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Parlamentswahl in Spanien mit ungewissem Ausgang

20.12.2015, 04:45
Sozialist Pedro Sánchez, der auch «Pedro el Guapo» (Pedro, der Schöne) genannt wird, soll mit seinem Charme seine von Selbstzweifeln geplagte Partei wieder zu besseren Zeiten führen. Foto: Oto
Sozialist Pedro Sánchez, der auch «Pedro el Guapo» (Pedro, der Schöne) genannt wird, soll mit seinem Charme seine von Selbstzweifeln geplagte Partei wieder zu besseren Zeiten führen. Foto: Oto EFE

Madrid (dpa) - Die Spanier sind heute zu einer Parlamentswahl aufgerufen, deren Ausgang völlig ungewiss ist. Nur eines scheint festzustehen: Die vorweihnachtliche Abstimmung wird in jedem Fall eine neue Ära in der spanischen Politik einleiten.

Ministerpräsident Mariano Rajoy (60) wird kaum so weiterregieren können wie bisher. Seine konservative Volkspartei (PP), die im Parlament bislang über die absolute Mehrheit verfügte, dürfte Umfragen zufolge etwa ein Drittel ihrer Mandate einbüßen. Sie kann zwar darauf hoffen, mit 25 bis 30 Prozent der Stimmen stärkste Kraft zu bleiben, wird aber kaum allein die Regierung bilden können.

Die etablierten Parteien der Konservativen und der Sozialisten (PSOE) werden es im Parlament mit zwei Neulingen zu tun bekommen. Die liberalen Ciudadanos (Bürger/C's) und die neue Linkspartei Podemos gewannen innerhalb weniger Monate die Sympathien von Millionen Wählern und werden mit starken Fraktionen in den Congreso einziehen. Sie werden nicht nur frischen Wind ins Parlament bringen, ihre Parteichefs Albert Rivera (36) und Pablo Iglesias (37) werden möglicherweise den Ausschlag geben, wer die Regierung stellen wird.

Dies bedeutet: Die politische Landschaft in Spanien wird sich von Grund auf ändern. Bisher hatten die PP und die PSOE die Szene dominiert. Die jeweils stärkere dieser Parteien stellte die Regierung. Wenn sie keine ausreichende Mehrheit hatte, sicherte sie sich die Unterstützung kleinerer Regionalparteien aus Katalonien, dem Baskenland oder von den Kanaren. Dies wird künftig kaum mehr funktionieren.

Die Spanier haben jetzt die Wahl nicht nur zwischen Rechts und Links, sondern auch zwischen Alt und Neu. Wer regieren will, wird kaum umhin kommen, Koalitionen oder Allianzen mit anderen Parteien auszuhandeln.

Der Jurist Francisco Sosa Wagner und der Historiker Igor Sosa Mayor rieten den spanischen Politikern, sich das deutsche Modell einmal anzuschauen. In Deutschland sind Koalitionen auf allen politischen Ebenen der Normalfall, schrieben die Wissenschaftler in der Zeitung El País. Da kann es nicht schaden, die Praxis der Koalitionspolitik kennenzulernen.

Beim Aufstieg der neuen Parteien weist Spanien einen deutlichen Unterschied zu anderen europäischen Ländern auf. Ciudadanos und Podemos sind weder ausländerfeindlich noch antieuropäisch. Spanien beweist damit eine größere Reife als so manche ältere Demokratie, meint der britische Schriftsteller und Spanien-Experte John Carlin.

Allerdings hat die neue Vielfalt der Parteienlandschaft eine Kehrseite: Die Regierungsbildung nach der Wahl dürfte sich sehr schwierig gestalten. Die Aufsplitterung könnte das Land unregierbar machen, befürchtet die Zeitung El Mundo. Nach den Umfragen könnte ein Bündnis von Rajoys PP mit den liberalen Ciudadanos auf eine ausreichende Mehrheit kommen, aber der C's-Parteichef Rivera kündigte schon an: Wir werden Rajoy nicht zum Regierungschef wählen.

Dies löste Spekulationen aus, die PP könnte, um an der Macht zu bleiben, Rajoy opfern und dessen Vertraute, die Vizeregierungschefin Soraya Sáenz de Santamaría, als neue Ministerpräsidentin vorschlagen. In den Medien war - unter Anspielung auf das berühmte Velázquez-Gemälde Las Meninas (Die Hoffräulein) - von der Operación Menina die Rede. Die frühere Staatsanwältin Sáenz de Santamaría, eine der mächtigsten Frauen in Spanien, will davon aber nichts wissen. Rajoy sei der Chef und Spitzenkandidat der PP, betonte die 44-Jährige. Zudem offenbare der Ausdruck Operación Menina ein Macho-Gehabe.

Eine große Koalition von PP und PSOE scheint ausgeschlossen zu sein, wie das überaus harsche TV-Duell der Parteichefs Rajoy und Pedro Sánchez (43) offenbarte. Ein Anti-Rajoy-Bündnis von PSOE, C's und Podemos nach dem Vorbild der Linksallianz in Portugal - dort als Allianz der Verlierer bezeichnet - wäre theoretisch möglich, ist aber sehr unwahrscheinlich.

In Spanien hat sich unter der Rajoy-Regierung einiges geändert. Als der Konservative vor vier Jahren die Macht übernahm, war Spanien eines der Euro-Krisenländer. Die Arbeitslosenzahlen stiegen rapide an, die Monarchie wurde als Staatsform infrage gestellt, die Politiker hatten das Vertrauen vieler Spanier verloren und Demonstranten riefen vor dem Parlament den Abgeordneten zu: Ihr repräsentiert uns nicht.

Heute hat Spanien die Finanzkrise weitgehend überwunden, die Arbeitslosenrate ist noch immer hoch, aber rückläufig. Die Monarchie ist seit der Krönung von Felipe VI. praktisch kein Thema mehr. Die Proteste vor dem Parlament haben aufgehört, denn nun stehen mit Podemos und Ciudadanos zwei Parteien zur Wahl, die nicht durch Korruptionsskandale belastet sind.

Informationen des Innenministeriums zur Wahl - Spanisch

Pablo Iglesias gehört zu den Aufsteigern in der spanischen Politik. Seine vor weniger als zwei Jahren gegründete Partei Podemus gewann innerhalb kurzer Zeit die Sympathien von Millionen von Wählern. Foto: Angel Medina G.
Pablo Iglesias gehört zu den Aufsteigern in der spanischen Politik. Seine vor weniger als zwei Jahren gegründete Partei Podemus gewann innerhalb kurzer Zeit die Sympathien von Millionen von Wählern. Foto: Angel Medina G.
EFE
Rivera, Spitzenkandidat der liberalen Partei Ciudadanos (Bürger), sieht sich selbst als Sozialliberalen, viele Spanier ordnen ihn eher der rechten Mitte zu. Foto: J.P. Gandul
Rivera, Spitzenkandidat der liberalen Partei Ciudadanos (Bürger), sieht sich selbst als Sozialliberalen, viele Spanier ordnen ihn eher der rechten Mitte zu. Foto: J.P. Gandul
EFE
Ministerpräsident Rajoy stellte klar: «Ich habe eine große Koalition nicht vorgeschlagen, und das hat auch niemand in meiner Partei getan.» Foto: Juanjo Martin
Ministerpräsident Rajoy stellte klar: «Ich habe eine große Koalition nicht vorgeschlagen, und das hat auch niemand in meiner Partei getan.» Foto: Juanjo Martin
EFE
36,5 Millionen Wahlberechtigte sind zur Stimmabgabe aufgerufen. Foto: Victor Lerena
36,5 Millionen Wahlberechtigte sind zur Stimmabgabe aufgerufen. Foto: Victor Lerena
EFE