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Paralympics Der Muskelkater lohnt sich wieder

Marie Brämer-Skowronek vom SC Magdeburg hat nun ganz viel Zeit, ihre Technik zu verbessern und ihre Weiten zu steigern.

Von Daniel Hübner 16.04.2020, 14:31

Magdeburg l Marie Brämer-Skowronek spricht immer etwas leiser über ihren Sport als andere Athleten. Das kann natürlich an der Macht der Gewohnheit liegen, denn in der Magdeburger Kita „Mimmelitt“ hält die Erzieherin ja auch keine lauten Referate, während 23 Vorschul-Kinder in ihrer Gruppe gerade den Mittagsschlaf der Gerechten halten. Man sollte sich aber nicht von den leisen Tönen der 29-Jährigen täuschen lassen, sie kann nämlich schon mal einen lockeren Spruch in alle Richtungen fallen lassen. Und sie kann herzhaft laut lachen.

Zudem weiß die Kugelstoßerin Marie Brämer-Skowronek vom SCM ganz genau, was sie von ihrem Sportlerleben verlangt. Und geht ihre Ziele ehrgeizig an. Zu diesen gehört zum Beispiel die Teilnahme an den Paralympics in Tokio, die wie die Olympischen Spiele wegen der Corona-Krise erst im Sommer 2021 ausgetragen werden.

Ihre Trainerin ist nun etwas zwiegespalten, wenn sie über die sportliche Bedeutung dieser Verschiebung urteilen muss. „Einerseits arbeitet man täglich und über Jahre daraufhin und zählt dann irgendwann die Tage bis zur Eröffnung“, sagt Theresa Wagner. Andererseits „haben wir nun 15 Monate Zeit, noch mehr aus Marie rauszuholen, denn sie hat ihren Leistungshöchststand noch nicht erreicht.“

Von Freude über die Verschiebung will die 29-Jährige trotzdem nicht reden. Allein wegen des Coronavirus: „Im Sinne der Gesundheit aller Athleten, und die ist das Wichtigste, war es die richtige Entscheidung. Und Marie hat das gut weggesteckt“, betont Wagner.

Normalerweise wäre ja der 30. März der große Stichtag für Brämer-Skowronek gewesen. „Wenn ich dann den fünften Platz in der Weltrangliste belege, dann hätte ich Deutschland einen Quotenplatz für Tokio gesichert“, hat sie bereits Mitte des vergangenen Monats berichtet. Auf Rang fünf steht sie nach wie vor mit ihren 7,41 Metern, mit ihrer Bestweite, erzielt bei den Weltmeisterschaften im vergangenen Jahr in Dubai (Emirate). Damit hatte sie zugleich die nationale Paralympics-Norm um elf Zentimeter übertroffen.

Dieses Ergebnis „will ich schnellstmöglich noch einmal bestätigen“, hat Brämer-Skowronek im März erklärt. Allein, um ihren Status in der nationalen Konkurrenz zu unterstreichen. Denn 2019 blieben Charleen Kosche (6,99) und Frances Herrmann (6,50) in ihrer Startklasse F 34 einige Zentimeter hinter der Magdeburgerin.

Nur muss die Bestätigung noch warten, alles ist abgesagt, die nächsten Wettkämpfe sind nicht in Sicht. Also stößt Brämer-Skowronek, die aufgrund einer spastischen Lähmung auf den Rollstuhl angewiesen ist, vorerst die drei Kilo schwere Kugel in den Einheiten gegen sich selbst und gegen die Weltrangliste, denn natürlich will sie in die Medaillenplätze in Tokio vorstoßen. Drittbeste auf dem Erdball war im vergangenen Jahr Jessica Gillian (Neuseeland) mit 7,68 Metern.

Brämer-Skowronek darf als Paralympics-Kader im Deutschen Behinderten-Sport-verband (DBS) mit einer Sondergenehmigung an ihrer gewohnten Stätte am Olympia-Stützpunkt trainieren. Dort hat sie also in den vergangenen Wochen und Monaten einiges dafür getan, der internationalen Spitze näherzukommen. Dort und im zehntägigen Trainingslager im brandenburgischen Kienbaum, „wo man im Kraftraum gut arbeiten kann und den Alltagsstress nicht dabei hat“, sagt sie lächelnd.

Was sie bislang erreicht hat? „Ich habe kraftmäßig zugelegt, der Fokus auf meine Technik ist besser geworden“, erklärt Brämer-Skowronek, die inzwischen auf starke 85 Kilogramm im Bankdrücken kommt. Einmal. Das ist das Maximalgewicht. Aber darauf legt ihre Trainerin weniger Wert als auf Serien mit der Langhantel. Frei nach dem sportlichen Motto: Lieber länger und intensiver quälen als einmal kurz und schmerzvoll.

Und jetzt, wo die Entscheidung zur Verlegung der Paralympics gefallen ist, lohnt sich wieder jeder Muskelkater. Oder wie Wagner sagt: „Jetzt wissen wir endlich, worauf wir hinarbeiten.“ Vor ein paar Wochen nämlich wurde es auch für Brämer-Skowronek „langsam schwierig, sich im Training zu motivieren“, hat sie berichtet.

Das Training bestimmt derzeit das Leben der Marie Brämer-Skowronek. Nicht die Kinder in ihrer Gruppe, nachdem Magdeburg vorläufig alle Einrichtungen geschlossen hat. Langeweile kommt außerhalb der Halle bei der Athletin trotzdem nicht auf: „Auf meiner Liste mit Büchern, die ich noch lesen möchte, stehen 150 Titel“, sagt sie nämlich lächelnd. Vielleicht findet sie sogar eines, mit dem sie die Kinder im „Mimmelitt“ irgendwann in den Schlaf lesen kann. Und dies ganz leise.