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Historischer Fund in Friesland Jevers Rätsel um Fräulein Maria – Forscher öffnen alte Gruft

Wo ist die letzte Herrscherin des Jeverlandes begraben? Die Suche führt Experten in eine jahrhundertealte, verschlossene Gruft unter der Stadtkirche. Dort sind Archäologen nun fündig geworden.

Von Lennart Stock, dpa Aktualisiert: 05.11.2025, 16:29
In einer Gruft in der Stadtkirche von Jever vermuten die Leiterin des Schlossmuseums Jever, Antje Sander (links), die Referatsleiterin für das Regionalreferat Oldenburg beim Niedersächsischen Landesamt für Denkmalpflege, Jana Esther Fries (Mitte), und der Projektleiter beim Staatlichen Baumanagement Region Nord-West, Ralf Dröge, das Grab der letzten Herrscherin des Jeverlandes, Fräulein Maria von Jever.
In einer Gruft in der Stadtkirche von Jever vermuten die Leiterin des Schlossmuseums Jever, Antje Sander (links), die Referatsleiterin für das Regionalreferat Oldenburg beim Niedersächsischen Landesamt für Denkmalpflege, Jana Esther Fries (Mitte), und der Projektleiter beim Staatlichen Baumanagement Region Nord-West, Ralf Dröge, das Grab der letzten Herrscherin des Jeverlandes, Fräulein Maria von Jever. Markus Hibbeler/dpa

Jever - Wo ist Fräulein Maria von Jever abgeblieben – die letzte selbstständige Herrscherin des friesischen Jeverlandes? Seit ihrem Tod vor 450 Jahren ist der Verbleib der mächtigen friesischen Häuptlingstochter unklar. Ein großes, öffentliches Begräbnis gab es nicht. Eine Legende lautet, Maria könnte in einem unterirdischen Gang verschwunden sein. Eine Lösung für das Rätsel vermuten Experten in einer Gruft, etwa 2,4 Meter tief unter dem Edo-Wiemken-Denkmal in der Stadtkiche von Jever. Dort soll Fräulein Maria begraben worden sein. Archäologen haben dort nun nachgesehen – und einiges gefunden. 

Seit dem 18. Jahrhundert war die Gruft nicht mehr zugänglich, nun ist sie freigelegt: Ein gemauertes Portal bildet den Eingang in die etwa drei Quadratmeter große Kammer mit einem weiß gekachelten Gewölbe. Aufrecht stehen kann man wegen der niedrigen Höhe in der Gruft nicht. Zudem sind dort acht Kanteisen eingesetzt. „Da standen fünf Särge auf diesen Kanteisen“, erzählt Jana Esther Fries, Referatsleiterin für das Regionalreferat Oldenburg beim Niedersächsischen Landesamt für Denkmalpflege von der Untersuchung der Gruft in den vergangenen Tagen. So erhöht sollten die Särge wohl vor der Witterung am Boden geschützt werden.

In der Mitte habe ein normal großer Sarg für eine erwachsene Person gestanden, rechts und links jeweils zwei kleinere Särge, sogenannte Sammelsärge. „Die spannende Frage ist, wer lag in dem großen, erwachsenen Sarg“, sagt die Expertin. Könnte darin Fräulein Maria von Jever (1500-1575) begraben sein? „Wir hoffen, dass wir das herausfinden können“, sagt Fries.

Von den Särgen ist inzwischen nichts mehr zu sehen. Die Fachleute haben die Grabkammer Schritt für Schritt ausgeräumt und die Funde sorgfältig verpackt und dokumentiert. Weil die Gruft nicht belüftet war, seien die Funde in einem schlechten Zustand, sagt Fries. Die Särge seien stark verfault gewesen. „Da war nicht mehr sehr viel von über.“ Nur wenige Stoffe und Knochen seien noch vorhanden gewesen, der Großteil der Skelette sei zu einem weißen Pulver zerfallen. Aber: „Wir haben relativ viele Haare erhalten, was natürlich die Möglichkeit bietet, wenn wir Glück haben, für DNA-Analysen“, sagt Fries. 

Was das Fräulein für Jever bedeutet

Auch Hunderte Jahre nach ihrem Tod hat Fräulein Maria für Jever und Friesland eine große Bedeutung, die Stadt nennt sich selbst stolz „Marienstadt“. Die willensstarke Häuptlingstochter aus dem Mittelalter ist eine Identifikationsfigur.

Im 16. Jahrhundert, sagt Antje Sander, Leiterin des Schlossmuseums Jever, sei das Jeverland unter Fräulein Maria eine selbstständige Herrschaft gewesen. „Also ein richtiger kleiner Staat, um es vereinfacht zu sagen.“ Unter ihrer Regentschaft erhielt Jever 1536 die Stadtrechte. Die Landesherrin förderte Handel und Bildung, ließ Küstengebiete eindeichen, baute das Schloss aus und gründete eine Lateinschule, das heutige Mariengymnasium der Stadt. 

Vor allem kämpfte Maria fast ihr gesamtes Leben für die Unabhängigkeit ihres Jeverlandes und setze sich dafür gegen die benachbarten, rivalisierenden Häuptlinge aus Ostfriesland zur Wehr. „Ihre Regierungsgeschäfte waren ganz auf den Erhalt und den Ausbau des jeverschen Territoriums ausgerichtet“, heißt es in einer Chronik des Schlossmuseums. Dank kaiserlicher Unterstützung sei es ihr gelungen, die Gebietsansprüche ostfriesischer Häuptlinge mit diplomatischen und militärischen Mitteln abzuwehren. 

Vor ihrem Tod 1575 wies Maria an, dass das Jeverland an den Grafen von Oldenburg übergehen sollte – in keinem Fall aber nach Ostfriesland. Auch dazu gibt es eine Legende: Damit kein feindlicher Spion Verdacht von ihrem Tod schöpfen sollte, soll ein Diener täglich ein Mahl vor ihre Tür gestellt haben. Durch die Täuschung kam ihr Nachfolger, ein Graf aus Oldenburg, rechtzeitig in Jever an – die Ostfriesen wären sonst vielleicht schneller da gewesen. 

Bis heute verläuft so die Grenze zwischen Friesland und Ostfriesland mit den Landkreisgrenzen von Wittmund und Jever (Friesland). Nicht selten reagieren Friesen beleidigt, wenn man sie als Ostfriesen bezeichnet – und umgekehrt. 

Ist die Gruft ein Familiengrab?

Für Antje Sander liegt es nahe, dass es sich bei der Gruft um ein Familiengrab handeln könnte. In den kleinen Särgen neben den großen Särgen könnten die sterblichen Überreste von Marias Mutter und ihrer Geschwister, die vor ihr starben, bestattet worden sein. Darauf deuteten passende Jahreszahlen auf drei Särgen. Der freigelegte Eingang zur Gruft sei zudem sehr würdig und repräsentativ gestaltet, sagt Sander. „Man sieht ein Portal, man sieht aufwendig gemauerte Seitenwände und eine Treppe.“ 

Außerdem weist Sander auf das mächtige Edo-Wiemken-Denkmal über der Gruft hin. Das Denkmal gilt als ein bedeutendes Beispiel niederländischer Renaissancekunst aus der Mitte des 16. Jahrhunderts. Fräulein Maria von Jever hatte das Grabmal einst für ihren Vater, den Häuptling Edo Wiemken, in Auftrag gegeben. Als letzte Regentin ihres Stammes habe Fräulein Maria so ihrem Vater und ihrer Familie eine große Erinnerung schaffen wollen, ist Sander überzeugt.

Denkmal wird saniert 

Dass das Denkmal und die Gruft darunter überhaupt in den Fokus der Forscher gerückt ist, liegt daran, dass das Staatliche Baumanagement das Edo-Wiemken-Denkmal seit Jahren saniert. „Eigentlich hatte niemand jemals geplant, die Gruft noch einmal aufzumachen“, sagt Fries. Wegen Rissen an Alabasterfiguren, bröckelndem Holz und Absackungen über der Krypta müssen aber die statistischen Verhältnisse im Untergrund des Denkmals untersucht werden. Dazu wurde der Boden abgetragen und auch die Gruft geöffnet. „Da war sehr schnell klar, wir müssen auch die Gruft ausräumen“, sagt Fries. 

Nach Abschluss der Sanierung des Edo-Wiemken-Denkmals sollen die Gebeine wieder in der Gruft beigesetzt werden. Bis dahin erhoffen sich alle Klarheit von den weiteren wissenschaftlichen Untersuchungen: Liegt das Grab von Fräulein Maria von Jever tatsächlich in der Gruft unter der Stadtkirche?