden dritten Asylsuchenden in der EU auf, diese Entwicklung sei nicht zu akzeptieren. Zudem appellierte Behrens an den Bund, sich finanziell stärker an den Kosten der Flüchtlingsaufnahme zu beteiligen.

Bereits am Montag hatte der niedersächsische Städte- und Gemeindebund (NSGB) sich für eine Sicherung der europäischen Außengrenzen und eine faire Verteilung von Flüchtlingen innerhalb Europas ausgesprochen. Es sei nicht unmoralisch, Migration steuern zu wollen, sagte NSGB-Präsident Marco Trips. Er ergänzte: „Vielmehr ist es kurzsichtig, die Kommunen und Menschen vor Ort zu überfordern.“

In den Zahlen der Asylsuchenden sind Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine nicht enthalten, weil diese kein Asyl beantragen müssen. Bei den Ukrainern verzeichnete Niedersachsen zuletzt kaum noch Zugänge. Seit Kriegsbeginn kamen rund 111.000 Ukrainer nach Niedersachsen.

Derweil werden auch mehr Menschen aus Niedersachsen abgeschoben, wie das Innenministerium mitteilte. Gab es im ersten Halbjahr 2022 noch 358 Abschiebungen, waren es zur selben Zeit in diesem Jahr 609. Das entspricht einem Anstieg von rund 70 Prozent.