1. Startseite
  2. >
  3. Sachsen-Anhalt
  4. >
  5. Klosterleben statt Luxus

Berufung Nonne Klosterleben statt Luxus

Nonne Mechthild lebt im Kloster Helfta und trägt die schlichte Ordenstracht der Zisterzienserinnen. Früher stand sie auf Luxus.

Von Bernd Kaufholz 21.12.2017, 00:01

Eisleben l „Ich habe wohl eine 180-Grad-Drehung gemacht“, schmunzelt Schwester Mechthild im Besucherzimmer, gleich hinter dem Kirchenschiff des Klosters Helfta. Dass das stimmt, weiß jeder, der ihre Geschichte hört. Niemand weiß besser als die gebürtige Darmstädterin, dass ihre Lebenslinie keine gerade ist, dass ihr Lebensweg zwar kein Alleinstellungs- merkmal darstellt, aber doch zu den ungewöhnlicheren gehört.

Die 49-Jährige, die immer mal wieder nach links oben schaut, wo das hölzerne Kruzifix an der Wand hängt, gestikuliert, wenn sie erzählt. Und der Zuhörer hat den Eindruck, dass die Nonne manchmal selbst nicht glauben kann, wie es sie als einstige Managerin ins Kloster der Lutherstadt Eisleben (Mansfeld-Südharz) verschlagen hat.

Ihr sei es keinesfalls in die Wiege gelegt worden, dass sie einmal einen großen BMW gegen einen Rasenmäher tauschen würde. Zwar sei ihre Familie christlich geprägt – allerdings ökumenisch: der Vater evangelisch, die Mutter streng katholisch.

Und die Mutter habe „das Sagen gehabt. Sie hat die Regeln aufgestellt. Zum Beispiel, dass an Sonn- und Feiertagen bei Tisch keine Diskussionen geführt werden.“ Dass die Mutter in Glaubensfragen gegenüber dem „Lutheraner“ die Nase vorn hatte, hätte sie schnell spitzgekriegt. Und wie Kinder so seien, habe sie den „Glaubenskrieg“ der Eltern auch ausgenutzt. „Vater hat Freitag Wurst gegessen“, vermeldete Klein-Iris der Frau Mama. Da war die Familie schon in die schwäbische Heimat des Vaters („er hatte Heimweh“) nach Leip- heim bei Ulm zurückgekehrt. Die Reaktion der Katholikin auf das Petzen ihrer Tochter ist allerdings nicht verbrieft.

„Die engste Bindungen gibt es wohl bei Ehen zwischen Partnern unterschiedlicher Glaubensrichtung“, ist sie sich heute sicher und erinnert sich an die „tiefen Gespräche“ ihrer Eltern über Gott und die Welt.

Iris Buttalla wurde Zahnarzthelferin und kümmerte sich um die Buchhaltung der Praxis. Nebenbei machte sie das Abi auf dem zweiten Bildungsweg. „Ich wollte eigentlich Ärztin werden. Aber damals gab es gerade eine Medizinerschwemme, und ich hätte auch kein Bafög bekommen. Mir wurde abgeraten.“

Aber der Sekretärinnen-Job beim Dentisten füllte sie nicht aus. „Diese Unruhe, immer auf der Suche, etwas Neues auszuprobieren, sollte mich noch viele Jahre begleiten“, sagt sie und streicht erneut mit dem Finger über den Rand ihres Wasserglases. Dann die Frage, die sie jedem dritten Satz anfügt: „Verstehen Sie?“

Eine Privatbank und das Bekleidungshaus Peek & Cloppenburg waren ihre nächsten Betätigungsfelder. „Dann wurde in Süddeutschland die erste Rehaklinik aufgebaut. Ich ging als Chefarzt-Sekretärin dorthin. Ein Beginn von null mit altem Biertisch und neuem Computer“, erinnert sie sich. Dann folgt sofort die Selbstanalyse: „Immer, wenn ich Oberwasser hatte, hat mich der Job gelangweilt.“ Sie sei „nie satt gewesen“. Ihre Idealvorstellung war, „Firmen, die in Schwierigkeiten geraten sind, wieder in die Spur zu bringen“.

Die Arbeit in der Orthopädie habe sie nach einiger Zeit „sehr traurig“ gemacht. „Ich bekam die ganzen Krankheitsgeschichten auf den Tisch. Ich hatte morgens schon Magenweh, wenn ich zur Arbeit fuhr.“

Dann kamen das schwäbische Günzburg und BMW. „Ich hatte sechs Mitarbeiterinnen unter mir, war für die Administration und die Neuwagen zuständig. „Ich habe sehr gutes Geld verdient und alle halbe Jahr ein neues Auto bekommen.“ Besonders von ihrem Cabrio mit den rotschwarzen Ledersitzen kann sie kaum genug bekommen. Verdecklos den Wind durch die Haare wehen lassen – ein unbeschreibliches Gefühl. Heute kaum noch vorstellbar, wenn man die „R“-rollende Frau mit der schwarzen Nonnen-Haube sieht.

Als ob sie von einer anderen Person spricht, deren Leben sie von außen betrachtet, schüttelt Schwester Mechthild den Kopf: „Freitags kam immer ein Mitarbeiter, der fragte, wann er mein Auto waschen und auftanken kann. Da habe ich doch wirklich überlegt, wann ich das terminlich noch zwischenschieben kann.“

Um noch mehr leisten zu können, nimmt sie zwei-, dreimal die Woche Unterricht in Business-Englisch. „Als Frau muss man ja auf demselben Stuhl immer mehr leisten als ein Mann.“ Als Ausgleich geht sie im März und September auf längere Urlaubsreisen. Alles habe sich bei ihr um Job und Geld gedreht. Auch, als sie nach BMW in die Deutschlandzentrale von McDonalds wechselt.

Dann der Ausflug mit ihren Eltern zum Benediktinerkloster Ottobeuren im Oberschwäbischen. An diesen für ihr Leben so entscheidenden Tag kann sich Schwester Mechthild noch bis ins letzte Detail erinnern: „Schon auf der Hinfahrt hatte ich Angst. Ich wollte gar nicht aussteigen. Draußen war es knallheiß, und ich habe gefroren.“

Ihre Mutter habe sich in den Schatten eines Baumes gesetzt, sie sich auf eine Steinbank in die pralle Sonne. Dort sei sie eingeschlafen. „Nachdem mich meine Mutter geweckt hat, sind wir in die Kirche gegangen. Dort habe ich ein Herz-Gefühl bekommen, das mich nicht mehr losgelassen hat.“ Und als wolle sie sich erklären, sagt sie: „Mir ging es damals gut, ich hatte keinen Liebeskummer und war vom Leben nicht gefrustet – es war wie eine Einladung.“

Iris Buttalla liest in der Abtei ein Angebot für Heilfasten und entschließt sich spontan, daran teilzunehmen. Zum ersten Mal erlebt sie ein Chorgebet und ist tief berührt. Sie spürt plötzlich, dass ihr bisheriges Leben nur auf Materielles ausgerichtet war. Und sie weiß in diesem Moment, dass sie an einer Weggabelung steht. Intensive Gespräche mit dem Gast-Pater der Abtei lassen in ihr den Willen nach Veränderung wachsen.

„Dann sah ich bei Bayern 3 einen Bericht über das Kloster Helfta. Mutter Asumpta las eine Geschichte, die alten Mauern, die schönen Fenster. In diesem Moment sah ich mich dort als Nonne.“ Ein paar Wochen „ora et labora“ – bete und arbeite – auf Einladung der Äbtissin haben sie in ihrem Entschluss bestärkt. „Mir hat die Stadt gefallen, ich mochte Land und Menschen sofort. Ich wäre auch in Sachsen-Anhalt geblieben, wenn es mit dem Kloster nicht geklappt hätte – in Halle.“ Sie habe „Wurzeln geschlagen“.

Iris Buttalla wird Novizin und durchläuft eine zweimal zweijährige Lebensphase, in der sie sich jeden Tag hinterfragen kann, ob das Nonnenleben wirklich der richtige Weg für sie ist: „Armut, Gehorsam, Keuschheit“. Ihre Mutter ist entsetzt und fragt, ob sie etwas falsch gemacht hat. Doch inzwischen akzeptiert sie den Entschluss der Tochter.

Der Wahlspruch ihres Ordens: „Stabilitas loci“ – bis zum Tode an einem Ort, bedeutet, dass Zisterzienserinnen immer im selben Kloster leben. „Wir laufen nicht davon“, sagt Schwester Mechthild. „Warum auch? Die Probleme, die man an einem Ort hat, nimmt man ja mit. Weil sie in einem selbst stecken.“ Es sei allemal besser, an den Problemen zu arbeiten.

Und die Sache mit der Keuschheit? Auch da zögert die 49-Jährige keinen Augenblick mit einer Antwort und verrät in ihrer offenen Art: Sie habe mal versucht, mit einem Mann zusammenzuleben. „Aber ich bin zu dem Schluss gekommen, dass Ehe nichts für mich ist. Ich liebe zwar Kinder, aber eigene wollte ich auch nicht. Darum war das Thema Partnerschaft für mich bereits vor dem Eintritt in den Orden abgeschlossen.“

Dann lässt sie einen weiteren Blick in ihr Innerstes zu: „Ich habe nur für den Job gelebt und bin abends todmüde ins Bett gefallen.“ Zum Schluss habe sie auf ihren Urlaubsreisen nicht mal mehr Adressen ausgetauscht: „Ich wusste ja, dass ich meinen Bekanntschaften doch nicht schreiben würde.“ In ihrer Wohnung hätten nur Kakteen gestanden. „Damit ich niemanden bitten muss, sich in meiner Abwesenheit um die Pflanzen zu kümmern.“

Es sei eine „unglaubliche Freude“ für sie gewesen, „sich Gott zu schenken und mich in Liebe zu Jesus mit ihm zu vermählen“. Aus der weltlichen Iris Buttalla wurde die Nonne Mechthild. „Den Namen kann man selbst wählen. Aber das letzte Wort hat die Äbtissin.“ Sie selbst habe sich mit Blick auf den Benediktiner-Orden den Namen „Benedikta“ gut vorstellen können. „Doch den hat es im Kloster schon gegeben. Dann habe sie von „Mechthild“, der Schwester der ersten Äbtissin in Helfta, erfahren, und der Name sei ihr nicht mehr aus dem Kopf gegangen.

Zuerst wird ihr die Verwaltung des Konvents übertragen, die sie aufbaut. Dann arbeitet sie im Klosterladen, kümmert sich ums Gästehaus und bereitet hin und wieder das Mittagessen zu. Mit dem bunten Aufgabenspektrum habe ihr Priorin Christiane „Freiheit geschenkt“.

Wenn Schwester Mechthild in der Mittagspause mit Klosterhund „Merry“ das Sankt Marien verlassen darf, um Gassi zu gehen, kommt sie oft ins Gespräch mit anderen Menschen. „Ich werde angesprochen. Menschen schildern mir ihre Probleme.“ Krankheit, Ehe, Job – die Palette sei breit. „Ich höre zu. Versuche Mut zu machen, zu raten. Die Menschen liegen mir am Herzen“, sagt sie. „Ich bete für Sie“, so verabschiede sie sich. Und das ist keine Floskel für die Nonne. Was sie niemals mache, sei, „zu missionieren“. Es sei auch nicht nötig, dass die Menschen sofort in die Kirche rennen und dort beteten. „Das innere Gespräch mit Gott“ braucht keine Kirche.

An eine Sache erinnert sich Schwester Mechthild, die drei Jahre auch als Seelsorgerin gearbeitet hat, mit Grausen. Eine Frau, mit der sie sich öfter beim Gassi-Gehen unterhalten habe, hatte ihren Mann verloren. „Sie fragte mich, ob ich zur Beisetzung kommen würde. Für mich war diese weltliche Beerdigung schrecklich. Irgendwie hatte ich das Gefühl: Der Tote ist weg und damit die Erinnerung an ihn. Kein aufbauendes Lied, nur die Schlager, die der Verstorbene gern gehört hatte. Ich bin froh, dass ich Christin bin.“

Anders dagegen der „Schwangerschafts-Fall“. 2008 erfuhr Schwester Mechthild, dass sich eine Frau seit Jahren ein Kind wünscht, aber keines bekam. „Ich habe für sie gebetet. Besonders zu Maria, die ja auch Mutter war und zu der ich ein tiefes Gefühl habe. Ich habe Kerzen angezündet.“ Eine Bekannte dieser Frau habe ihr dann 2010 erzählt, dass die junge Frau ein halbes Jahr nach unserem Gespräch schwanger geworden sei. „Es gibt immer wieder Zeichen Gottes. Man muss sie nur erkennen.“

Es ist Zeit für das Mittagsgebet. Die Nonne faltet ihre Hände und geht zur Abteikirche. Dort warten schon ihre elf Mitschwestern auf Mechthild.