Frauentag Auf dem Platz hat sie das Sagen
Melanie Piatkowski besitzt auf Sachsen-Anhalts Fußballplätzen ein Alleinstellungsmerkmal: Die Harzerin trainiert eine Männermannschaft.
Ilsenburg l 8. März? „Ja richtig, da war doch was! Frauentag, stimmt’s?“ Niklas Hanns, Youngster beim Landesligisten FSV Grün-Weiß Ilsenburg, ist verunsichert. „Und warum gerade ,Melli‘?“, ist dem 17-jährigen Kicker nicht klar, warum seine Trainerin anlässlich des Feiertages für eine Story gut ist. Das mag daran liegen, dass für ihn und seine kickenden Teamkollegen drei- bis viermal in der Woche „Frauentag“ ist. Nämlich dann, wenn Melanie Piatkowski, im Hauptberuf Lehrerin für Sport, Politik und Wirtschaft am Gymnasium in Goslar, die erste Mannschaft zum Training oder Punktspiel antreten lässt.
Seit Sommer 2017 hat die Harzerin auf dem Platz des FSV das Sagen. Und die 33-Jährige – zierlich und mit 1,56 Metern Körpergröße sicher gerne mal unterschätzt – tut das „ruhig, leise, aber bestimmt“, wie Niklas Hanns feststellt. Frei nach dem Motto: Klein, aber oho!
„Männer wollen und müssen robuster angepackt werden. Sie brauchen klare Ansprachen und Sanktionen“, weiß die Ex-Zweitligafußballerin. „Um meine Spieler zu erreichen, muss ich aber nicht brüllen oder ausfallend werden. Es ist eh schon traurig genug, was sich in den Stadien für menschliche Abgründe auftun“, blickt sie mit Erschrecken auf die letzten Monate im Liga-Spielbetrieb zurück. Es befremdet sie, wie manche Fans mit Spielern umgehen oder Schiedsrichtern angehen. Ihre Mission sei deswegen nicht die Emanzipation der Frau in einer Männer-Domäne, sondern sie will „in allem Vorbild sein und christliche Werte in die Welt hinaustragen“.
Zu ihrer Trainerphilosophie erklärt die leidenschaftliche Zeitungsleserin („Die ,FAZ‘ und der Sportteil der ,Volksstimme‘ sind ein Muss.“), dass sie sich in der Hierarchie des Teams nicht oben, sondern als Teil des Ganzen sehe. „Ich biete Lösungen und Alternativen an und setze auf Dialog und Mitdenken.“ Damit steht sie wohl im angenehmen Kontrast zu ihrem Vorgänger, wie Kapitän Dawid Lozinski verrät: „Der war ein Choleriker.“
Aber nicht nur ob der ruhigen, sachlichen Art habe es bei den Landesliga-Kickern im Alter von 17 bis 43 Jahren und verschiedener Nationalitäten von Anfang an keine Akzeptanzprobleme gegeben, versichert der polnische Mannschaftsführer: „Es geht um Fußball. Und da macht es für mich keinen Unterschied, ob auf der Trainerbank ein Mann oder eine Frau sitzt. Wichtig ist, was der Trainer drauf hat. Und ,Melli‘ ist vom Fach, sie sagt, wo‘s langgeht.“
Wie es geht, aber vor allem, was sie will, nämlich „Fußball-Star“ werden, wusste die gebürtige Ilsenburgerin schon, als sie noch ganz klein war. Ob ihr erstes Wort „Ball“ war, ist nicht überliefert, dass sie lieber dem runden Leder hinterher rannte, als mit Puppen zu spielen, schon. „Ich bin mit Jungs aufgewachsen, habe mit denen ständig rumgebolzt. Irgendwann mal bin ich zum Training mitgegangen, danach hat der Trainer mich gefragt, ob ich nicht dabeibleiben wolle.“ Was vor allem der Mama nicht so recht war. Sie wollte lieber, dass die Tochter zum Gitarrenunterricht geht. „Meine Mutter willigte ein, unter einer Bedingung: Ich sollte bei der nächsten Feierlichkeit ein Kleid anziehen.“
Ein„Erpressungsversuch“, der weitreichende Folgen hatte. „Einmal ein Kleid anziehen, dafür aber Fußball spielen zu können, das war es mir wert“, blickt Melanie, die heute gerne mal ganz Frau ist und zu bestimmten Anlässen freiwillig ein Kleid trägt, zurück. „Früher war das eine Strafe, aber es ist vielleicht normal, dass jemand, der in seinem engeren Umfeld nur Jungs hat, auch das dementsprechende Verhalten an den Tag legt.“
Die Entscheidung für den Fußball war eine Entscheidung fürs Leben nach eigener Fasson. Was gar nicht so einfach ist, in einer Welt, die ihrer Meinung nach „für und von Männern gemacht ist – siehe Politik, Wirtschaft, Kirche und ja, auch Fußball“. Ab und an habe sie sich in dieser Welt als Exotin gefühlt. „Aber ich habe ich mich nie darum geschert, was andere sagen. Nach außen hin zu gefallen und als Frau bestimmte Klischees zu bedienen, das habe ich nie versucht. Ich bin ein freier Mensch und lebe so, wie ich das will.“ Und so ging die Ilsenburgerin voll und ganz in ihrer Leidenschaft Fußball auf. Und das, obwohl sie bis zur D-Jugend das einzige Mädchen unter Jungs war. „Mir war das egal, ich fühlte mich wohl auf dem Platz – gleichberechtigt und anerkannt.“
Und sie war gut. So gut, dass das Talent übers Landesauswahl-Training zum Sportgymnasium nach Halle delegiert wurde. Auch dort war Melanie eher eine Exotin. „Wir waren vier Mädchen in der Fußballerklasse und mussten mit den Jungs zusammen trainieren. Die waren uns körperlich und konditionell überlegen, sich da durchzubeißen, war eine harte, aber gute Schule.“
Vom Halleschen FC ging es nach dem Abi 2004 zum Zweitliga-Aufsteiger USV Jena. Parallel dazu begann das Lehramtsstudium. Es folgten mehrfache Vereinswechsel und Spielzeiten in der Regionalliga oder 2. Liga (Gera, Eisenberg/Hermsdorf, Lok Leipzig), bis die defensive Mittelfeldspielerin im Winter 2012 beim Zweitligisten Magdeburger FFC anheuerte. Drei Jahre später beendete Melanie Piatkowski ihre Fußballkarriere. Mit 31. „Das Feuer war erloschen, mir fehlte die Motivation. Außerdem waren die Gesprächsthemen in der Kabine nicht mehr meine.“
Im Sommer 2016 spielte „Faust“ Schicksal. Bei der Aufführung des Theaterstücks auf dem Brocken traf die Studienrätin einen alten Wegbegleiter: Karsten Heindorf. Unter ihm hatte sie während einer längeren Verletzungspause bei den Ilsenburger Männern mittrainiert. „Zum Abschied schenkte ,Melli‘ mir damals ihre auch als Buch veröffentlichte Staatsexamensarbeit.“ Das darin unter Beweis gestellte profunde Wissen, ihr Können und Erfahrungsschatz als Spielerin sowie letztlich der Besitz der B-Lizenz prädestinierten sie aus Heindorfs Sicht für den Job, die zweite Männermannschaft zu trainieren. „Ich war mir sicher, sie kann das genauso gut wie ein Mann. Also habe ich ,Melli‘ gefragt, ob sie sich den Job zutraut.“ Und die musste eine Nacht darüber schlafen, um festzustellen: „Ja, das kann ich, das mach ich.“
Etwas länger habe sie über das Mitte 2017 gemachte Angebot der Vereinsführung nachdenken müssen, die erste Mannschaft zu übernehmen. „Ich hatte vor allem wegen der internationalen Zusammensetzung Bedenken. Aber dann habe ich mir gesagt: Mein Fachwissen wird mich auch hier tragen.“ Der Erfolg gibt ihr Recht: Der FSV Ilsenburg steht aktuell auf Platz acht, hat in dieser Saison noch kein Heimspiel verloren. Für diese bisher einmalige Serie musste erst eine Melanie Piatkowski kommen ...