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Rettung Notrufmissbrauch belastet Leitstellen in Sachsen-Anhalt

Die 112 soll Leben retten. Doch viele Leitstellen in Sachsen-Anhalt haben mit dem Missbrauch von Notrufnummern zu kämpfen.

Von Bernd Kaufholz 11.02.2019, 00:01
Die Dunkelziffer von Nicht-Notrufen in Sachsen-Anhalt liegt deutlich über den gezählten Fällen.
Die Dunkelziffer von Nicht-Notrufen in Sachsen-Anhalt liegt deutlich über den gezählten Fällen. Symbolfoto: dpa

Magdeburg - 2016 wurden der telefonische Notruf 112 und der Polizei-Notruf 110 in Sachsen-Anhalt 510-mal angewählt, ohne, dass ein zwingender Grund vorlag. 2017 waren es 445 Fälle, 2018 etwa ebenso viel. Allerdings sind diese Zahlen nur der Gipfel des Eisberges, werden doch nur diejenigen Fälle gezählt, bei denen ermittelt wurde. Die Dunkelziffer liegt weit höher.

Das weiß auch Christian Wenig von der Leitstelle Harz in Halberstadt. „Wir haben zwei Bürger, da wissen wir schon, wenn deren Nummern im Notrufdisplay aufleuchten, dass kein Notfall vorliegt. Jeder der beiden hat so rund 500 missbräuchliche Anrufe auf dem Kerbholz.“

Er nennt diese Klientel „spezielle Kunden“. Oft müssten Polizei oder sozialpsychiatrischer Dienst eingeschaltet werden.

Hochzeit für Falschanrufe seien die Oster- und Weihnachtszeit. „Dann kriegen die Kids Handys und rufen mal schnell die 112.“

Doch bei rund 35.200 Anrufen (seit Januar 2018) mit einer durchschnittlichen Sprechzeit von 1,19 Sekunden sei das immer noch eine relativ geringe Anzahl.

Matthias Wollenscheit von der Leitstelle Altmark in Stendal sagt, dass es häufig „Anrufer unter Drogen- oder Alkoholeinfluss sind, die die 112 wählen“. Diese Menschen hätten – wenn überhaupt – Anliegen, wo ihnen die Leitstelle nicht weiterhelfen könne. „Allerdings ist es aufgrund des Zustandes zumeist sehr schwer sich in solchen Fällen bei den Anrufern verständlich zu machen.“

Manchmal würden die Notrufnummern auch verwechselt: „Zum Beispiel bei einem Unfall ohne Personenschaden ist die 112 die falsche Nummer. „Oft müssen wir dann mit den zuständigen Stellen verbinden.“

Ein anderes Phänomen kennt Guido Strohmeier, Chef der Magdeburger Leitstelle – die sogenannten Hosentaschenanrufe.

„Es passiert immer wieder, dass sich das Handy in der Tasche selbständig einwählt – manchmal kommen dabei Fantasie-Nummern heraus, manchmal eben die 112.“ Das sei natürlich nicht als mutwilliger Notrufmissbrauch zu werten.

Letzterer wird bestraft. Denn, wer absichtlich oder wissentlich eine Notrufnummer missbraucht und einen Notfall nur vortäuscht, muss mit einer Freiheitsstrafe von bis zu einem Jahr oder einer Geldstrafe rechnen. Im schlimmsten Fall werden Rettungskräfte sinnlos gebunden und können Hilfe dort nicht leisten, wo sie wirklich benötigt wird.

Neben den strafrechtlichen Konsequenzen gibt es auch zivilrechtliche Folgen: Wer den Notruf missbraucht, trägt die Kosten des Einsatzes und eventuelle Folgeschäden, wenn also jemand zu Schaden kam, weil Hilfe nicht rechtzeitig da war.

Das treffe natürlich nicht zu, wenn eine Oma ihren Enkel anrufe und fälschlicherweise den Notruf wähle. Auch, wenn kleine Kinder sich das Handy vom großen Bruder schnappen und darauf herumklimpere habe das keine rechtlichen Folgen.

Anders sah es hingegen bei einem stadtbekannten Straftäter aus. Der Schönebecker hatte innerhalb von gut zwei Stunden 21-mal die 110 gewählt.

Er hatte dabei die Beamten am anderen Ende mit einem kleinen Liedchen erfreut. Doch damit nicht genug, während des Prozesses vor dem Amtsgericht wegen Notrufmissbrauchs wurden auch Auszüge aus dem Dialog, der sich entsponnen hatte, vorgespielt:

„Was können wir für Sie tun?“

„B. hier. Wer ist denn da überhaupt?“

„Liegt ein Notfall vor?“

„Eigentlich nicht. Ich möchte einen Pastor sprechen. Wo wohnt der Pastor? Ich möchte mit einem Priester verbunden werden. Aber nicht die Mordkommission.“

Wenige Minuten später dieselbe Nummer: „Hier ist Michael Krause. Ich habe den Notruf nicht gewählt. Ich habe psychische Probleme. Hier ist Michael Schulze. Ich möchte abgeholt werden.

„sind Sie sicher, dass Sie Herr Schulze sind?“

„Ja, warum?“

„Es gibt auch welche, die nicht wissen, wie sie heißen.“

Der 25-Jährige wurde zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von neun Monaten verurteilt.

Seit Dezember 2008 gilt in der Europäischen Union die einheitliche Notrufnummer 112 – kostenfrei und ohne Vorwahl kann aus allen Fest- und Mobilfunknetzen Hilfe gerufen werden. in der Leitstelle wird die Landessprache und meistens auch Englisch gesprochen.

Allerdings ist die 112 längst nicht allen Menschen bekannt. Eine Umfrage der EU vor vier Jahren brachte ans Tageslicht, dass sie nur jeder vierte Deutsche kennt. Europaweit war die möglicherweise lebensrettende Zahlenkombination nur rund jedem Zweiten (51 Prozent) bekannt.