Hochwasser: Bundeswehreinheiten bilden schnelle Eingreiftruppen / de Maizière zwei Stunden vor Ort 9000 Soldaten kämpfen gegen die Flut
Magdeburg l Auch wenn tausende Feuerwehrleute, Einsatzkräfte und freiwillige Helfer in der Flut-Katastrophe ihr Bestes geben - sie kommen nicht überall gegen die Wassermassen an. Oft sind dann Soldaten der Bundeswehr die letzte Rettung.
In der Abenddämmerung steht Oliver Mann am Sonnabend mitten auf dem Parkplatz eines Discounters. Seine Kameraden sitzen um ihn herum, die einen unterhalten sich, andere liegen gar auf dem Steinboden, stützen lediglich ihre Köpfe mit Jacken oder Rucksäcken. "Wir ruhen uns noch ein paar Minuten aus, dann lösen wir unsere Kameraden am August-Bebel-Damm ab", berichtet der befehlshabende Kommandeur.
Seit den Mittagsstunden unterstützt die Panzerbrigade 21 aus Unna mit 543 Soldaten die Einsatzkräfte im überfluteten Magdeburger Stadtteil Rothensee. "Wir arbeiten rund um die Uhr in drei Schichten, notfalls aber auch in zwei", erläutert Mann. Ihr Auftrag: Das Umspannwerk am August-Bebel-Damm vor den Fluten sichern. Feuerwehr, Hilfs- und Rettungskräfte sind dort an ihre Grenzen gestoßen, sie können das aus dem nahegelegenen Hafenbecken drängende Elbewasser kaum zurückhalten.
"Das ist der größte Flut-Einsatz in der Geschichte der Bundeswehr" -
Oberleutnant André Sabzog
Die Soldaten, die Mann für die erste Tagesschicht eingeteilt hat, müssen also zuerst ein Chaos in den Griff bekommen - und das sollte mit Ordnung und Disziplin funktionieren.
Mit einem "Achtung" springen alle auf. Die Soldaten treten in Reih und Glied an. Im Gleichschritt marschieren sie zunächst durch knietiefes Wasser zum Umspannwerk. Dort reihen sie sich auf, um die Sandsäcke zu verteilen, die Transporter der Bundeswehr derweil herangeschafft haben. Doch weil das Wasser weiter drängt, heißt es nun für die Soldaten der Nachtschicht: Kräfte sammeln für den Einsatz und dann Kameraden ablösen. Zu dem Zeitpunkt zeichnet sich immerhin schon ab, dass das Umspannwerk wohl in Betrieb bleiben kann. Eine Notabschaltung hätte für weite Teile Magdeburgs einen Stromausfall bedeutet.
Die Soldaten der Bundeswehr helfen dieser Tage aber nicht nur beim Sandsackschleppen mit "Manpower", wie Kommandeur Mann erläutert. Bei Räumungen von Ortschaften sind Transportpanzer zur Stelle, vor allem dann, wenn normale Fahrzeuge in den meterhohen Fluten steckenbleiben würden. Notfalls kann die Truppe außerdem aus der Luft helfen. Bricht ein Deich, ist es für Einsatzkräfte am Boden oft zu gefährlich, sich den Fluten zu nähern, die sich in das Hinterland ergießen. Hubschrauber kommen dann zum Einsatz, die Big-Pack-Sandsäcke abwerfen können. Auf dem Flugplatz Krähenberge in Burg hat die Bundeswehr für sie eine Basis eingerichtet, damit die Maschinen schnell auftanken und weiterfliegen können. Große Transporthubschrauber kreisen den ganzen Tag über der Stadt und sorgen für staunende Blicke der Magdeburger. Einige haben sogar Wasserpumpen am Haken und schleppen sie zu den Einsatzorten.
Es ist ein riesiger logistischer Aufwand - bis hin zur Schaffung von Übernachtungsmöglichkeiten für die Soldaten. "650 Männer haben wir allein auf dem Magdeburger Flughafen in einem Hangar untergebracht", erläutert Oberleutnant André Sabzog. Zwei Soldaten teilen sich dort eine Koje. Sabzog: "Das ist wie auf einem U-Boot, das Bett ist immer warm." Auch Essen und Trinken organisiert sich die Truppe selbst. Sie hat hierfür Logistik- und Versorgungseinheiten nach Magdeburg verlegt. "Das ist der größte Flut-Einsatz in der Geschichte der Bundeswehr", betont Sabzog.
Am Sonntag kommt die symbolische Unterstützung sogar durch die oberste Heeresführung. Verteidigungsminister Thomas de Maizière landet auf dem Flugplatz Magdeburg. Mit Polizeieskorte eilt er quer durch die Stadt zum Brennpunkt Rothensee. Bevor er sich ein Bild von der Lage vor dem Umspannwerk machen kann, muss er aber umsteigen. Noch immer steht das Wasser auf dem August-Bebel-Damm, lediglich ein Transportpanzer kann ihn und seinen Militärstab zum Umspannwerk fahren.
Dort angekommen, bietet sich dem Minister noch immer eine angespannte Lage. Zwar sorgen Pumpen dafür, dass die Trafos im Trockenen stehen, doch rings um das Werk herum drückt die Flut. Obwohl der Minister keine Gummistiefel dabei hat, entschließt er sich aber trotzdem, vom Panzertransport buchstäblich ins Wasser zu klettern. Sein Wunsch: Mit Soldaten wie Oliver Mann sprechen. Zwei Stunden verbringt der Minister in Rothensee, dann fliegt er zurück nach Berlin.
Weil die Lage nun gerade auch in Magdeburg ernst bleibt, will die Bundeswehr personell weiter aufrüsten. 9000 Soldaten kämpfen in Sachsen-Anhalt mittlerweile gegen die Flut. Aber auch das Technische Hilfswerk rüstet auf: Allein in Magdeburg hat das THW seine Einsatzkräfte auf 2200 Männer verdoppelt. Für die Bundeswehr ist das eine willkommene Verstärkung. Letztlich macht es für sie keinen Unterschied, ob sich an den Barrieren Fachkräfte, freiwillige Helfer oder Kräfte der Feuerwehren einreihen. Denn am Ende geht es nur um eines: Wasser zurückdrängen, eine Katastrophe verhindern.