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Bundestagswahl Kauder: "Türkei nicht besuchen“

CDU-Fraktionschef Volker Kauder spricht im Interview über den Wahlkampf, den Umgang mit der Türkei und Altkanzler Schröder.

Von Alexander Walter 24.08.2017, 01:01

Volksstimme: Für die CDU sieht es wenige Wochen vor der Bundestagswahl nicht schlecht aus, die Partei rangiert bei 40 Prozent. Grund, sich beruhigt zurückzulehnen?
Volker Kauder: Auf keinen Fall. Wir haben noch mehr als vier Wochen vor uns, der Wahlkampf tritt gerade erst in die entscheidende Phase. Niemand sollte übermütig werden oder sich zurücklehnen.

Wo sehen Sie noch Gefahren?
Die Wahl wird am 24. September entschieden. Bis dahin müssen wir alles tun, um die Bürgerinnen und Bürger für die Union zu gewinnen. Wenn wir diese Aufgabe ernst nehmen, werden wir keine Probleme bekommen. Sonst schon. Wir müssen einen intensiven Haustürwahlkampf führen. Damit hatten wir auch bei den jüngsten Landtagswahlen Erfolg.

Kanzlerin Angela Merkel wird von der politischen Konkurrenz immer wieder vorgeworfen, sie verwalte nur den Status quo. Was sind die großen Ziele für eine nächste Wahlperiode?
Wir haben ein klar formuliertes Wahlprogramm. Wir wollen die gute Lage Deutschlands erhalten. Dazu muss unser Land sicher sein. Das bedeutet: Konsequenter Kampf gegen Terror und Kriminalität. Unsere Wirtschaft muss stark bleiben, dann geht es auch den Menschen gut. Dann werden beispielsweise die Renten stabil bleiben. Die Wirtschaft steht jedoch vor großen Herausforderungen. Der Wandel durch die Digitalisierung ist für den Mittelstand eine Riesenaufgabe und nicht billig. Die Firmen müssen investieren. Daher wollen wir, dass sie Forschungsaufwendungen zusätzlich von der Steuer absetzen können. Außerdem muss die Bürokratie abgebaut werden.

Was ist mit Entlastungen?
Wir wollen Bürger mit kleinen und mittleren Einkommen um 15 Milliarden Euro steuerlich entlasten, aber auch den Solidaritätszuschlag schrittweise abbauen. Wir müssen aber auch die Bildung stärken. Wir helfen finanzschwachen Kommunen bei der Sanierung von maroden Schulen. Wir wollen die Schulen aber auch mit dem modernsten Lehrmaterial versorgen. Wir wollen eine „Bildungscloud“ für alle Schulen schaffen, aus der die Lehrer zum Beispiel Arbeitsblätter oder Videos runterladen können.

Für ganz Deutschland – das klingt nach Zentralisierung der Bildungspolitik, die ja Ländersache ist ...
Ich weiß, dass sich das viele Menschen wünschen. Der Bund kann aber nicht alle Schulen verwalten. Das ist unmöglich! Der Bund kann aber helfen, dass die Schulen besser werden. Aber die Länder bleiben vor allem am Zug.

Der hohe Sanierungsbedarf in den Schulen zeigt ja aber, dass vorhandenes Geld oft nicht an der richtigen Stelle ankommt. Gibt es Ideen, regulierend einzugreifen?
Der Bund ist nicht die Gouvernante der Länder.

 

Bundesbildungsministerin Johanna Wanka (CDU) hat den Schulen einen fünf Milliarden Euro schweren Digitalisierungspakt für neue Computer und Tablets in Aussicht gestellt. Was ist daraus geworden?
Die Verhandlungen zwischen Bund und Ländern laufen. Es geht vor allem um den Anschluss der Schulen an das schnelle Internet inklusive der notwendigen Server in den Schulen selbst.

Der Pakt kommt also?
Wir wollen ihn unbedingt, weil nur dann die Schüler richtig für die Zukunft vorbereitet werden können.

Die CDU setzt im Wahlkampf auf das Thema Innere Sicherheit, will mehr Videoüberwachung und zusätzliche Polizisten einstellen. Reicht das?
Absolute Sicherheit gibt es nicht. Das zeigt der Terrorakt in Spanien – in einem Land, das viel im Kampf gegen den Terror tut. Wir müssen jetzt dafür sorgen, dass hochgradige Gefährder noch eher in Abschiebehaft genommen werden können – auch über mehrere Monate. Vielleicht müssen wir die Gesetze nochmals verschärfen. Außerdem brauchen wir beim Datenaustausch eine bessere Zusammenarbeit in Europa. Die EU-Kommission muss hier noch mehr Druck machen.

Ein Problem auch in Sachsen-Anhalt ist, dass man ausreisepflichtige Menschen etwa wegen fehlender Papiere nicht abschieben kann. Was kann der Bund hier tun?
Wir müssen die freiwillige Rückkehr von Flüchtlingen in ihr Heimatland weiter unterstützen. Dass bei vielen die Herkunft nicht festgestellt werden kann, ist in der Tat ein Riesenproblem. Ein Land wie Tunesien nimmt natürlich nur Tunesier auf, keine Marokkaner. Wir müssen erreichen, dass die Herkunftsländer mit unseren Behörden besser kooperieren, um Identitäten zu klären. Verhandlungen dazu laufen.

Welche Stellschrauben gibt es noch, an denen man drehen könnte?
Hilfreich wäre, die Zahl der sicheren Herkunftsländer zu erweitern – etwa um Staaten in Nordafrika. Das könnte helfen, Asylverfahren zu beschleunigen, was wiederum auch die Grundlage böte, schneller abzuschieben. Aber das haben die rot-grün regierten Länder im Bundesrat nicht mitgetragen. Wir hoffen, dass wir nach der Bundestagswahl auch die Landtagswahl in Niedersachsen gewinnen können. Dann hätten wir andere Mehrheitsverhältnisse im Bundesrat.

Blicken wir in die Türkei. Präsident Erdogan hat CDU, SPD und Grüne als „Feinde der Türkei“ bezeichnet und Deutschtürken aufgerufen, diese nicht zu wählen. Wie bewerten Sie das Vorgehen?
Es ist eine Unverschämtheit, sich so in den deutschen Wahlkampf einzumischen. Ich fordere die Deutschen türkischer Herkunft auf, zur Wahl zu gehen und so ein Zeichen für die Demokratie zu setzen. Ich bin fassungslos, wie Herr Erdogan die Beziehungen zu Deutschland und Europa kaputt macht. Für sein Land ist das keine gute Entwicklung. Die Touristenzahlen gehen bereits zurück.

Welche Konsequenzen fordern Sie?
Weitere Schritte einer Annäherung sind derzeit undenkbar. Auch nicht bei der Erweiterung der Zollunion. Und ich finde wir sollten noch etwas tun. Die EU-Staaten sollten klar sagen: Wir sind generell nicht mehr bereit, weitere Kapitel in den Beitrittsverhandlungen zur Europäischen Union zu öffnen, wenn nicht zunächst über das Kapitel Menschenrechte, Rechtsstaat und Religionsfreiheit gesprochen wird. Nach all dem, was in der Türkei an Einschränkung der Demokratie geschehen ist, muss noch einmal von den EU-Staaten klar gemacht werden, dass die Einhaltung dieser Werte unabdingbar ist. Wenn die Türkei das ablehnt, wäre ganz deutlich, dass sie gar nicht mehr in die EU will.

Heißt, wenn Herr Erdogan diese Grundvoraussetzungen nicht erfüllen würde, wäre das das Ende der Gespräche ...
Ja. Wenn Erdogan sagt, darüber rede ich nicht, hat er eine Entscheidung getroffen.

Würden Sie den Deutschen davon abraten, Urlaub in der Türkei zu machen?
Ich sage öffentlich, ich selbst als Deutscher würde die Türkei im Augenblick nicht besuchen. Ich war mit meiner Frau früher in Istanbul. Es war eine wunderschöne weltoffene Stadt. Aber auch dort hat sich offenbar einiges verändert. Keine Sorgen müssen sich nur die machen, die sich permanent nur positiv über Erdogan äußern. (schmunzelt)

Was ist mit Investitionen der Wirtschaft in der Türkei?
Die Wirtschaft sollte sich sehr gut überlegen, in einem Land zu investieren, wo die Rechtssicherheit nicht mehr gewährleistet ist. Es ist doch offenkundig, dass die Justiz in der Türkei nicht unabhängig ist.

Ein Sprung nach Nordosten: Die Sanktionen gegen Russland sind in Sachsen-Anhalt umstritten. Wie stehen Sie dazu?
Bundespräsident Steinmeier hat zu Recht daran erinnert, dass sich Russland die Krim einverleibt hat. Eine der wichtigsten Lehren aus den beiden Weltkriegen aber war: Nie mehr Grenzverletzungen durch Gewalt. Darauf haben sich alle verständigt. Dann kommt Russland und schert sich überhaupt nicht darum. Ein solches völkerrechtswidriges Verhalten muss auch weiterhin sanktioniert werden, sonst geht das bald im Baltikum weiter.

Viele Firmen im Osten beklagen Ausfälle durch die Sanktionen. Sollten sie Hilfen erhalten?
Die Politik bestimmt den Handlungsrahmen für die Wirtschaft. Die meisten Firmen akzeptieren das.

Wie bewerten Sie das Engagement von Altkanzler Gerhard Schröder (SPD) beim russischen Ölkonzern Rosneft?
Ich habe mich schon gewundert, wie schnell Gerhard Schröder nach seiner verlorenen Kanzlerschaft in Russland eingestiegen ist. Das war für einen deutschen Bundeskanzlers unwürdig. Und was er jetzt macht, setzt dem Ganzen nur die Krone auf.

Warum nicht? Könnte Schröder sich nicht für Entspannung zwischen Russland und dem Westen einsetzen?
Was Gerhard Schröder zur Entspannung beiträgt, erschließt sich mir nicht. Er ist wohl eher für die Anspannung seines persönlichen Budgets aktiv. Dafür aber sollte ein ehemaliger Bundeskanzler nicht mit einer Firma zusammenarbeiten, die auf der Sanktionsliste steht.

CSU-Chef Horst Seehofer besteht nicht mehr ausdrücklich auf der Obergrenze für Flüchtlinge. Wie überraschend kommt das für Sie?
Horst Seehofer hat anerkannt, dass die Zahl der Flüchtlinge erheblich zurückgegangen ist. Dazu hat das mit der Türkei geschlossene Flüchtlings-Abkommen beigetragen. Jetzt geht es darum, ähnliche Vereinbarungen mit Libyen oder auch Ägypten zu treffen. Das Schlepperunwesen muss aufhören. Außerdem müssen wir die Lebensbedingungen in den Herkunftsländern verbessern.

Sie haben das Flüchtlingsabkommen mit der Türkei angesprochen. Wie erpressbar ist Deutschland hier?
Die Türkei wird nicht alle Wirtschaftsbeziehungen zu Europa abbrechen wollen. Von dem Abkommen profitiert sie ja auch: Einerseits durch Geldzahlungen für den Unterricht von syrischen Kindern in den Flüchtlingslagern. Andererseits kommen dadurch ja weniger Flüchtlinge in die Türkei.

Zurück zur Bundestagswahl: Ist eine Große Koalition noch einmal vorstellbar?
Die SPD hat mehrfach signalisiert, dass sie mit uns keine Koalition mehr machen möchte. Das ist deren Entscheidung.

Bedauern Sie das?
Politik beginnt mit dem Betrachten der Wirklichkeit. Wir wollen, dass Angela Merkel Kanzlerin bleibt. Voraussichtlich müssen wir uns einen Koalitionspartner suchen. Das machen wir nach der Wahl. Was man schon jetzt sagen kann: Es gibt keine Koalition mit der AfD und der Linken.

Was spricht mehr für die FDP, was mehr für die Grünen?
Jedes Wahlergebnis sucht sich seine Koalition, hat Horst Seehofer gesagt. Und das ist eine richtige Aussage. Es kommt am Ende darauf an, dass man so viel wie möglich von seinen Überzeugungen umsetzen kann.

Wäre Jamaika ein spannendes Experiment?
Ich glaube, es ist für die Stabilität einer Regierung immer besser, wenn es nicht zu viele Koalitionspartner sind.

Die AfD hat bei der letzten Landtagswahl in Sachsen-Anhalt 24,3 Prozent erreicht. Wie beobachten Sie das Agieren der Partei? Und wie gefährlich kann sie der CDU werden?
In den Umfragen liegen wir als CDU in etwa auf dem Niveau, das wir auch 2013 erzielen konnten (41,5 Prozent, Anm. d. Red.). Das wollen wir halten. Die Menschen sollen doch bitte einmal genau auf die AfD schauen: In der Partei sind eindeutig rechtsradikale Positionen hoffähig, wie beispielsweise Björn Höcke zeigt. Es ist nicht akzeptabel, dass sich die AfD-Spitze nicht davon distanziert. Darüber hinaus findet innerparteilich ein Kampf der übelsten Sorte statt. Eine solche Partei darf nicht in eine politische Verantwortung kommen.

Wie sehen Sie die Zukunftsperspektiven der Partei?

Ich rede über meine Vorstellungen und über die der Union. Ich finde, dass wir schon viel zu viel über die AfD reden.

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