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Beirut Zeugen einer Katastrophe

Die Familie des ehemaligen Friedensfahrt-Teilnehmers Tarek Aboul Zahab hat die Explosionen in Beirut aus nächster Nähe erlebt.

Von Alexander Walter 07.08.2020, 01:08

Magdeburg l Maya Aboul Zahab ist gerade mit Freunden unweit des Beiruter Hafens unterwegs, als am frühen Dienstagabend die Hölle über die Hauptstadt des Libanon hereinbricht. „Ich war in einem Schuhladen, erst gab es eine kleinere Explosion, eine Minute später dann die zweite mit dieser gewaltigen Druckwelle“, erzählt die 32-Jährige.

Die Scheiben des Geschäfts bersten. „Wir wussten nicht, was geschah“, erzählt die Grundschullehrerin. Glas splittert, Menschen werfen sich zu Boden, überall Schreie.

Die Bilder gehen um die Welt. „Ich hatte Angst, das Gebäude bricht zusammen, es war das totale Chaos“, sagt Zahab. In diesen ersten Minuten hält die junge Frau alles für möglich – einen Terroranschlag oder auch Krieg, berichtet sie. Zahab ist die Tochter eines Mannes, den bis heute eine enge Freundschaft mit Sachsen-Anhalt verbindet. Wir erreichen Maya gestern am Telefon. Sie spricht gut Englisch, ihr Vater nur Französisch.

Tarek Aboul Zahab indes ist in Sachsen-Anhalt kein Unbekannter. Als erfolgreicher Rennradfahrer nahm er in den 60er Jahren an der Internationalen Friedensfahrt in der DDR teil.

Einer seiner größten Fans damals: Horst Schäfer. In Kleinmühlingen im Salzlandkreis führt Schäfer heute ein Museum, das sich der Friedensfahrt verschrieben hat. 2012 lernten sich der Radsportler und sein Fan persönlich kennen. Seither sind sie eng befreundet. Tarek Zahab war danach regelmäßig zu Gast in Sachsen-Anhalt. Zum 80. Geburtstag besuchte Schäfer den Freund in Beirut, feierte mit dessen Familie den runden Jahrestag.

Umso erleichterter ist Schäfer, als er am Mittwoch erfährt: Seinen Bekannten in Beirut ist nichts passiert. „Ich habe gleich mit der Familie telefoniert“, erzählt Schäfer. Die Sorge ist berechtigt. 2750 Kilogramm hochexplosiven Ammoniumnitrats waren am Dienstagabend im Hafenviertel der Zwei-Millionen-Einwohner-Metropole explodiert.

Die Gewalt der Detonationen forderte dabei mindestens 135 Tote. 5000 Menschen wurden verletzt. – Die Ursache ist auch drei Tage nach dem Vorfall immer noch ungeklärt. Wie Maya haben auch ihre Eltern Glück im Unglück. Ihre Wohnung liegt vier Kilometer vom Explosionsort entfernt: „Auch mein Vater wollte gerade einkaufen gehen, als er die erste Explosion hörte“, erzählt die Libanesin gestern. „Danach blieb er zu Hause.“ Anders als viele Nachbarn hatten die Zahabs zudem zufällig die Fenster geöffnet. Die Druckwelle, die viele Scheiben im Viertel zerstörte, fegte bei ihnen durch die Räume, ohne größere Schäden anzurichten.

„Ich bin sehr froh, dass es meiner Familie gut geht“, sagt Maya. Aber: Nicht allen in ihrer Stadt geht es so. Die Mutter einer Lehrerkollegin starb durch die Explosion, erzählt Maya. Ein Nachbar wurde durch Glassplitter verletzt. Doch es sind nicht nur die vielen Opfer: „Die ganze Stadt ist zerstört, es ist so ein trauriges Bild.“

Hoffnung gibt der Libanesin die Solidarität der Menschen: „Viele haben Leuten, die obdachlos wurden, ein Dach über dem Kopf angeboten.“ Hunderte halfen auch gestern, Schäden zu beseitigen, die Straßen sähen schon wieder besser aus. „Der Schock sitzt tief“, sagt Maya. Aber es kämen auch wieder bessere Zeiten. Nächstes Jahr zum Beispiel will die junge Frau das Friedensfahrt-Museum in Kleinmühlingen besuchen kommen.