1. Startseite
  2. >
  3. Sachsen-Anhalt
  4. >
  5. Gemeinschaftsgarten in Halle erhält Preis

Bunte Beete Gemeinschaftsgarten in Halle erhält Preis

Flüchtlinge, Rentner, Arbeitslose und Kinder pflegen in Halle einen Gemeinschaftsgarten. Das Projekt "Bunte Beete" wurde prämiert.

Von Susann Gebbert 28.10.2017, 00:00

Halle l Zwei Scheiben Speck wippen in Sonja Wünschs Hand, wenn sie spricht. Harke, Schaufel und die anderen Gartengeräte will die Rentnerin mit dem Fett einschmieren, damit sie den Winter überstehen. Heute ist wieder offenes Gärtnern im Gemeinschaftsgarten „Bunte Beete“ in Halle, jeder kann kommen und mitmachen. Magdalena Gatz steht neben ihr und verzieht das Gesicht. Sie ist Veganerin. Die 28-jährige Sozialpädagogin arbeitet für den Verein Villa Jühling, ein evangelisches Bildungs- und Projektzentrum, das sich vor allem für Kinder und Familien einsetzt. Gatz ist zusammen mit ihrer Kollegin Grit Herzog (49) für das Gartenprojekt verantwortlich. Zweimal pro Woche laden sie für jeweils drei Stunden zum gemeinsamen Gärtnern. „Wir wollen die Menschen in dem Viertel hier zusammenbringen sagt Magdalena Gatz.

Im September hat die Deutsche Umwelthilfe (DUH) den Hallenser Gemeinschaftsgarten als „Garten der Integration“ ausgezeichnet. „Der Ort ist ein Treffpunkt für alle Anwohner, unabhängig von Alter und Herkunft, geworden“, begründet Silke Wissel von der DUH die Entscheidung. Der Wettbewerb zeichnet deutschlandweit drei urbane Gartenprojekte aus, die geflüchtete Menschen einbeziehen oder von Geflüchteten initiiert wurden. Etwa 280 Gärten, die gemeinschaftlich genutzt werden und einen sozialen oder erzieherischen Hintergrund haben, gibt es in Sachsen-Anhalt, schätzt der Landesverband der Gartenfreunde. Von den 500 Euro Preisgeld wollen Magdalena Gatz und Grit Herzog ein Solarpaneel kaufen. Um zu zeigen, wie man alternativ Strom erzeugen kann.

Die Gärtnergruppe bei den „Bunten Beeten“ besteht bis heute hauptsächlich aus Frauen. Einige jung, ohne Arbeit und mit vielen Kindern, einige alt, Rentnerinnen. Auch Geflüchtete kamen, verständigten sich mit Händen und Füßen.

Salvador Incanhe aus Guinea-Bissau und Mohammed Ali Kazimi aus Afghanistan sind oft mit der Spitzhacke im Garten unterwegs, wollen ihre Muskeln spüren und nicht nur sitzen und warten auf eine ungewisse Zukunft. Mohammed Ali Kazimi ist im Garten auch für seinen Kardamom-Tee bekannt, von dem er hin und wieder eine Kanne auf den Tisch stellt.

Die Wurzeln der Idee eines Gartens für alle reichen bis ins Frühjahr 2015. Eine Zeit, in der viele geflüchtete Menschen erst in Asylbewerberheimen, dann in Wohnungen untergebracht wurden. Auch nach Heide-Nord, einem Bezirk im Westen von Halle, kamen sie. „Hässlich, aber schön ruhig“, beschreiben ihn Bewohner. Auch Salvador Incanhe und Mohammed Ali Kazimi bezogen kleine Wohnungen in dem Hochhausviertel. Sie erfuhren aus dem Asylbewerberheim von dem Gemeinschaftsgarten.

Familie Moradi aus dem Iran kommt mit ihren vier Söhnen oft zu den „Bunten Beeten“. In ihrer Heimat arbeiteten sie als Ziegenbauern, jetzt ernten sie Kartoffeln. Hin und wieder bringen sie Briefe von Ämtern mit, die sie nicht verstehen. Die Gemeinschaft hilft.

Sonja Wünsch trägt eine weiße Strickmütze zum senfgelben Anorak. Sie war schon Jahrzehnte vor der Rente arbeitslos. Unter den Gärtnern ist Sonja Wünsch ein Neuling, erst seit eineinhalb Monaten kommt sie dienstags und mittwochs zum offenen Gärtnern. Blumen sind nicht so ihr Ding. Lieber werkelt sie. Repariert die Gartengeräte oder schmiert sie mit Speck ein. Jeder sucht sich seine Nische hier. „Ich musste Krankenschwester werden, obwohl ich lieber Autoschlosser geworden wäre“, erzählt sie. Heute will sie die Bio-Toilette, eine Art Plumpsklo, reparieren. Die Tür klemmt.

Der Gemeinschaftsgarten teilt sich auf in Beete, die einzelne Personen bewirtschaften, und Beete, die alle gemeinschaftlich pflegen. Doch manchmal verschwimmen die Grenzen zwischen Gemeinschaft und Individualität auch. Die Sozialpädagogin Magdalena Gatz erinnert sich an einen alten Mann, der seinen Schrebergarten verloren hat und deshalb jetzt eines von den „Bunten Beeten“ bewirtschaftet. Hatte er zuerst nur seine Blumen im Blick, bot er später den anderen Gärtnern eine Lehrpfadwanderung an, um sein Wissen über die Natur zu teilen.

Heute sind auch Franziska-Sophie, Lucas und Lea mit ihrer Mutter Anne Bamberg bei den „Bunten Beeten“. „Mir ist es wichtig, dass die Kleinen an der frischen Luft sind“, sagt sie. Die 32-Jährige ist arbeitslos und langweilt sich oft zu Hause. Mit ihren Kindern kommt sie regelmäßig vorbei. Die haben von der Sozialpädagogin die Aufgabe bekommen, die Samen aus den verblühten Blumen zu pulen. Mutter Anne Bamberg versucht sie vergebens, den Blattspinat schmackhaft zu machen. An einigen Tagen kommen auch Kindergarten- und Hortgruppen vorbei. Sie bepflanzen ein eigenes Beet. „Die Kinder haben wenig Wissen über Gemüse“, sagt Magdalena Gatz. Der Gemeinschaftsgarten soll das ändern.

Die verschiedenen Menschen unter einen Hut zu bringen ist nicht immer einfach, sagt Gatz. Auf die Fragen: „Wann das Gemüse ernten?“ oder „Wie mit der Ernte umgehen?“ hat jeder seine eigene Antwort. Wenigstens die großen Probleme der Siedlung Heide-Nord – Arbeitslosigkeit, Flucht, Perspektivlosigkeit – sind für ein paar Stunden nebensächlich. Im Garten geht es darum, ob auf dem Hang Zwiebeln wachsen oder Blumen ein Muster ergeben. Ob die Spitzhacke sauber im Geräteschuppen steht. „Als letztes in diesem Jahr wollen wir Blumen einlagern und die Beete mit Pferdemist bedecken“, sagt Magdalena Gatz.