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Azubi-Mangel Mehr Lehrgeld gefordert

Viele Ausbildungsstellen in Sachsen-Anhalt sind unbesetzt. Vor allem das Handwerk klagt. Demografie und Bezahlung sind schuld.

Von Janette Beck 22.10.2018, 01:01

Magdeburg l Dass man mit Speck auch im Handwerk Mäuse fängt, davon ist Nick Meinecke überzeugt. Seine Branche hat am meisten mit den Folgen sinkender Azubizahlen zu kämpfen. Der Harzer ist Chef eines Heizungs- und Sanitärbetriebes in Wernigerode. Er würde liebend gerne Nachwuchs ausbilden, findet aber keinen. Das liege an der vergleichsweise geringen Ausbildungsvergütung, aber auch am negativen Image des Berufes: „Wenn wir mehr junge Leute für das Handwerk begeistern wollen, dann müssen wir dementsprechende Anreize schaffen und Perspektiven aufzeigen.“

Seit über zwei Jahren lag keine einzige Bewerbung mehr auf seinem Schreibtisch, klagt der Meister, der einem Azubi auch gerne mehr zahlen würde, als gesetzlich festgelegt ist: „Aber ich komme über ein solches Angebot nicht einmal ins Gespräch mit einem Kandidaten. Es gibt keine.“ Und so lange im Industriebereich wesentlich mehr bezahlt werde, so Meinecke, werde sich das auch nicht ändern: „Um Chancengleichheit auf dem Ausbildungsmarkt zu erreichen, muss die Vergütung im Handwerk besser werden.“

Für Stefanie Klemmt, Geschäftsführerin Berufsbildung in der Handwerkskammer Magdeburg, hat die duale Ausbildung durchaus ihren Reiz: „Einen Beruf erlernen und dabei Geld verdienen, ist ein Motivationsaspekt.“ Für Branchen mit geringen Ausbildungsvergütungen werde es aber immer schwerer, ihre Zielgruppen anzusprechen. „Die Unternehmen befinden sich untereinander, aber auch zu benachbarten Bundesländern im Wettbewerb“, so Klemmt. Wer als Azubi die Wahl habe, entscheide sich bei sonst vergleichbaren Konditionen für den „Meistbietenden“.

Die Zeichen der Zeit haben viele Branchen erkannt. Sie hoben zum Start ins neue Ausbildungsjahr im September das Lehrgeld an. Sehr zur Freude der angehenden Friseure. Sie waren bis dato mit 165 Euro im ersten Lehrjahr die Geringverdiener unter den Azubis in Sachsen-Anhalt. Nunmehr bekommen sie 325 Euro.

Dass mehr Geld allein glücklich macht, wagt Friseurmeisterin Doreen Eggert, die in Osterburg den „Salon Hairlounge“ betreibt, allerdings zu bezweifeln: „Ich denke, dass immer noch viel Idealismus, sprich Liebe und Leidenschaft zum Friseurberuf vorhanden sein muss, um sich dafür zu entscheiden.“ Dass sie selbst seit vier Jahren vergeblich ihre Angel auf dem Azubi-Markt auswirft, stehe im Zusammenhang mit dem Schlagwort Work-Life-Balance: „Die Ansprüche der jungen Leute sind gewachsen. Der Dienstleistungsbereich mit seinen langen Öffnungszeiten ist für sie nicht attraktiv.“ Der weite Weg zur Berufsschule nach Salzwedel oder Magdeburg tut sein Übriges: „Die hohen Fahrtkosten schrecken viele ab.“

Die schlagen trotz Aufstockung des Lehrgeldes auch bei Floristen, Tischlern oder Azubis im metallverarbeitenden Handwerk ins Kontor. Ihre Ausbildungsvergütung liegt immer noch unter 500 Euro im ersten Lehrjahr. Zu wenig nach Meinung von Susanne Wiedemeyer, Chefin des Deutschen Gewerkschaftsbundes in Sachsen-Anhalt. „Die Ausbildungsvergütung muss angemessen sein. Da gibt es in Sachsen-Anhalt sicher Nachholbedarf. Es wundert mich nicht, dass viele junge Menschen für eine Ausbildung das Land verlassen oder lieber studieren“, legt die Gewerkschafterin den Finger in die Wunde. Vor allem junge Frauen entscheiden sich häufiger gegen eine Ausbildung. „Wir halten eine Mindestausbildungsvergütung für notwendig. Und diese muss bundesweit einheitlich sein.“

Aus Sicht von Burghard Grupe, Hauptgeschäftsführer der Handwerkskammer Magdeburg, habe es in den letzten zwei Jahren im Handwerk bereits „viel Bewegung nach oben“ gegeben. Allerdings sei wichtig, dass Ausbildungsvergütung und Lohn nicht in einen Topf geworfen werden. Grupe: „Während es beim Lohn darum geht, damit den Lebensunterhalt vollständig zu bestreiten, ist eine Ausbildungsvergütung ein Zuschuss zum Lebensunterhalt während einer Zeit des Lernens und Erlernens.“

Einig sind sich alle darin, dass neben der Vergütung noch andere Anreize geschaffen werden müssen, um Azubis zu gewinnen und im Land zu halten. Sowohl die Erstattung der Kosten für die Internatsunterbringung als auch die Fahrtkosten gehören diesbezüglich auf den Prüfstand. „Aufgrund der weiten Wege zu den Berufsschulen geben viele Auszubildende einen erheblichen Teil der Vergütung für Fahrtkosten aus“, mahnt DGB-Chefin Wiedemeyer Handlungsbedarf an und unterstreicht die Forderung nach einem landesweiten Azubi-Ticket: „Das muss kommen, um die Kosten spürbar zu verringern.“