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DDR-Tanz Im Lipsi-Schritt tanzte keiner mit

1959 verordnete die DDR-Führung Bürgern einen neuen Tanz - den Lipsi, der zum Scheitern verurteilt war. Eine Spurensuche in Magdeburg.

Von Bernd Kaufholz 19.01.2019, 00:01

Magdeburg l Schritt mit dem linken Fuß nach links. Schritt mit dem rechten Fuß nach rechts. So beginnt das Leipziger Tanzlehrer-Ehepaar Seifert im „Augenzeugen“-Filmchen, Ausgabe 2/1959, den Tanz, der zum Renner in der DDR und somit in der Welt werden sollte.

Der Lipsi war ein Auftragswerk an den Komponisten René Dubianski, der den SechsViertel-Takter kreierte. Christa und Helmut Seifert erfanden die Schritte dazu. Das Ehepaar erhielt als Anerkennung dafür 1959 den Kunstpreis der DDR.

Das erste Mal vorgestellt wurde der Lipsi – benannt nach den Herkunftsorten der drei Erfinder Lipsiens (der Leipziger) – auf der Tanzmusikkonferenz im brandenburgischen Lauchhammer. Hintergrund war, dass sich die DDR von westlichen Musikmoden – der Rock’n’Roll war schwer angesagt und der Twist im Anmarsch – bedroht fühlte. Was Walter Ulbricht, 1. Sekretär des Zentralkomitees der SED, gut fünf Jahre später, im Jahr 1965, auf dem 11. Plenum des ZK der SED mit zwei Sätzen auf den Punkt brachte: „Ist es denn wirklich so, dass wir jeden Dreck, der vom Westen kommt, nu, kopieren müssen? Ich denke, Genossen, mit der Monotonie des Je-Je-Je, und wie das alles heißt, ja, sollte man doch Schluss machen.“ Zielrichtung war die westliche Rockmusik, und er spielte damit konkret auf das „Yeah, Yeah, Yeah“ der Beatles an.

Doch zurück zum Lipsi. Im Vorgriff darauf, dass die sozialistische Tanzmusikkreation ein voller Erfolg werden würde, meldete die DDR den Lipsi weltweit als Patent an.

Cornelia Röppnack, die als Magdeburger Tanzlehrerin in die Fußstapfen ihrer Eltern, Christa und Rolf, getreten ist, wurde gerade geboren, als der „DDR-Rock’n’Roll“ aus der Taufe gehoben wurde. „Ich kenne natürlich die Lipsi-Geschichte“, sagt sie, „aber ich wüsste nicht, dass meine Eltern jemals diesen Tanz gelehrt haben. Er spielte einfach keine Rolle.“

Auch sie selbst habe bei Veranstaltungen, die Retro sind und bei der auch Älteres getanzt wird, noch nie auf den Lipsi zurückgegriffen.

Auch die Nachfolger der Lipsi-Erfinder, Bodo und Marina Seifert, die in dritter Generation Tanzschüler unterrichten, haben nichts in den Annalen der Tanzschule gefunden, was auf den Lipsi hinweist. „Natürlich wissen wir, dass meine Schwiegereltern das Vorzeigepaar waren, wenn es um den Lipsi ging“, sagt Marina Seifert. „Aber Überlieferungen dazu haben wir nicht.“

Allerdings gebe es aus den unterschiedlichsten Anlässen immer noch die eine oder andere Anfrage, wie das mit dem Lipsi vor 60 Jahren gewesen sei, sagt Bodo Seifert. „Manche lassen sich auch die Schritte zeigen, damit sie den Lipsi, zum Beispiel bei Familienfesten, tanzen können.“

Die DDR hatte Ende der 1950er Jahre alles in die Waagschale geworfen, was die Unterhaltungsmusik des Landes zu bieten hatte. Die „Flamingos“ versuchten die Tanzfreudigen mit „Alle tanzen Lipsi“ aufs Parkett zu locken, die „Martin-Möhle-Combo“ mit „Willibalds Lipsi“. Beide Titel wurden 1959 auch auf eine Amiga-Single gepresst.

Dann wurde der DDR-Star, Helga Brauer, in den Ring geschickt: „Heute tanzen alle jungen Leute.“ Es folgten das Rundfunk-Tanzorchester Leipzig mit „Lipsi Nr. 1“ und „Messe-Lipsi“.

Warum der Paartanz nicht ankam, ist kein Geheimnis: Rhythmen und Texte hatten rein gar nichts damit zu tun, was die DDR-Jugend tanzen wollte. Der Trend ging zudem dahin, dass die Paare nicht mehr eng umschlungen übers Parkett schweben wollten, sondern lieber nach harten Beats ohne Körperkontakt tanzten.

Die Reaktion der jungen Leute ließ nicht lange auf sich warten. So skandierten zum Beispiel in Halle Jugendliche: „Wir tanzen keinen Lipsi und nicht nach Alo Koll (Komponist, Orchesterleiter und Dozent), wir sind für Bill Haley und tanzen Rock ’n’ Roll.“

Hans Bentzien, damals Mitglied der Kulturkommission beim Politbüro des Zentralkomitees der SED und Mitglied der SED-Bezirksleitung in Halle, brachte es 2006 auf den Punkt: „Der Lipsi war eine reine Propagandasache, die schnell in sich zusammenfiel und heute nur hin und wieder herausgekramt wird, weil man so herrlich darüber lachen kann.“

Den Kommentar zum Thema gibt es hier.