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Kriminalität Clan-Kriminalität wächst schnell

Sebastian Fiedler, Chef der Kriminalistengewerkschaft BDK, im Interview zu kriminellen Familienbanden und zur Situation in Sachsen-Anhalt.

Von Matthias Fricke 16.10.2019, 01:01

Magdeburg l Sebastian Fiedler ist nicht nur der Vorsitzende des Bundes Deutscher Kriminalbeamter (BDK), sondern er gilt als einer der Experten im Bereich krimineller Clans in Deutschland. Eins Gespräch mit ihm über Clans, ihre Ableger in Sachsen-Anhalt und die Schwierigkeiten bei der Strafverfolgung.

Gibt es Clan-Kriminalität auch in Sachsen-Anhalt?
Sebastian Fiedler: Ja, es gibt mindestens einen Familienableger, der allerdings auch Bezüge zu anderen Bundesländern hat. Dazu gab es wohl, wie man es ja vernehmen konnte, in Magdeburg vor einigen Monaten auch eine Festnahme.

Ist diese Kriminalitätsform nicht ungewöhnlich für so ein Flächenland?
Nein. Denn so ein krimineller Familienclan interessiert sich nicht dafür, wo ein Bundesland aufhört und ein anderes anfängt. Sie denken eher darüber nach, wie und wo sie ihre Vertriebswege und Strukturen gut aufbauen können. Wenn sich irgendwo freie Räume im Land befinden, wird die Gelegenheit auch genutzt. Das können Drogengeschäfte oder andere kriminelle Aktivitäten sein. Da spielt das Bundesland auch keine Rolle.

Was unterscheidet denn Clans zum Beispiel von Rockern oder anderen Strukturen?
Ich habe Clans kürzlich mal als kriminelle mittelständische Familienunternehmen bezeichnet, wenn man das mit der Wirtschaft vergleichen wollte. In Abgrenzung zur Mafia zum Beispiel, die eher global agierende Konzerne sind. Das heißt, Clans befinden sich schon noch auf einer anderen Stufe, machen aber dennoch Millionen­umsätze mit kriminellen Geschäften. Das sollte man nicht unterschätzen und deswegen die Strategien in der Bekämpfung auch darauf auslegen.

Was müsste die Polizei in Sachsen-Anhalt tun, um frühzeitig solche Clankriminalität zu erkennen und zu unterbinden?
Zunächst ist es wichtig, das Problem ernst zu nehmen. In den letzten Jahrzehnten haben wir gelernt, dass da, wo sich solche Strukturen etablieren, das Problem schnell wächst. Im Frühjahr hat sich die Innenministerkonferenz dann endlich intensiver mit konzeptionellen Überlegungen beschäftigt. Dazu gehört zum Beispiel auch, gute Konzepte, die in anderen Bundesländern schon einmal gefruchtet haben, zu übernehmen. Ganz wichtig ist auch der Austausch der Bundesländer untereinander. Die Clans tun das ja auch. Man kann davon ausgehen, dass die Vertriebswege von Rauschgift oder Geldwäsche innerhalb von Deutschland intensiv genutzt werden. Natürlich auch außerhalb, zum Beispiel bis in den Libanon und wieder zurück.

Einige Bundesländer haben inzwischen sogenannte Lagebilder vorgelegt, die speziell Clan-Kriminalität erfassen sollen. Ist dies nicht auch bundesweit sinnvoll?
Auf jeden Fall. Das ist übrigens auch in der Innenministerkonferenz verabredet worden. Dazu muss man natürlich sagen, dass dies nicht so ganz einfach ist. Wir können ja nicht einfach zum Einwohnermeldeamt gehen und zu einem bestimmten Familiennamen recherchieren. Die Schreibweisen sind teilweise unterschiedlich, auch die Nationalitäten der Familienmitglieder unterscheiden sich. Wir haben sogar einen erheblichen Anteil an Deutschen, die dazugehören. Und dann wissen wir immer noch nicht, wer und wie viele von denjenigen kriminell in Erscheinung getreten sind. Die Zahlen aus Nordrhein-Westfalen zum Beispiel sind einigermaßen erschütternd. Wir haben uns die Jahre 2016 bis 2018 näher angesehen und über 100 diesbezüglicher Familien festgestellt, denen etwa 6500 Tatverdächtige mit mehr als 14.000 Straftaten zugeordnet werden konnten. Das sind natürlich nur die Fälle aus dem Hellfeld, also die wir auch tatsächlich zuordnen konnten.

Apropos Hellfeld. Der anfangs angesprochene Fall in Magdeburg ist möglicherweise nur die Spitze des Eisbergs?
Da kann man davon ausgehen, wenn man sich sicher ist, dass es sich um ein solchen Kriminalitätsphänomen handelt. Würde man noch intensiver in Sachsen-Anhalt in die Ermittlungen einsteigen, würde auch noch mehr zutage treten.

Wie viele solcher Familienclans gibt es in Deutschland?
Wir haben eben noch kein bundesweites Lagebild, deshalb wissen wir das nicht. Wir reden hier im Wesentlichen nur von den arabisch-stämmigen Großfamilien. Außerdem besteht die Besorgnis, dass einige der in jüngerer Zeit zu uns gekommenen Einwanderer aus dem Irak und Syrien von diesen Strukturen lernen. Sie sind jetzt schon zum Beispiel in den sogenannten Ameisenhandel, also den illegalen Straßenhandel von Drogen, eingebunden. Es besteht da die Gefahr, dass wir ähnliche Integrationsfehler wie bei den arabisch-stämmigen Clans machen. In diesem Szenario würde das Problem noch umfangreicher werden.

Welche Fehler wurden nach Ihrer Meinung in den letzten Jahren gemacht?
Integration hat nahezu nicht stattgefunden und die Politik hat vor den entstehenden Parallelstrukturen, Subkulturen und den Kriminalitätsproblemen beide Augen zugemacht.

Gibt es solch ein Clan-Phänomen auch mit osteuropäischen Familien, etwa mit Tschetschenen?
Wir nennen das Phänomen eher russisch-eurasische Organisierte Kriminalität. Das Besondere sind die unterschiedlichen Strukturen. Das kann man eher mit der Rockerkriminalität vergleichen. Strukturen der Organisierten Kriminalität funktionieren unterschiedlich. Nehmen wir die Rocker. Hier gibt es klare Hierarchien und innere Aufbauorganisationen. Da gibt es jeweils einen Präsidenten, also den Chef. Dann haben wir einen Sergeant-at-Arms, der sich um die Bewaffnung und Logistik kümmert. Dann gibt es ein strenges Recruting, dass heißt, man sieht sich die Leute, die neu dazu kommen sollen, ganz genau an. Diese Prinzipien sind zum Beispiel bei allen Rockergruppierungen ähnlich, im Gegensatz zu den familiären Strukturen der sogenannten Clans. Das ist manchmal zwar ähnlich, aber viele Familienmitglieder sind eben nicht kriminell. Auf der anderen Seite profitiert die gesamte Familie von den Straftaten. Viele Formen Organisierter Kriminalität kennen eine Art Schweigegelübde. Bei den Rockern zum Beispiel drohen im Fall eines Verrates drastische Konsequenzen. Bei den Clans entsteht durch die familiäre Bindung und unsere im Strafprozessrecht verankerten Zeugnisverweigerungsrechte eine Art familiäre Glocke um die Straftäter, die uns das Ermitteln schwermacht.

Wenn es so schwer ist, hat es dann nicht auch Sinn, solche Fälle bei spezialisierten Staatsanwälten zusammenzuziehen?
Absolut. Sie müssen die Strukturen genau kennen und sich zum Beispiel sehr gut mit verdeckten Ermittlungsmaßnahmen auskennen. Solche Staatsanwälte gibt es in Sachsen-Anhalt meines Wissens aber.

Wenn solche Familienclans bundesweit agieren, wäre es dann nicht auch sinnvoll, eine Spezialabteilung auf Bundesebene zu etablieren?
Das passiert aktuell ja. Holger Münch (Präsident des Bundeskriminalamtes, BKA) hat sich richtigerweise auch dafür eingesetzt . Das wird in der Herbstsitzung der Innenministerkonferenz wieder Thema sein. Das BKA, natürlich im Rahmen seiner Kompetenzen, will sich nun mit einbringen. Zum Beispiel, wenn es darum geht, international inkriminierte Vermögenswerte aufzuspüren. Das ist durchaus relevant. Wir wissen von Geldwäscheaktivitäten, die über den Libanon mit Hawala-Banking und zurück funktionieren, um dann über Strohleute hier Immobilien zu kaufen. Das ist nur ein Beispiel. Da kann das BKA aber helfen.

Das gibt es so noch nicht?
Das läuft gerade an und hat auch damit zu tun, dass die Länder sich inzwischen verbindlich verabreden sollen. Es hat auch wenig Sinn, wenn in einem Bundesland eine Razzia läuft und die anderen wissen davon nichts oder erfahren es aus der Zeitung. Das war in der Vergangenheit leider so.

Was macht die Ermittlungen bei Clan-Kriminalität eigentlich so schwierig?
Ein wesentlicher Punkt sind die schon angesprochenen Zeugnisverweigerungsrechte. Das heißt, Familienmitglieder müssen sich nicht gegenseitig belasten. Das ist ein Problem, weil alle irgendwie miteinander verwandt sind. Im Blickpunkt steht dabei das Verlöbnis, was dafür schnell genutzt wird, weil es an keine Formalien geknüpft und schwer zu widerlegen ist. Das steht bei den juristischen Fachleuten inzwischen in der Kritik und wirft die Frage auf, ob das in Zukunft noch so bleiben soll. Ich persönlich meine, nein. Unsere rechtsstaatlichen Prinzipien gebieten das nicht zwingend.