Paralympics-Siegerin vom USC Magdeburg hat London schnell abgehakt / Wintersport ist familiärer, erfordert aber viel mehr Eigeninitiative Andrea Eskau: In Sotschi sieben Medaillen im Visier
Für die zweifache Goldmedaillengewinnerin Andrea Eskau sind die Paralympics in London längst Geschichte. Die Rollstuhlsportlerin vom USC Magdeburg kennt keinen Müßiggang, sondern nur ein Ziel: Sotschi. Bei den Winterspielen 2014 will die 41-Jährige sieben Medaillen holen.
Magdeburg l "Meine Medaillen? Die habe ich nicht mit. Ich weiß nicht einmal, wo die zu Hause liegen ...", sagt Andrea Eskau. Kaum zu glauben, aber diese Antwort ist bezeichnend für die zweifache Paralympics-Goldmedaillengewinnerin im Radsport. Für sie ist tatsächlich nach London vor Sotschi. Bei den Winterspielen der Behinderten in 14 Monaten will sie es "noch einmal wissen". Sieben Starts im Biathlon und Langlauf sind geplant . "Das sind sieben echte Medaillenchancen." Die 41-Jährige, die inzwischen sogar mit einem Start in Rio 2016 liebäugelt und gerade versuche, ihrer Lebensgefährtin Amira dies als Traum-Urlaub "schmackhaft zu machen", meint es ernst.
Frischer Wind um die Nase macht glücklich
Aber erst einmal ist Sotschi angesagt. Dieses Ziel sei für sie bereits so präsent, dass alles, was mit dem grandiosen Erfolg auf der Rennstrecke in London Brands Hutch, wo sie die Konkurrenz sowohl im paralympischen Zeitfahren als auch im Straßenrennen in Grund und Boden gefahren hatte, "Schnee von gestern" ist.
Sie halte es da eher wie der norwegische Biathlon-König Ole Einar Björndalen. "Für den war der Zauber auch in dem Moment vorbei, als er vom Siegertreppchen heruntergestiegen ist. Da war nur noch das nächste Rennen von Interesse", so das Energiebündel, dem die vielen Ehrungen in der Woche nach London oder zuletzt die Auszeichnung mit dem silbernen Lorbeerblatt "ein wenig unangenehm und irgendwie peinlich" sind. "Solche Auszeichnungen sind zwar schön, und es ehrt mich, aber ich brauche das nicht, um glücklich zu sein." Was sie braucht, ist frischer Wind um die Nase und Training in der Natur und im Grenzbereich.
Und so ist Andrea Eskau wieder einmal auf der Durchreise. Und wie immer hat sie nur wenig Zeit zum Verweilen. Ein zweiwöchiges Trainingslager in der Oberhofer Skihalle hat der bis in die silbergrauen Haarspitzen durchtrainierte Dauerbrenner gerade hinter, ein Trainingslager in den italienischen Bergen vor sich.
Trotz der nie enden wollenden Hatz hat die berufstätige Diplompsychologin einen kurzen Zwischenstopp in Magdeburg eingelegt. Denn sie wollte es sich nicht nehmen lassen, bei der Saisonabschluss-Pressekonferenz der Handbiker vom USC Magdeburg, dessen Aushängeschild sie seit Jahren ist, vorbeizuschauen. Es läge ihr einfach am Herzen, jenen, die sie nicht nur finanziell, sondern auch mit Rat und Tat auf ihrem Weg nach London unterstützt haben, "persönlich Danke zu sagen".
Dabei durfte sich auch und gerade Sponsor Uwe Strehlow angesprochen fühlen. Der sportbegeisterte Firmenchef des gleichnamigen Vitalzentrums in Magdeburg habe, so Eskau, ihr 12 000 Euro teures Hightec-Bike entscheidend mitfinanziert. "Das Teil war dann ja auch eine echte Granate in London - und somit ein ganz wichtiger Teil des Erfolges", betonte die Sportlerin, die in der paralympischen Saison sage und schreibe 21 000 Trainingskilometer unter die Räder genommen hatte.
Auf die bevorstehenden Winterwettkämpfe, in denen sie die paralympische Saison einmal simulieren wolle, freut sich die Silber- und Bronzemedaillengewinnerin von Vancouver 2010 nach der stressigen Handbike-Saison schon sehr. "Besonders auch auf die Aktiven. Im Gegensatz zu den extrem ehrgeizigen Individualisten im Handbiken geht es bei den behinderten Wintersportlern untereinander viel familiärer, herzlicher zu. Alle frieren gleich oder finden Schneesturm Scheiße. Abends sitzt man oft zusammen und klönt."
Was im Sommer das Bike, ist im Winter der Schlitten. Und auch in dieses maßgeschneiderte "Geschoss" steckt sie, oder besser gesagt die Tüftler und Mechaniker an ihrer Seite, viel Geld, Liebe und Zeit. Seit kurzem ist sie stolze Besitzerin eines extra für sie entwickelten, "supercoolen" Skirollers, der das Training auf Waldwegen möglich macht. "Das ist nicht nur ungefährlicher, sondern macht mir auch viel mehr Spaß als das öde Herumgestochere mit den Skistöcken auf der Straße."
Bundestrainer Frank Ullrich gibt Tipps fürs Schießen
Das Material spiele auch im Hochleistungsbereich der gehandicapten Sportler eine sehr große Rolle. Aber das größte Potenzial sieht die in Köln beheimatete Eskau bei sich selbst und ihrem Steckenpferd Biathlon. Das reize sie besonders, auch wenn das Training viel Eigeninitiative von ihr verlange, sie sich beispielsweise um Munition, Schießanlage oder Papierscheiben selber kümmern und privat aufkommen müsse: "Biathlon ist spannend, da gehen zwei Komponenten in die Leistung ein und der Kopf spielt eine große Rolle. Den richtigen Rhythmus zu finden und um Konzentration zu kämpfen, wenn du mit 180 Puls an den Schießstand kommst, das ist eine ganz große Herausforderung für mich."
Weil sie lernen und sich verbessern will, scheut sich die im Training oft auf sich allein gestellte Ausnahmeathletin auch nicht, auf die Fachleute der Nichtbehinderten zuzugehen. Auf Langlauf-Legende Jochen Behle beispielsweise, der ihr bereits einige Tipps gegeben hat. Oder gerade erst in Oberhof Biathlon-Bundestrainer Frank Ullrich. Den habe sie einfach angesprochen und gefragt, ob er mal nebenbei ein bisschen auf ihr Schießen schauen könnte. "Er hat sich dann sogar eine halbe Stunde Zeit für mich genommen. Das fand ich echt nett und ist für mich persönlich die wahre Anerkennung meiner Leistungen."