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Energiewende Ein zweites Leben für Akkus

Der Magdeburger Energiedienstleister Getec baut einen Stromspeicher, in dem gebrauchte Batterien von Elektroautos weiterverwertet werden.

05.11.2015, 23:01

Lünen l Ausgerechnet im Ruhrpott, der Industrieregion, die einst von Kohle und Stahl regiert wurde, ist in dieser Woche der Grundstein für einen Stromspeicher gelegt worden. Die Batterie soll im Schatten der alten Schlote künftig regenerative Energie aus Wind und Sonne aufnehmen und bei Bedarf in das Stromnetz integrieren. Eine Idee, die nüchtern betrachtet wenig revolutionär zu sein scheint. Kluge Köpfe forschen weltweit an Speichern, die in naher Zukunft das Stromnetz stabilisieren und Schwankungen ausgleichen sollen. Doch der Speicher, der in den kommenden Monaten auf dem Gelände des Entsorgungsunternehmens Remondis in Lünen (Nordrhein-Westfalen) entstehen wird, ist einer mit Pfiff. Denn die verbauten Batterien hatten ein Vorleben als Akkus von Elektroautos.

Bis zu 1000 dieser Module wollen die Projektpartner Daimler, Getec, Remondis und der Energievermarkter The Mobility House bis Jahresende in den Speicher verbaut haben. Zusammen erreichen die Batterien dann eine Leistung von 13 Megawatt und bilden den größten 2nd-Use-Batteriespeicher der Welt. Rechnerisch könnten damit alle Haushalte der Stadt Lünen – rund 87 000 Einwohner – eine Stunde lang mit Strom versorgt werden. „Das Projekt zeigt, dass der Lebenszyklus eines Elektroauto-Akkus nicht nach dem Automobilbetrieb endet“, erklärt Bernward Peters, Vorstand von Getec-Energie.

Im Elektro-Smart haben die Batterien zuvor bereits viele Kilometer zurückgelegt. Im Straßenverkehr sollen die Akkus mindestens fünf Jahre lang ihre volle Leistung abrufen können. Diese Garantie gibt Daimler seinen Kunden. Auch danach sind die Batteriesysteme weiter einsatzfähig. Die gebrauchten Akkus werden von der Daimler-Tochter Accumotive wieder aufbereitet. Dann soll der Betrieb im stationären Speicher zehn Jahre weitergehen, sagen Experten. Danach recycelt Remondis die Akkus und führt die Rohstoffe in den Produktionskreislauf zurück. Weil sich dieser letzte Schritt zeitlich deutlich verschiebt, werde sich der wirtschaftliche Nutzen der Elektromobile verdoppeln, sagt Dieter Zetsche, Vorstandsvorsitzender von Daimler.

Für den Chef eines der erflogreichsten Automobilunternehmen der Welt ist das Projekt richtungsweisend auf dem Weg in die elektromobile Zukunft. Zetsche glaubt, dass stationäre Speicher helfen, die Elektromobilität besser und erfolgreicher zu machen. Eine Vision, die auch Angela Merkel (CDU) gefallen dürfte. Die Kanzlerin hält nach wie vor an ihrer gesetzten Marke fest, dass bis 2020 mindestens eine Million Elektrofahrzeuge auf deutschen Straßen unterwegs sein sollen. Doch derzeit haben die Deutschen wenig Lust auf die Stromer. Nicht wenige halten das Ziel für illusorisch. Denn die Zahlen sind ernüchternd. Derzeit fahren nur rund 130 000 Elektrofahrzeuge in Deutschland. Und das auch nur, wenn man Hybridautos dazuzählt, also auch Fahrzeuge, die mal konventionell, mal elektrisch betrieben werden. Reine Elektroautos kommen nicht mal auf 20 000 Stück.

„Mit den Elektroautos ist es wie mit den Windrädern. Alle finden sie toll, aber niemand will eines vor der Haustür“, erklärt Zetsche dazu süffisant. Kunden würden von den Batterie-Fahrzeugen eine ähnliche Leistung wie von konventionellen Autos erwarten. „Aber an denen arbeiten wir schon mehr als 130 Jahre“, sagt der 62-Jährige. Das Projekt in Lünen soll dem kühnen Traum der Kanzlerin nun neuen Schub geben. „Die Zweitnutzung der Batterien wird helfen die Wirtschaftlichkeit zu verbessern. Das ist ein eindeutiger Rückenwind für die Elektromobilität“, so Zetsche. Der Manager erwartet schon im kommenden Jahr reduzierte Kosten für Lithium-Ionen-Batterien, die in vielen Elektroautos verbaut sind.

Viele Autohersteller haben die Speichertechnologie für sich entdeckt. Daimler bietet seit diesem Jahr auch Speicher für den Hausgebrauch an. BMW arbeitet zusammen mit dem Energieversorger ENBW an ähnlichen Projekten. Und auch der amerikanische Elektroauto-Hersteller Tesla ist in dem Markt aktiv. Das Unternehmen aus dem kalifornischen Palo Alto hat sich wie Daimler den Magdeburger Energiedienstleister Getec als Partner geangelt. Das erfuhr die Volksstimme aus Branchenkreisen.

Die Getec-Gruppe verdient seit Jahren gutes Geld mit Strom. Im vergangenen Jahr erwirtschafteten die Magdeburger bei einem Umsatz von 721 Millionen Euro einen Gewinn von 33,3 Millionen Euro. Die Mitarbeiter sind Experten im Aufbau und Betrieb von Anlagen, die Energie erzeugen und speichern, sowie in der Vermarktung von Strom. Seit mehreren Monaten arbeitet Getec zusammen mit dem schweizerischen Unternehmen The Mobility House (TMH) auch an der Integration von Elektrofahrzeugen in das Stromnetz. Denn die Autos eignen sich als Kurzzeitspeicher für überschüssige Energie.

TMH und Getec sind auch in Lünen für den Betrieb des Speichers und die Vermarktung des Stroms an den Energiemärkten zuständig. Die grüne Energie soll als Regelenergie für das öffentliche Stromnetz bereitgestellt werden und Schwankungen ausgleichen. Ein Geschäft, das sich lohnen dürfte. Denn am Markt für Regelenergie (siehe Infokasten) gelten eigene Gesetze. Nicht nur die gelieferte Strommenge wird vergütet, sondern auch die vorgehaltene Leistung über einen bestimmten Zeitraum. Von den Netzbetreibern, die am Regelenergiemarkt Strom einkaufen, rechnen die Projektpartner mit einer Summe von bis zu 180 000 Euro pro Jahr und Megawatt. Knapp zehn Millionen Euro haben Daimler, Getec und Co. in den Speicher investiert.

Bisher wird die Regelleistung von fossilen Kraftwerken bereitgestellt, etwa von Gas- oder Kohlemeilern. Speicher haben aber einen entscheidenden Vorteil. Innerhalb von Millisekunden können sie reagieren. Zudem verbrauchen sie nicht unnötig Strom, wenn gerade keine Regelenergie benötigt wird.

„Unser Energiesystem muss bei einem wachsenden Anteil erneuerbarer Energien flexibler werden“, sagt der Staatssekretär aus dem Bundeswirtschaftsministerium, Uwe Beckmeyer (SPD). Getec-Chef Karl Gerhold sieht einen Siegeszug der Stromspeicher voraus. „In zehn Jahren werden wir eine große Anzahl an Speichern haben. Getec hat die Weichen gestellt und wird vorne mit dabei sein“, so Gerhold. Die Magdeburger arbeiten mit ihren Partnern bereits am nächsten Projekt.

In Schleswig-Holstein wird ein ähnlicher Speicher wie in Lünen entstehen. Weitere 900 Windkraftanlagen werden in den kommenden Monaten in dem Bundesland zwischen den Meeren gebaut. Danach werden zwischen Nord- und Ostsee rund 6500 Megawatt Windenergie-Leitung installiert sein. Eine Masse, die für das Stromnetz auch Gefahren birgt. Als im Januar die Sturmtiefs „Elon“ und „Felix“ über das Land hinwegzogen, waren viele Windräder über Stunden voll ausgelastet. Allerdings standen zu wenig Leitungen zur Verfügung, um die Produktionsüberschüsse abzuleiten. Netzbetreiber mussten einschreiten. Kosten für diesen „Redispatch“ genannten Markteingriff gingen in die Millionen. Künftig sollen die geplanten Hochspannungsleitungen vom Norden in den Süden helfen – und Speicher.

Auch in Sachsen-Anhalt ist Getec auf der Suche nach einem Standort für einen 2nd-Use-Batteriespeicher. „Als Land mit viel Windenergie ist Sachsen-Anhalt prädestiniert für Speicherprojekte“, sagt Bernward Peters. In Frage kommt dafür zum Beispiel der ehemalige Militärflugplatz in Zerbst. Dort wird Getec noch in diesem Jahr einen Windpark in Betrieb nehmen.