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Gesundheit Gefühlschaos besser verstehen

Beim Medizinischen Sonntag in Magdeburg ging es um selbstverletzendes Verhalten

Von Uwe Seidenfaden 02.03.2020, 00:01

Magdeburg l Die Geschichte der Menschheit kennt viele Beispiele für selbstverletzendes Verhalten – von der Selbstgeißelung im Christentum bis hin zu Askese/Magersucht. Selbstverletzendes Verhalten gilt denn auch nicht als Krankheit im eigentlichen Sinn, sondern als ein Symptom. „Was wir uns in jedem Einzelfall fragen sollten ist, was steckt dahinter“, so Saskia Thérèse Schirmer, Magdeburger Ärztin für Psychiatrie.

Die Formen der Verletzungen können ganz unterschiedlich sein. Sie reichen von blutenden Kratzwunden, Schnitten mit Rasierklingen und Messern an Armen und an anderen Körperpartien bis zu absichtlich herbeigeführten Verbrennungen, z.B. durch brennende Zigaretten, die auf der Haut ausgedrückt werden.

Den dabei erlittenen körperlichen Schmerz empfinden die Betroffenen als eine seelische Erleichterung. Sie hilft dabei, das Gefühlschaos bzw. die empfundene innere Leere zumindest zeitweilig zu überwinden. So ähnlich beschreiben es Patienten, aus deren Briefen vier Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Magdeburger Literaturhauses vorgelesen haben. Die Beschreibungen geben Einblick in das Gefühlsleben von Menschen, für deren Handlungen Außenstehende oftmals keine Erklärung und auch kein Verständnis haben.

Selbstverletzende Handlungen, die mit starken Gefühlsschwankungen, gestörten sozialen Bindungen und Ängsten vor dem Verlassenwerden einhergehen, können ein Hinweis auf eine „emotional instabile Persönlichkeitsstörung vom Borderline Typ“ sein. Im Raum Magdeburg gibt es etwa 1500 behandlungsbedürftige Menschen.

Der Name Borderline nimmt Bezug auf das englische Wort für Grenzlinie – eine Persönlichkeitsstörung zwischen Neurose und Psychose. Sich mit dem Gefühlschaos im Kopf anderen Menschen anzuvertrauen, fällt den Betroffenen schwer. Einerseits suchen sie Nähe, andererseits ertragen sie diese nicht. Starke Emotionen sowie die Zerrissenheit zwischen Selbstliebe und Selbsthass können den Aufbau stabiler zwischenmenschlicher Beziehungen erschweren.

Die Auslöser für ein selbstverletzendes Verhalten reichen manchmal bis weit in die Kindheit zurück: zum Beispiel eine emotional nicht verarbeitete Scheidung der Eltern, die mit dem vollständigen Kontaktabbruch zur Mutter oder dem Vater endete oder Vernachlässigungen. Auch emotional-traumatische Erlebnisse wie Misshandlungen können „Borderliner“ aus der Bahn werfen.

Oberarzt Dominik Albrecht, Leiter der Ambulanz für Traumafolgestörungen von der Magdeburger Uniklinik für Psychiatrie und Psychotherapie, warnte jedoch davor, diese Menschen zu stigmatisieren und ihnen voreilige Ratschläge zu geben. Bei der Behandlung stehen Psychotherapien im Vordergrund. Dazu gehört das Erlernen von Entspannungstechniken und der gezielte Einsatz von Ersatzreizen, z.B. durch Sport.

Selbsthilfegruppen bieten Unterstützung. Erster Ansprechpartner sollte in der Regel der Hausarzt sein. Er wird ggf. zu einem Spezialisten überweisen. Das ist besonders dann notwendig, wenn eine Suizid-Gefahr besteht.

Die Vorträge im Internet: www.med.uni-magdeburg.de/medizinischer_sonntag