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DDR-Missionen Sachsen-Anhalt griff in Brüssel zu

Hunderte Immobilien von DDR-Vertretungen waren 1990 überflüssig. Manche sind aber heute noch in Nutzung.

Von Steffen Honig 04.08.2020, 01:01

Brüssel l Am schönsten ist es im Garten. Eingefasst vom umgebenden Wohnquartier, bietet das grüne Refugium Gelegenheit für jedwede Meetings in überschaubarem Format. Wenn es nicht gerade regnet, was es in Brüssel ziemlich häufig tut. Dann aber bietet sich der Saal im Erdgeschoss der sachsen-anhaltischen Landesvertretung bei der EU am Boulevard St. Michel 78 als ein geeigneter Ausweichplatz an. Das 200-Plätze-Gelass im Erdgeschoss ist der zweite Pluspunkt des nüchternen Zweckbaus aus den späten 1960er Jahren.

Nur zu spät darf es nicht werden. Wegen dem Lärmschutz für die angrenzenden Wohnbauten sind abendliche Konferenzen nach belgischem Recht verboten.

Die DDR hatte im Dezember 1972 diplomatische Beziehungen zum Königreich Belgien aufgenommen. Am Boulevard St. Michel in der Brüsseler Oberstadt nahe der wichtigsten EU-Gremien war die Botschaft eingerichtet worden. Gespickt mit reichlich geheimer Elek­tronik, um die Nato und andere in der belgischen Hauptstadt ansässige westliche Führungszentralen abzuhören.

Nach der Wende stand der Block leer und verfiel zusehends. Die ostdeutschen Interessen mussten nun die Länderregierungen vertreten. Sachsen-Anhalt stand als erstes Land auf der europäischen Matte in Brüssel und richtete 1992 ein Verbindungsbüro ein. Um ihre Interessen zu bündeln, taten sich Brandenburg, Mecklenburg, Sachsen und Sachsen-Anhalt zusammen. Die vier Länder erhielten 1994 das Anwesen vom Bundesfinanzminister per so genannter Vermögenszuordnung. Die Verbindungsbüros zogen in das abgenutzte Botschaftsgebäude ein.

Bald stand fest: Nach 1999 sollte saniert werden. Über die Kosten und die künftige Nutzung des Blocks allerdings geriet das ostdeutsche Quartett derart in Streit, dass nichts mehr zusammenlief. Seit November 2000 stand das Haus leer. Das Sachsen-Anhalt-Büro zog in ein Nebengebäude um. Unterdessen gammelte die frühere diplomatische Vertretung weiter vor sich hin.

Erst als sich Sachsen-Anhalt bereiterklärte, die DDR-Hinterlassenschaft allein zu übernehmen, gab es neue Bewegung am Brüsseler Boulevard. Sachsen-Anhalt fand die drei anderen Länder mit je 826 000 Euro ab.

Es ging voran: Beim Bau und damit natürlich auch bei den Kosten. Die kletterten von gut fünf auf acht Millionen Euro. Das zeitigte neuen Streit – innerhalb der sachsen-anhaltischen Politik. Dennoch wurde umgebaut.

Die neue Nutzungsidee hatte ihren Charme: Sie sah neben der Präsenz Sachsen-Anhalts in dem Ziegelbau die Aufnahme von regionalen Vertretungen aus anderen europäischen Regionen vor.

Am 18. September 2006 eröffnete Sachsen-Anhalt seine neue Landesvertretung bei der Europäischen Union als „Zentrum der Regionen – Boulevard Saint Michel“. Seither beherbergt das frühere Botschaftsgebäude auf drei Etagen die Landesvertretung Sachsen-Anhalts, das Büro Mecklenburg-Vorpommerns und den Sitz des Netzwerks der europäischen Chemieregionen.

Es herrscht Fluktuation im Hause. Die spanische Region Valencia, ehedem hier präsent, hat sich verabschiedet. Neue Mieter sind der Landeskasse willkommen.