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Betonkrebs Die ewigen Baustellen

Ein Drittel aller Beton-Autobahnen Sachsen-Anhalts ist kaputt: Betonkrebs. Die Sanierung ist teuer und aufwändig.

Von Jens Schmidt 01.09.2017, 01:01

Halle l Er frisst und frisst und frisst. Beton. Nur Beton. Morgens, mittags, nachts. 24 Stunden lang. Sein Name ist so lang wie das Ungetüm groß ist: Gleitschalungsfertiger. Zwölfeinhalb Meter breit ist der Koloss und insgesamt gut 30 Meter lang. Vereinfacht gesagt passiert folgendes: Vorn Beton rein, hinten kommt eine Autobahn raus.

Vereinfacht gesagt.

Dass es komplizierter ist, kann erahnen, wer mal eine Schubkarre voll Beton gestampft und mit der Kelle glattgezogen hat. Da geht schon mal eine halbe Stunde drauf. Der Koloss braucht keine zwei Minuten für einen Meter Autobahn: Das sind 40 Schubkarren Beton.

Etwa alle 30 Sekunden fährt ein Laster piepend rückwärts auf den Koloss zu. Kipper hoch. Raschsch. Laut rauscht ein Haufen Beton zu Boden. Der Koloss mampft alles in sich rein. Er rüttelt und drückt und formt. Auf der Rückseite kommt die Fahrbahn raus. Eine festgestampfte, nahezu glatte Betonfläche. So fest, dass Arbeiter darauf gehen können. Bei aller Technik: Ganz ohne Mensch geht es nicht. Bis zu 15 Männer gehören zu einer Schicht.

Robuste Typen sind gefragt. Mit Nerven. Denn der Koloss verdaut laut. Höllisch laut. Dieselmotoren brüllen. Beton zischt und rasselt durch die Förderschnecken. Die Sonne brennt. Die Männer legen Stahlanker in den Beton. Verteilen Dübel. Damit später sich nichts verschiebt und nichts an der falschen Stelle reißt. Sie ziehen Kanten glatt. Steuern den Koloss. Helfen nach, wenn sich der Beton nicht so recht verteilen will im Maul. Einer drückt alle fünf Meter mit einem Eisen Zahlen in den Beton – jeder Abschnitt ist nummeriert. Der letzte Mann, am Ende der Maschine, sprüht eine Chemikalie auf die Piste, damit der Beton nicht zu schnell härtet.

Jede Stunde kommt Heinzpeter Lüdike und füllt einen Eimer mit frisch angeliefertem Beton. Der Ingenieur von der Hochschule Anhalt misst den „Luftporengehalt“. Ist für Straßenbeton wichtig. Luft schützt die Piste gegen Frost und Tausalz. Stimmt der Gehalt nicht, gibt der Prüfer Alarm: Dann muss das Werk die Mischung ändern.

Der Koloss schleicht auf seinen Kettenpfoten voran. Die Männer laufen immer mit. Braun gebrannt. Groß. Breite Schultern. Männer, denen man ungern widerspricht. Anker rein. Dübel verteilen. Glatt ziehen. Anker rein. Dübel verteilen. Alles eingespielt. Unterhaltung zwecklos. Die Männer haben Ohrschützer auf. „In fü ... Ta ...en ... ertig.“ Peter Stempel von der Landesstraßenbau-Behörde schreit mir irgendwas zu. Wir gehen ein paar Meter weg. „In fünf Tagen sind knapp vier Kilometer fertig.“

Die A 14 bekommt zwischen Halle-Nord und Löbejün wieder eine gesunde Beton-Fahrbahn. Die alte war vom Betonkrebs zerfressen. Wie an so vielen Stellen auf der A 14 und der A 9.

Betoniert ist schnell. Und doch dauert es an fast jeder Baustelle fast sieben Monate, bis alles fertig ist. Staus. Termingestresste Fahrer. Genervte Urlauber. Quengelnde Kinder. Genervte Eltern. Unfälle. Peter Stempel kriegt manchmal Briefe von Autofahrern: Kilometerlang an Baustelle vorbeigeschlichen – niemanden gesehen. Was macht Ihr da?

Fachleute sprechen von einer „hochtechnisierten Linien-Baustelle“. „Da sind nun mal keine 100 Leute mit Eimern im Einsatz“, sagt Stempel. Am schwersten zu erklären sind Brücken-Baustellen. Da haben die Arbeiter manchmal tagelang im Inneren der Konstruktion zu tun. Fahrbahn gesperrt, oben ist niemand.

„Betoniert ist schnell“, sagt auch Uwe Langkammer, Stempels Chef. Pro Tag etwa ein Kilometer: In ein bis zwei Wochen liegen in den Abschnitten die Betondecken. Daher setzt man auch nur eine und nicht etwa gleich zwei solcher Riesenmaschinen ein, erklärt Langkammer. Zudem: Schon ein Koloss frisst so viel Beton, dass die Firmen nah an der Baustelle ein eigenes Mischwerk hinstellen. Die Betriebe in der Region könnten die Mengen nie und nimmer liefern. Außerdem wären die Anfahrtswege zu lang.

Doch das Vorspiel dauert halt lang – und ein Nachspiel hat das Ganze auch noch. Allein sechs Wochen gehen drauf, um die neuen Fahrspuren eizurichten, damit der Verkehr an der Baustelle sicher vorbeirollen kann: Schutzwände, Schilder, Überfahrten, Markierungen, alte Leitplanken abbauen.

Dann rücken für 12 Wochen die Bautrupps an. Dem alten Beton geht es mit Hydraulik-Hämmern zu Leibe – oder mit Fräsen. Betonschollen und Gebrösel wandern oft in Wirtschaftswege. Entwässerungskanäle müssen meist auch erneuert werden. Die Rohre liegen nur flach in der Erde, und wenn Zehntausende Laster drübergerollt sind, sind viele Leitungen nach 15 Jahren hinüber. Ist das erledigt, geht es an den Unterbau, der durch den Abriss etwas gelitten hat. Variante 1: Kalk-Zement-Mix in den Damm, dann wird Schotter gewalzt. Variante zwei: Schotter aufhübschen – danach eine Schicht Asphalt walzen. Darauf kommt der Beton. Ist der gegossen, dürften 28 Tage lang eh noch keine Lasterkolonnen drüberfahren. Erst nach vier Wochen ist er fest genug.

Zwischenzeitlich dürfen aber schon mal weitere Bautrupps ran. Erst kommen die Männer mit der Betonsäge: Fugen schneiden. Zwei Fugen längs und alle fünf Meter eine quer. Auf einem Fünf-Kilometer-Stück kommen fast 23 Kilometer Fugen zusammen. Die Betondecke wird dabei nur leicht angeschnitten: Dann muss der Beton an den „Sollbruch-Stellen“ selbst weiter reißen. Das braucht Zeit. Erst zwei Wochen später werden die Fugen mit speziellen Profilen verdichtet. Dafür muss alles sauber sein. Also darf in dieser Zeit auch niemand an der Piste werkeln. Erst wenn das erledigt ist, werden die Bankette (also die Seiten neben der Fahrbahn) hergerichtet. Dann rücken die Leitplanken-Montierer an. „Viel Handarbeit“, sagt Langkammer. Sind die fertig, kommen die Fahrbahn-Markierer. Alles in allem: sechs Wochen für beide Trupps. Zuletzt gehen weitere drei Wochen für den Abbau drauf: Umleitung weg, Mittelstreifen verschließen.

Gearbeitet wird montags bis sonnabends. Von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang. Nur der Betoniertrupp arbeitet auch nachts. „Beim Asphalt haben wir das auch schon probiert – gibt aber Qualitätsprobleme“, sagt Langkammer. Dunklen Asphalt walzt man besser im Hellen. Seine Behörde gibt den Firmen auch die Arbeitszeiten vor. Und sonntags? Geht. Bleibt aber die Ausnahme. Wegen der Kosten. Und der Leute. Mehr Tage bedeuten mehr Schichten, mehr Arbeiter. „Die müssen Sie erstmal kriegen.“

Die Unternehmen stoßen an Kapazitätsgrenzen. Der Staat hat jetzt so viel Geld wie lange nicht, und er baut so viel wie seit langem nicht. Darauf war niemand so recht eingestellt. Woher auch? Es wurde ja immer nur gespart. Nun fehlt es mal an Maschinen. Oder an Menschen. Firmen werben sich mitunter schon gegenseitig komplette Betonierer-Teams ab. „Wer so eine Truppe verliert, steht blöd da“, erzählt Langkammer. Denn an die Betonier-Maschine kann man nicht jeden stellen.

Wie viele Sommer werden die Autofahrer noch gequält? 2018 gibt es erneut drei Betonkrebs-Baustellen zwischen Bernburg und Halle. Ende nächsten Jahres will Sachsen-Anhalt damit fertig sein.

Aber nur auf der A 14. Auf der A 9 geht es noch zwei, drei Jahre weiter.