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Bahnhof Stendal Ein Graus für Rollstuhlfahrer

Fehlende Aufzüge, zu niedrige Bahnsteigkanten: Rollstuhlfahrer, die in Sachsen-Anhalt Zug fahren wollen, haben es oft schwer.

Von Elisa Sowieja 18.09.2017, 01:01

Stendal/Wolmirstedt l Christian Hauer lässt sich von seinem Rollstuhl nicht mehr einschränken als unbedingt nötig. Neulich erst war er bei einem Gothic Festival in Hildesheim, samt Übernachtung im Zelt. Der Stendaler Bahnhof allerdings setzt dem 31-Jährigen im Alltag so manche Grenzen.

Züge, die von den Gleisen 4 bis 8 fahren, kann er nicht nehmen. Denn dort gibt‘s keinen Fahrstuhl. Die Gleise 2 und 3 sind mit Hilfe zwar erreichbar. Aber von da aus kann er nur mit Regionalzügen fahren. Denn die Bahnsteige sind so niedrig, dass man beim IC oder ICE nicht mal mittels eines Hublifts die Tür erreicht. Der junge Mann aus Querstedt bekommt die Einschränkungen stark zu spüren, weil er alle paar Wochen durch die Republik reist. „Ich habe Freunde in ganz Deutschland – Köln, Hamburg, Hildesheim“, erzählt er. „Die besuche ich oft.“ 259 der 291 Bahnhöfe in Sachsen-Anhalt sind der Bahn zufolge bereits stufenfrei erreichbar. Die Zahlen klingen erst einmal gut. Doch den Rollstuhlfahrern, die im Umfeld der übrigen Bahnhöfe wohnen, nutzt das wenig.

Das Problem kennen auch Wolmirstedter (Börde). Am dortigen Bahnhof gibt es keinen Aufzug an Gleis 2. An diesem halten aber die Züge aus Magdeburg in Richtung Stendal. Eine Folge: Wer von Magdeburg nach Wolmirstedt will, muss eine Station weiter bis nach Zielitz fahren und in einen Zug zurück nach Wolmirstedt umsteigen. Der fährt auf Gleis 1 ein, von wo aus man ohne Fahrstuhl zum Ausgang kommt. Der Aufzug sollte schon 2014 gebaut werden, aktuell spricht man von frühestens 2019. In Stendal ist die Rede von Barrierefreiheit erst 2021.

Die Bahn ist dazu verpflichtet, Barrierefreiheit zu schaffen, das regelt das Behindertengleichstellungsgesetz. Neben dem Bau von Aufzügen gehört dazu auch die Überwindung von Stufen an Bahnsteighöhen. Hier allerdings gibt es derzeit Ärger. Ein neues Bahn-Konzept sieht vor, dass alle Bahnsteige in Deutschland auf 76 Zentimeter angehoben werden. So könnte man ohne Hublift in die hohen Fernverkehrszüge einsteigen. Allerdings laufen die Länder dagegen Sturm.

Sie hatten sich erst vor einigen Jahren mit der Bahn vor allem im Nahverkehr auf 55 Zentimeter Höhe geeinigt. Daraufhin wurden viele Bahnsteige nach dieser Norm erneuert. Zudem hat man die im Nahverkehr gängigen Doppelstockzüge entsprechend konzipiert, sodass Rollstuhlfahrer bei diesen Zügen künftig eine Stufe nach unten überwinden müssten. Sachsen-Anhalt müsste 495 seiner 578 Bahnsteige umbauen, laut Schätzung des Verkehrsministeriums würde das etwa 500 Millionen Euro kosten.

Abgesehen davon macht Carsten Schulze vom Fahrgastverband Pro Bahn Mitteldeutschland darauf aufmerksam, dass Rollstuhlfahrer auch bei 76-Zentimeter-Bahnsteigen nicht ohne Hilfe ein- und aussteigen können: „Alle ICs und ICEs haben Treppen an den Türen.“ Für Christian Hauer kommt seit kurzem ein weiteres Problem hinzu: Die Bahn hat die Zeiten des Mobilitätsservices in Stendal – darauf ist er auf jedem Gleis angewiesen – eingeschränkt. Statt von 6 bis 22 Uhr wird ihm nur noch von 6 bis 20 Uhr in den und aus dem Zug geholfen. „Tagestouren zum Beispiel zu meiner besten Freundin nach Hildesheim lohnen sich so nicht.“ Zudem sucht der Kaufmann für Bürokommunikation seit Monaten einen Job und würde auch nach Berlin pendeln. „Das funktioniert nicht, wenn ich immer vor 20 Uhr zurück sein muss.“

Er findet, man könnte einen Helfer auf Abruf organisieren. In Wolfsburg oder Hannover sei sogar 24 Stunden jemand vor Ort. Die Bahn begründet die Kürzung mit einer geringen Nachfrage. Jürgen Hildebrand vom Allgemeinen Behindertenverband Sachsen-Anhalt hat dafür kein Verständnis. Er sagt, der Service sollte rund um die Uhr zur Verfügung stehen. „Wenn abends Züge ausfallen, kommen die Menschen sonst nicht mehr heraus.“

An einem Punkt lobt er Bahn und Nahverkehrsgesellschaft allerdings: Bei der Erarbeitung von Prioritätenlisten für Fahrstühle und Co. würden die Behindertenvertretungen mit einbezogen.

Infos zum Bahnfahren mit Rollstuhl gibt‘s unter: www.bahn.de/barrierefrei