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30-Jähriger Krieg Ein Dorf bei Lödderitz wird ausgelöscht

Vor 400 Jahren begann der Dreißigjährige Krieg. Viele Siedlungen wurden vernichtet, Goldberg bei Lödderitz als einzige wiederentdeckt.

Von Jens Schmidt 22.07.2018, 13:57

Lödderitz l Hunderte Dörfer wurden im Dreißigjährigen Krieg erst geplündert und dann völlig zerstört. Jahrhunderte später suchen Forscher nach Spuren. Doch sie finden nichts. Entweder wurden die Dörfer später überbaut oder Wald war darüber gewachsen. In Sachsen-Anhalt gelingt Archäologen dann die Sensation: Bei Lödderitz finden sie die Überreste von „Goldberg“, das im Dreißigjährigen Krieg vernichtet wurde. Der Fund ist bislang einmalig in Deutschland.

2011 beginnt der Bau eines neuen Hochwasser-Deichs im Lödderitzer Forst. Wie bei großen Vorhaben üblich, dürfen erst die Archäologen übers Feld. Luftbilder hatten ohnehin ihr Interesse geweckt: Verfärbungen im Ackerboden deuten auf Besiedlung hin. Man vermutet ein Dorf aus der Eisenzeit.

„Schon an der Oberfläche entdeckten wir säckeweise Material“, erinnert sich Dietlind Paddenberg vom Landesamt für Denkmalpflege. Die Archäologin war damals mit vor Ort. Stücke von Mönch-Nonne-Dachziegeln, wie sie vor Jahrhunderten oft verwendet wurden. Gehauene Steine, Ofenkachelfragmente, glasierte Keramik. Jeder Spaziergänger hätte sie entdecken können.

Den Forschern ist schnell klar: Das war keine Eisenzeit, das waren Stücke aus dem 13. bis 17. Jahrhundert. Dann geht es etwa einen halben Meter in die Tiefe. Becherglas, Reste von Butzenscheiben, Ofenkacheln – das war damals teuer. Hier stand keine Bauernkate, hier stand ein Gehöft und es hatten einst wohlhabende Leute dort gewohnt.

Dann: Gebäudefundamente, der Rest eines Grabens, verkohlte Hölzer, „verziegelter“ Lehm – wie er nur bei großer Hitze entsteht. In einer dicken Brandschicht finden die Forscher Tausende Scherben; zudem Kerzenleuchter, Meisel, Vorhängeschlösser, Heugabel, Reste von Reitzeug. Offenbar mussten die Bewohner fliehen, mussten ihr Hab und Gut zurücklassen.

Ein Großfeuer? Ein Raubüberfall? Kaum. Im Schutt finden die Forscher zwei steinerne Kanonenkugeln.

Krieg? Es spricht sehr viel dafür. Zwischen 1630 und 1644 gab es an Elbe und Saale große Truppenbewegungen. Ende 1644 spitzte sich die Lage in der Region zu. Zwei schwedische Armeen (Protestanten) von Knig Gustav Adolf marschierten vom Süden und Osten auf Bernburg. Ein kaiserliches Heer (Katholiken) wollte eine Vereinigung der beiden feindlichen Truppen verhindern und zog von Stendal und Magdeburg ebenfalls nach Bernburg.

Zu einer großen Schlacht kam es nicht, aber zu Scharmützeln und gegenseitiger Blockade. Die Schweden rissen in Nienburg reihenweise Häuser ab, um aus dem Holz sechs Saalebrücken zu zimmern. Von 120 Gebäuden blieben 12 bewohnbar. Es gab keine Gnade. Die meisten Heere mussten sich zudem selber versorgen. Raub gehörte zum Alltagsgeschäft. Viele Gehöfte waren wohlhabend, aber den Armeen hoffnungslos unterlegen. So auch bei Lödderitz. Eine günstige Gelegenheit für einen Raubzug am Wegesrand.

Aber mit Kanonen auf ein Gehöft schießen? Die Forscher können nur einen schmalen Streifen aufgraben; ein großer Teil des Areals liegt im Wald. Wieder wird das Gebiet überflogen. Dieses Mal ist eine neue Technologie an Bord. Mit Laserstrahlen wird der Boden abgetastet und dann die Vegetation digital „herausgefiltert“. Der sogenannte „Lidar-Scan“ ermöglicht einen Blick durch den Wald hindurch in die Tiefe des Bodens. Wo Mauern oder Gräben waren, entstehen im Bild weiße Linien.

Die Aufnahme vom Wald bei Lödderitz zeigt viele Linien. Nun ist klar: Hier stand nicht ein Haus, hier standen etwa 12 Gehöfte, dazu ein massiverer Bau, vielleicht eine Kirche. Die Siedlung war von Wällen und Gräben umringt, es gab kleine Durchlässe.

„Das Bild war der Hammer“, schwärmt Archäologin Paddenberg bis heute. Auch sieben Jahre später gilt der Fund bei Lödderitz als Sensation. „Es ist die einzige Wüstung aus dem Dreißigjährigen Krieg, die bisher in Deutschland gefunden wurde.“ Andere wurden entweder überbaut oder liegen noch irgendwo unentdeckt in Wäldern. Mit den Funden bei Lödderitz gelang es zudem erstmals, die überlieferten Berichte über die Zerstörungen auf dem Lande auch archäologisch nachzuweisen. Zuvor gefundene Wüstungen stammten aus dem Mittelalter, die nach Pest oder Hungersnöten verlassen worden waren. Mit dem Fund bei Lödderitz wurde ein neues Kapitel in der Forschung aufgeschlagen.

Bei der vernichteten Siedlung handelt es sich ganz offenkundig um das Dorf „Goldberg“. In der ältesten bislang entdeckten Urkunde aus dem Jahr 1219 ist ein „Golberghe“ erwähnt. Später tauchen in Dokumenten die Namen „Goleberch“ und „Golberg“ auf. Noch heute gibt es bei Lödderitz und in der Nähe des Fundortes den „Goldberger See“. 2018, im 400. Jahr nach Beginn des Krieges, interessieren sich auch überregionale Fernsehsender dafür. Archäologin Paddenberg bekam schon Anfragen.

Was liegt noch in der Goldberger Erde? Skelette von Menschen oder Tieren wurden bislang nicht gefunden. „Aber wir haben ja nur in einem kleinen Teil gegraben“, sagt Paddenberg. Die Archäologen würden eines Tages gern tiefer in die Geschichte Goldbergs schauen. Aufwand und Eingriff wären enorm, zumal dort Wald steht. Aber reizen würde es Sachsen-Anhalts Archäologen schon.

Nächsten Sonnabend kommt der dritte und letzte Teil unserer Serie: Lützen lockt die Schweden. Die Giganten Wallenstein und Gustav Adolf treffen aufeinander.