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Juni-Flut 2013: Das Wasser war schneller als die helfenden Hände

Ein Leben am Fluss kann seine Tücken haben. Das hat Gunnar Thermann 2013
erleben müssen. Das verheerende Juni-Hochwasser hat seine Mietwohnung
überflutet. Ein Großteil seines Hab und Guts gingen dabei verloren. Doch
der Schönebecker bleibt seiner Elbe treu.

Von Kathleen Radunsky-Neumann 14.06.2014, 03:21

Schönebeck l Von der Elbe kommt Gunnar Thermann nicht los. Der gebürtige Salzer lebt seit acht Jahren "unten" an Schönebecks Elbufer. Eine herrliche Lage. Auch seine engsten Freunde wohnen hier. Also ist alles perfekt. Nicht ganz. Das hat der 46-Jährige im vergangenen Jahr am eigenen Leib erleben müssen. Denn das verheerende Juni-Hochwasser hat seine Mietwohnung überflutet. Die Folge: Der Großteil der Möbel war reif für den Sperrmüll und die Wohnung unbewohnbar. Eine Erfahrung, die Gunnar Thermann nicht noch einmal machen möchte.

"Heute ist das Thema für mich abgehakt", sagt der Schönebecker. Auch wenn sich das Juni-Hochwasser von 2013 in diesen Tagen zum ersten Mal jährt, kehrt keine Traurigkeit bei ihm zurück. "Ich habe damit abgeschlossen", betont er vielmehr. Nichtsdestotrotz sind die Erinnerungen noch präsent.

Vergebliche Suche nach Traurigkeit

"Wir haben damals tagelang Sandsäcke gestapelt", berichtet Thermann, der mit Freunden und Anwohnern versucht hatte, das Gebiet um die Müllerstraße und am Elbtor vor den Wassermengen zu schützen. Jedoch war das vergebens, als am Sonnabend, den 8. Juni, der Deichaufbau in der Müllerstraße - den Thermann schlicht als unfachmännisch bezeichnet - weggebrochen war. "Erst dachte ich, wir schaffen es noch, das Wasser aufzuhalten", sagt er. Schließlich waren damals hunderte Frauen und Männer schnell zur Stelle, um das Leck zu decken. Doch das Wasser war schneller als die helfenden Hände. "Da konnte ich nur noch zusehen, wie das Wasser in meine Wohnung fließt", erinnert er sich.

Eine Situation, die man sich nur schwer vor Augen führen kann. "Doch was sollte ich tun", fragt er rhetorisch. In dem Moment war alles zu spät. "Ich habe mich damit recht schnell abgefunden, denn etwas ändern konnte ich ja eh nicht", sagt Thermann. Gelassenheit schwingt mit in seinen Worten. Traurigkeit oder Enttäuschung sucht man bei ihm vergebens. "Es war schon komisch, aber es hätte ja auch nichts gebracht, wenn ich in Panik verfallen oder verzweifelt wäre", sagt er.

Erst zwei Tage später konnte er in seine vier Wände zurückkehren. "Innen stand das Wasser rund 15 Zentimeter hoch", erinnert er sich. Erst als alles abgeflossen war, konnte er die Wohnung wieder betreten. Da wurde dann das Ausmaß schnell sichtbar. Der Holzfußboden hat sich gewellt, die Einbauküche unbrauchbar. "Zwar stand das Wasser nicht so hoch in der Wohnung, aber es zog ja trotzdem überall hoch", sagt Thermann. Einige Habseligkeiten hatte er zum Glück vorher höher gestellt.

Dankbarkeit für die Unterstützung

"Das honoriert die Versicherung", sagt er. Um aber Geld von der Versicherung zu erhalten, "musste ich in meiner Wohnung vorerst alles so belassen, bis ein Gutachter sich das angesehen hatte", erinnert er.

In der Zeit nach dem Hochwasser hat Thermann bei seiner damaligen Freundin gewohnt. Seit September verfügt er über einen neuen Wohnsitz. In die Müllerstraße wollte er nicht zurück. Doch richtig weg von der Elbe ziehen? Das kommt für den Schönebecker nicht in Frage. Heute lebt er eine Straße weiter. Die Parterrewohnung stand 2013 ebenfalls unter Wasser, rund einen halben Meter hoch. Inzwischen ist sie komplett saniert. Der Blick direkt auf die Elbe - den der Schönebecker in der Müllerstraße immer sehr genossen hat - bleibt ihm nun verwehrt. Glücklich ist er hier trotzdem. Zum Fluss sind es nur wenige Meter. "Und alle meine Freunde wohnen ja auch noch hier", sagt er.

Sie sind ihm wichtig. Ihnen ist er dankbar - für ihre Unterstützung im Nachgang. "Viele haben mir beispielsweise angeboten, dass ich meine Sachen bei ihnen lagern kann", berichtet Thermann, der mehrere Monate wohnungslos war.

Hochwasser hat die Solidarität gestärkt

Besonders gerührt hat den Schönebecker dann aber doch die Hilfe von außen. "Eine Schule aus Halberstadt hatte aufgrund des Artikels in der Volksstimme einen Kuchenbasar organisiert und mir die Einnahmen gespendet", sagt Thermann. Solidarität wie sie im Buche steht. Und die notwendig ist. "In solch einer Situation brauchst du einfach von allen Seiten Hilfe", blickt Thermann auf eine Zeit der Ungewissheit zurück. "Ich war damals einfach ausgebrannt", sagt er.

Davon ist dem Schönebecker heute nichts anzumerken. Er bleibt ruhig. Vielmehr sagt er: "Ich habe noch Glück gehabt." Damit bezieht er sich auf die vielen Menschen, die ihr komplettes Hab und Gut im Hochwasser 2013 verloren haben. Zum Beispiel in Breitenhagen. "Vielen ist es schlechter ergangen als mir", sagt er. Sein eigenes Schicksal betrifft ihn nicht mehr. Das ist abgehakt. Doch Bilder im Fernsehen und Fotos von damals - gerade aus dem Elbe-Saale-Winkel - die machen den Schönebecker heute betroffen. Denn dort ist vielerorts das Leid noch nicht zu Ende.

Das spricht für den Zusammenhalt. So tragisch das Hochwasser auch war, es hat die Solidarität in der Region gestärkt. Das ist ein Stichwort für den 46-Jährigen. "Die ganze Zeit über herrschte damals eine enorme Verbundenheit", sagt er. Ob Jung oder Alt, jeder half, wo er konnte. "Das war toll und beeindruckend", sagt der Fotograf, der seinen Job damals ruhen lassen musste. Sandsackschippen und -stapeln hatten Priorität. Heute erhält die Arbeit wieder den Vorzug. Und: Gunnar Thermann blickt wieder mit Freude auf seine Elbe - der er selbst beim Hochwasser nicht den Rücken zukehren konnte.