Historische Gebäude „Schwarzbuch“: Denkmale in Niedersachsen bedroht
Ob Kohlenkirche, Bahnwärterhaus oder Gasthaus: Einzigartige Gebäude in Deutschland sollen eigentlich bewahrt werden. Doch oft läuft es anders, heißt es in einem neuen „Schwarzbuch“.

Hannover - Bagger statt Sanierung, Parkplatz statt Baudenkmal: Die Deutsche Stiftung Denkmalschutz beklagt den achtlosen Abriss historisch bedeutsamer Gebäude. In einem „Schwarzbuch“ spricht die Stiftung von bundesweit mindestens 900 Denkmalen, die allein 2023 und 2024 verloren gegangen seien. Auch Gebäude in Niedersachsen sind betroffen.
„Ein Stück verlorene Erinnerung, Identität und Kultur“
„Jedes Jahr gehen viele Objekte unwiederbringlich verloren – und jedes verlorene Denkmal ist auch ein Stück verlorene Erinnerung, Identität und Kultur“, heißt es im „Schwarzbuch“. Bevor die Abrissbagger rollen, erreichen Eigentümer demnach meist behördlich oder vor Gericht eine Aufhebung des Denkmalschutzes.
Die Gründe aus Sicht der Stiftung: Denkmalschutz gelte als starr und teuer. Häufig würden Kosten für den Erhalt geschützter Gebäude zu hoch angesetzt, Kosten für Ersatzbauten hingegen zu niedrig. Einige Denkmale seien als historisch belastete Orte „unbequem“, etwa das sogenannte Bogensee-Areal mit der Villa von NS-Propagandaminister Joseph Goebbels in Brandenburg.
Landesbehörden sind zuständig
Zuständig für den Schutz von geschätzt etwa einer Million Denkmalen sind Behörden der Länder, doch es fehlt der Überblick. „Wie viele Denkmale jedes Jahr verschwinden, ob durch Abriss oder durch unauffälliges und unbemerktes Streichen von den Denkmallisten, wird ebenfalls nicht erfasst und ausgewertet“, schreibt die Stiftung. Die bundesweit 900 verlorenen Denkmale hat sie selbst recherchiert, hält die Liste aber nicht für komplett. Dies sind einige von der Stiftung genannte Beispiele in Niedersachsen:
Kohlenkirche Georgschacht in Stadthagen
In Stadthagen im Landkreis Schaumburg fiel 2023/24 die sogenannte Kohlenkirche auf dem Gelände des ehemaligen Georgschachts dem Abrissbagger zum Opfer. Das zwischen 1902 und 1905 errichtete Verwaltungsgebäude im Stil von Neobarock und Jugendstil galt laut „Schwarzbuch“ als eines der prächtigsten Zeugnisse des niedersächsischen Steinkohlebergbaus. Mit seiner monumentalen Architektur, die an eine Kirche erinnerte, stand das Haus seit 1983 unter Denkmalschutz. Trotz jahrelanger Bemühungen von Bürgerinitiativen und Politik wurde der markante Bau letztlich abgerissen. An seiner Stelle betreibt nun ein Entsorgungs- und Recyclingunternehmen seine Anlagen.
Bahnwärterhaus in Adelheidsdorf
Ein Unfall führte 2024 zum Verlust eines weiteren Denkmals in Niedersachsen: In Adelheidsdorf im Landkreis Celle wurde das dortige Bahnwärterhaus im Stil des Klassizismus schwer beschädigt. Der kleine Fachwerkbau aus der Mitte des 19. Jahrhunderts stand seit 1994 unter Schutz und galt dem „Schwarzbuch“ zufolge als einmaliges Zeugnis der frühen Bahnverbindungen in Deutschland. Als sich im vergangenen Jahr ein Anhänger von einem Traktor löste und von einem Zug erfasst wurde, schleuderte die Wucht des Aufpralls Teile des Gefährts in das Gebäude. Für das gesamte Haus besteht seitdem Einsturzgefahr.
Ehemaliges Gasthaus „Schwarzer Bär“ in Göttingen
In Göttingen steht eines der ältesten Gasthäuser Deutschlands vor einer ungewissen Zukunft: der „Schwarze Bär“. Das um 1580 errichtete Fachwerkhaus im Stil der Renaissance mit einem noch älteren Gewölbekeller aus dem 14. Jahrhundert ist seit 1982 denkmalgeschützt. Über Jahrhunderte sei das Gasthaus „ein Ort voller Geschichten und Ereignisse“ gewesen. Vom fahrenden Arzt Doktor Eisenbarth über den „Bären-Klub“ junger Göttinger Gelehrter bis hin zum Atomwissenschaftler und Nobelpreisträger Otto Hahn seien viele Persönlichkeiten hier eingekehrt. Heute gilt das Gebäude mit seiner detailreichen Fassade jedoch als gefährdet, die Stiftung sieht das kulturhistorisch bedeutende Haus massiv bedroht.
Weitere historisch bedeutsame Gebäude im Land bedroht
Als „verloren“ gelten zudem das Gasthaus „Sotti's“ in Verden an der Aller, die Hofstelle Brüggemann in Bergen (Landkreis Celle), das Landhaus Wellendorf in Suhlendorf (Landkreis Uelzen), das Stabsgebäude in Goslar (Landkreis Goslar) und das Waldarbeiterhaus in Prezelle (Landkreis Lüchow-Dannenberg). In Bremen sind zudem die Fliegerhalle der Wollkämmerei und die Dionysiuskirche in Bremerhaven-Wulsdorf verloren.
Als „gefährdet“ gelten auch das Conti-Altgebäude in Hannovers Stadtteil Limmer sowie der VW-Turm mit dem Spitznamen „Telemoritz“ im Zentrum der Landeshauptstadt.
Stiftung fordert bundesweite Erfassung des Bestands
Um Denkmale besser zu schützen, fordert die Stiftung eine bundesweite Erfassung des Bestands und eine bessere Ausbildung für Mitarbeiter in den zuständigen Behörden. Abrissvorhaben und die Streichung aus Denkmallisten sollten zudem rechtzeitig öffentlich gemacht werden.
Die Deutsche Stiftung Denkmalschutz ist nach eigenen Angaben die größte private Initiative für Denkmalschutz in Deutschland. Sie setzt sich unter anderem mit pädagogischen Schul- und Jugendprogrammen und bundesweiten Aktionstagen für den Erhalt bedrohter Denkmale ein. Die Stiftung finanziert ihre Arbeit vor allem durch private Zuwendungen und Spenden.