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Schwarz-Rot-Grün Unsicherheitsfaktor SPD

Am Mittwoch haben die Sondierungsgespräche von CDU, SPD und Grünen begonnen. Es gibt einen unsicheren Faktor.

16.03.2016, 23:01

Magdeburg l Kakao und Kaffee müssen gut gewesen sein. Bestens gelaunt kommt Ministerpräsident Reiner Haseloff (CDU) aus der ersten Sondierungsrunde mit SPD und Grünen heraus. Dem Kakao, der in der CDU-Fraktion im Landtag regelmäßig zu Sitzungen gereicht wird, wird eine „beruhigende Wirkung“ nachgesagt. Doch die war – so verkünden CDU, SPD und Grüne nach den gut eineinhalbstündigen Gesprächen unsisono – gar nicht nötig. Die Atmosphäre sei freundlich, der Austausch konstruktiv gewesen, heißt es. „Wir wissen, worauf es jetzt ankommt. Wir steuern auf eine stabile Koalition der Mitte hin“, sagt Reiner Haseloff. Er sei optimistisch.

Auch die Grünen geben sich drei Tage nach der Landtagswahl schon staatstragend. Die Zeit der Opposition scheint der Vergangenheit anzugehören. „Wir haben alle miteinander eine Verantwortung für dieses Land“, sagt Landeschefin Cornelia Lüddemann. Dann betont sie, dass bei einer Regierungsbeteiligung auch „grüne Inhalte“ drin sein müssten.

Vor nicht einmal neun Monaten hatte Lüddemann die CDU/SPD-Landesregierung noch scharf angegriffen. „Dieses Kabinett des Grauens gehört abgewählt“, sagte sie bei einem Landesparteitag. Sie sprach von einer „unsäglichen Koalition“. Eine Regierung ohne die CDU sei „bitter, bitter nötig“.

Es hat schon Symbolkraft, dass die Grünen, der nominell kleinste der drei Gesprächspartner, am Mittwoch noch vor den Sozialdemokraten ein Statement zur ersten Gesprächsrunde abgeben. Schwarz und grün – da wird man sich schon irgendwie zusammenraufen. Allen ist klar: Der große Unsicherheitsfaktor für die Bildung einer neuen Regierung ist die SPD.

Die kommissarische SPD-Chefin Katja Pähle gibt sich auch betont zurückhaltend. Das Ziel sei die Aufnahme von Koalitionsverhandlungen, sagt sie. Doch zunächst werde sie „die Gremien“ über das erste Sondierungsgespräch unterrichten. „Die Gremien“ sind nicht irgendwer: Am Freitag werden erneut Vorstand und Parteirat – also alle wichtigen SPD-Politiker des Landes – zu einer Krisensitzung zusammenkommen.

In der SPD brodelt es weiter. „Es rumort gewaltig“, sagt Steffen Burchhardt, Landrat im Jerichower Land. „Die Partei ist zerstritten.“ Ein anderer SPD-Mann fügt hinzu: „Der Unmut ist riesengroß.“ Der Landrat der Salzlandkreises, Markus Bauer, sagt: „Die Basis will eine erneute Kommunikation. Es ist wichtig, dass man sich dieser Aufgabe stellt. Wir müssen endlich zur Geschlossenheit zurückfinden.“ In einer Partei sei es wie in einer Familie. „Das funktioniert nur gemeinsam“, sagt Bauer mit Blick auf die zwei entstandenen Lager.

Burchhardt macht Druck. Er kündigt an, am Freitag erneut den Rücktritt des gesamten Landesvorstands zu fordern. Als wahrscheinlich gilt, dass auf Initiative mehrerer Kreisverbände kurzfristig ein Sonderparteitag einberufen wird. Als Termine sind der 2. oder der 9. April im Gespräch. Dann könnte ein neuer Landesvorstand gewählt werden.

„Ich fühle mich veräppelt“, sagt Burchhardt mit Blick auf das Agieren von Katrin Budde. Die hatte zwar am Montag auf massiven Druck der Basis ihren Verzicht auf den Fraktionsvorsitz erklärt. Doch zugleich zog sie im Hintergrund die Fäden und brachte ihren Vertrauten Andreas Steppuhn als neuen Fraktionschef ins Spiel. „Das war ein Husarenstück“, sagt ein Landesvorständler. Steppuhn trat – für viele überraschend – am Dienstag gegen den Kandidaten der „Erneuerer“, Finanzstaatssekretär Jörg Felgner, an. Steppuhn gewann knapp mit fünf zu vier Stimmen. Zwei Landtagsabgeordnete, darunter dem Vernehmen nach die amtierende Landesvorsitzende Katja Pähle aus Halle, enthielten sich.

Steppuhn und Pähle sind jetzt SPD-Unterhändler bei den richtungsweisenden Sondierungsgesprächen. Burchhardt sagt, damit sitze Budde indirekt mit am Verhandlungstisch. Die Magdeburgerin lässt am Mittwoch bestätigen, dass sie kein Ministeramt übernehmen wolle. Gleichwohl behält sie eine Schlüsselrolle. Budde gilt als gute Netzwerkerin. In der SPD heißt es, sie habe auch ohne Parteiämter eine starke Machtposition. Hintergrund ist, dass eine schwarz-rot-grüne Koalition im Landtag auf 46 der 87 Sitze käme. Das ist eine knappe Mehrheit von nur zwei Sitzen.

Die Wahl Steppuhns belegt, dass in der neuen SPD-Fraktion vier Budde-Getreue plus sie selbst sitzen. Dieses Quintett könnte, so wird befürchtet, eine Landesregierung fünf Jahre lang „in Geiselhaft“ nehmen. Ministerpräsident Haseloff müsse ihnen jeden Wunsch erfüllen, sonst bekomme er nicht die erforderliche Mehrheit, wird geunkt.

Allerdings: Haseloff steht auch in der eigenen Partei unter strenger Beobachtung. In der CDU-Fraktion wird vor zu vielen Kompromissen gewarnt, die zu Lasten der Union gehen könnten. Schon 2011 war kritisiert worden, dass Haseloff der SPD zu viele Zugeständnisse gemacht habe – inhaltlich wie personell. Seinerzeit wurde der Koalitionsvertrag mit einem Marienkäfer verglichen: knallrot mit einigen schwarzen Punkten.

Das soll diesmal anders werden, heißt es in der CDU. Nur zwei Ministerien solle die SPD bekommen, derzeit sind es vier. Die Sozialdemokraten dringen indes auf drei Ressorts. Zu erwarten ist, dass Haseloff auf dem Weg zu einer stabilen Regierung sowohl der SPD als auch den Grünen weiter entgegenkommen wird, als es deren Wahlergebnisse eigentlich zulassen – um überhaupt eine Regierung bilden zu können.

An der SPD-Basis wird jedoch auch eine weitere Alternative diskutiert: Erwogen wird, in die Opposition zu gehen und eine Minderheitsregierung zu tolerieren. Es gibt Befürchtungen, als Juniorpartner weiter an Profil zu verlieren. Diesen Schritt würde die Union nach Informationen der Volksstimme jedoch nicht mitgehen. Dann müsse es eben Neuwahlen geben, heißt es in der CDU-Spitze. Dort hat man die Erfahrungen des „Magdeburger Modells“, einer von der PDS tolerierten SPD-Minderheitsregierung, im Hinterkopf: Die SPD schmierte nach acht Jahren ab. 2002 übernahm die CDU die Regierung mit der FDP.

Am nächsten Montag sollen die Sondierungsgespräche fortgesetzt werden – dann könnte es erstmals um konkrete Inhalte gehen. Die Fachthemen sollen später in Arbeitsgruppen zu den klassischen Ressorts verhandelt werden. Zusätzlich soll eine neue Arbeitsgruppe „Demokratieförderung und Integration“ entstehen. Damit ziehe man Konsequenzen aus dem Wahlergebnis, sagt Haseloff mit Blick auf das starke Abschneiden der AfD.

Der Zeitplan für Koalitionsverhandlungen ist eng. Die Unterhändler der Grünen haben von ihrer Partei erstmal nur den Auftrag für Sondierungen. Ein Parteitag soll am 1. April den Weg für Koalitionsverhandlungen freimachen.

Der neue Landtag muss jedoch spätestens am 12. April zu seiner ersten Sitzung zusammenkommen. Lüddemann gibt zu, dies sei „ambitioniert“. Haseloff versucht, vorab den Druck rauszunehmen. Je schneller es eine handlungsfähige Regierung gebe, desto besser, sagt der Ministerpräsident. „Allerdings gilt: Sorgfalt vor Eile.“