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30 Jahre Mauerfall Es hätte besser laufen können

Wahnsinn! Und dann kamen die Männer und Frauen aus dem Westen und haben aus der DDR die BRD gemacht.

Von Alois Kösters 09.11.2019, 00:01

Es war Zufall, dass die DDR der BRD in den Schoß fiel, als zwei ganz unterschiedliche politische Trends gerade in der BRD en vogue wurden: Ein neuer Wirtschaftsliberalismus und der Glaube daran, dass der Sozialstaat seine Kolateralschäden erträglich machen könnte.

Heute wissen wir, dass es keine gute Idee war, ein ganzes Volksvermögen in so kurzer Zeit zu verscherbeln. Wer hätte das alles aufnehmen sollen? Natürlich hätte der Staat langfristig Kapitalgeber für Industriekonglomerate wie zum Beispiel SKET in Magdeburg werden können. Gut ausgebildete, motivierte Mitarbeiter waren das eigentliche Kapital der DDR. Flankiert von einer Sonderwirtschaftszone hätte das ein großer Erfolg werden können. Kein Privatinvestor ist diesen langen Weg gegangen, wie die Wirtschaftstheoretiker feststellen mussten. 18 Jahre später war der Einstieg des Staates bei der Commerzbank plötzlich kein Problem mehr.

Ja, die DDR hätte Sonderwirtschaftszone werden können: weniger Steuern, Regularien und Lohn für mindestens zehn Jahre hätten Firmen angezogen und Firmengründungen leichter gemacht. Aber im Westen fürchteten alle, dass der Ossi rübermacht. Die BRD-Wirtschaft wollte keine Wettbewerber, sondern den Markt. Und die BRD-Gewerkschafter, die im Osten das Regiment übernahmen, träumten vom Tariflohn für alle, am besten sofort. Unverdrossen bezogen die Funktionäre aus dem Westen ihre neuen Büros. Bis heute haben nicht einmal die Hälfte der Beschäftigten im Osten einen Branchentarifvertrag.

Dabei wäre kaum ein SKET-Facharbeiter, der gerade sein Haus in der Börde schick macht, wegen etwas mehr Lohn nach Stuttgart gezogen. Das ist ja bis heute so.

Natürlich hätte man staatliche Wohnungen in Magdeburg, Stendal oder Halberstadt unter Sanierungsauflagen an ihre Bewohner verschenken können. Andere Ostblockstaaten haben es auch so gemacht. Nach der Inventur der Treuhand war nichts mehr übrig vom Volksvermögen. Heute besitzen zu wenige Ost-Bürger Immobilien. Statt Geld zu investieren wurde es als Almosen verteilt. Vieltausendfach sinnlose ABM, an denen sich nur die Träger bereichert haben. Der Staat repariert, anstatt zu gestalten. Das hat keinen ehemaligen SKET-Arbeiter zufrieden gemacht, auch wenn er mehr konsumieren konnte als zu DDR-Zeiten. Als Gerhard Schröder die Reißleine ziehen musste, traf das vor allem den Osten.

Und alles wurde so wie in der BRD. Statt wie in Estland schnelle Leitungen zu verlegen, hat die Telekom Kupfer vergraben. Statt Städte zu verbinden, fahren die schnellen Züge der Bahn bis heute an Magdeburg vorbei. Man hätte aus der Zone eine Innovationszone machen können.

Und natürlich hätte man schneller eine neue Ost-Elite schaffen können. Sonderstudiengänge für die schnelle Ausbildung von Juristen, Fortbildungen tüchtiger VEB-Manager. Es begab sich aber, dass gerade zu diesem Zeitpunkt die größte Alterskohorte in der BRD mit dem Studium fertig wurde. Arbeitslose Akademiker gab es im Westen zuhauf.

Reden wir über Ohnmacht. Wir sind das Volk! Das heißt staatliche Souveränität nach der Zeit als Vasallenstaat Mokaus. Ermächtigung der Bürger in ihren Gemeinden, statt zentraler Steuerung. Das beides nur eingeschränkt gilt, schmerzt den Bürger im Osten viel mehr als im Westen. Die Währung verschwand, die Grenzsicherung wurde outgesourct und wer im Osten aufbauen wollte, wird bis heute in ein bürokratisches Dickicht geschickt, wo er nach EU-Förderung forsten muss. Eine ausufernde Gesetzgebung fesselt die gewählten Entscheider und kann kaum noch vermittelt werden.

Wer erklärt den Enercon-Beschäftigten, dass Deutschland erneuerbare Energie dringend braucht, aber Gesetze erlassen werden, die Windenergie verhindern und über 20 000 Arbeitsplätze vernichten? Warum haben Einzelinteressen von Anwohnern und Verbänden mehr Gewicht als das nationale Interesse?

Und an der Basis dürfen die Gemeinderäte dabei zuschauen, wie das Geld für Pflichtausgaben ausgegeben wird, die zentral verordnet werden. Und selbst die plumpen Gebietsreformen, die in der BRD schon in den 70gern für reichlich Ärger gesorgt hatten, wurden im Osten kopiert. Ermächtigung sieht anders aus.

Das alles erklärt zum Teil das „abweichende Wahlverhalten“ im Osten, das die politische Elite im zusammenwachsenden Deutschland nicht denunzieren, sondern sensibilisieren sollte. Die Loyalität im Osten zu westdeutsch geprägten Parteien, Milieus und kulturellen Narrativen kann nicht so ausgeprägt sein. Das Frustbarometer schlägt deshalb schneller aus. Die Erosion der Volksparteien ist aber ein gesamtdeutsches Phänomen mit einem langen Vorlauf. Auch die BRD ist verschwunden. Auch im Westen leeren sich die traditionellen Foren der Demokratie, wie Ortsvereine, oder Gemeindeparlamente. Wir haben ein gemeinsames Problem. Für die Wiederbelebung der Demokratie ist die Ermächtigung von Bürgern und ihren Mandatsträgern die erste Voraussetzung. Der demokratische Wettbewerb vor Gericht, auf der Straße oder auf Facebook funktioniert nicht.

Hätte, hätte. In Wahrheit ist es in der Geschichte nie so gelaufen, dass man mit 30 Jahren Verspätung nicht bessere Ideen formulieren könnte. Es ist wie im Leben: Die Gesamtbilanz muss uns irgendwann versöhnen. Dass heute auch die Mehrheit im Osten die Gesamtentwicklung positiv sieht, hat mit Leuten wie Willi Polte, dem ersten Nachwende-Oberbürgermeister in Magdeburg, zu tun. Er wusste wie vielerorts DDR-Bürger, was nach der Wende zu tun sei. Und er hat vieles umsetzen können.

Dossier 30 Jahre Mauerfall