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Deutscher Meister Der Herr der Cocktails

Ein Wittenberger ist Deutscher Cocktailmeister und kreiert aufwendige Drinks. Für die Silvesternacht gibt er Tipps zum Mixen.

Von Elisa Sowieja 31.12.2016, 00:01

Wittenberg l Bitte, bitte blau soll er sein. Am besten cyanblau, falls es keine Umstände macht. Wenn sich der amtierende Deutsche Cocktailmeister schon bereiterklärt, eine Kreation extra für die Volksstimme-Leser zu erschaffen, dann wäre es doch schön, würde die zur Farbe der Zeitung passen. Fürs Corporate Design, wie der hippe Werbeagenturist es formulieren würde. Doch aus dieser Vorstellung wird leider nichts. „Blau ist keine Farbe bei uns“, verkündet Martin Kramer und guckt mit einer Mischung aus Entschlossenheit und Bedauern. Wie jetzt? „Blaue Drinks wirken kitschig. Und sie strahlen Kälte aus.“ Tja, na gut, dann vielleicht ein tropisches Gelb-Grün? Ein bisschen passt das auch, Grün mixt man ja bekanntlich aus Gelb und Blau ...

Bei Cocktails hat Kramer seine Prinzipien. Das gilt nicht nur für die Farbgestaltung. In seinem Laden, der „Charles Bar“ in Wittenberg, bekommen die Gäste ausschließlich selbst entworfene Drinks serviert. Wer nach einem Mai Tai oder Sex on the Beach verlangt, wird freundlich gebeten, eine Eigenkreation mit ähnlichen Zutaten zu ordern. Die heißt dann zum Beispiel „Whisper of the Forest“ – Flüstern des Waldes. Dahinter verbirgt sich eine Mischung aus Rum, Aprikosen- und Bananenlikör, Zitronensaft, Ahornsirup und Walnuss-Bitter – serviert in einem Cognacschwenker mit gezuckertem Rand, garniert mit einer gedörrten Banane, auf der sich karamellisierte Walnüsse und ein angebrannter Tannenzapfen tummeln.

Ganz schön aufwendig. Aber das ist ja auch nicht irgendein Drink. Mit ihm ist der 30-Jährige im Sommer Deutscher Meister geworden. Den Titel holte er schon zum zweiten Mal in Folge. Allein eine abgefahrene Kreation reicht dort allerdings nicht, um aufs Siegerpodest zu kommen. Gefordert wird zum Beispiel auch, dass man Ginsorten am Geschmack erkennt, in zweieinhalb Minuten sechs Drinks mixt und zu Cocktails, von denen der gemeine Caipi-Schlürfer noch nie gehört hat, das Entstehungsjahr kennt. Kurzum: Man muss ein ausgemachter Cocktail-Nerd sein. Wer mit Martin Kramer am Tresen einen Plausch über seinen Job hält, der merkt schon nach wenigen Minuten: Er ist der Inbegriff dieser Bezeichnung.

Seine Schlagzahl an Erklärungen, Zahlen, Regeln ist so hoch, dass man öfter mal „Stopp“ rufen muss, um mit den Notizen hinterherzukommen. Und dann die Schlenker: Eben noch ging‘s um einen Mokka-Cocktail, plötzlich spricht er von Rockkonzerten – ein Vergleich, um die Funktion einer der Zutaten zu verdeutlichen. Gut zuhören kann man ihm trotzdem. Schon deshalb, weil er ständig etwas zum Zeigen herbeischafft: Ein Palmblatt, das er mit Minzlikör betreufelt. Ein Stück Orangenschale, das er ansengt.

Blut geleckt in Sachen Cocktailmixen hat der Wittenberger vor rund zehn Jahren in einer Bar in Erfurt, wo er nach der Ausbildung zum Restaurantfachmann anheuerte. Deren Chef war in seiner Zunft sogar schon Weltmeister. Später guckte sich Kramer noch Cocktail-Kniffe bei Kollegen in Nürnberg und Mainz ab, bevor er 2014 seinen eigenen Laden eröffnete.

Die Cocktails in der „Charles Bar“ sind nicht nur wegen der vielen Komponenten aufwendig. Manche Spirituosen werden vorab sogar mit raffinierten Verfahren verfeinert. Einem Mix aus Gin, Campari und Wermut etwa verpasst Kramer, bevor er seinen Drink daraus macht, Noten von Holz und Whiskey: Er lagert ihn bis zu sechs Monate lang in einem kleinen Eichenfass, in dem zuvor Burbon reifte. Und den Rum für einen Gingerbier-Cocktail veredelt er, indem er ihn in einer speziellen Trichterkonstruktion ganz langsam über gedörrte Bananen tropfen lässt und dann wieder auffängt.

Außergewöhnlich sind auch so manche Zutaten, die der Wittenberger in seine Drinks gibt: Kirschkonfitüre, Balsamicocreme, sogar Parfüm. Keine Angst, Letzteres wird nicht ins Glas gekippt. Martin Kramer besprüht damit einen Wattebausch, den er ans Glas klemmt, und nimmt die Duftnoten – wie Vanille und Mandarine – im Getränk wieder auf.

„Man kann eigentlich alles für Drinks verarbeiten“, behauptet der Barchef, während er einen Wattebausch zum Testschnuppern mit einem süßlichen Duft ansprüht. Ganz sicher? Selbst, sagen wir mal, Salami? „Klar!“, erwidert er kühn und improvisiert ohne zu überlegen ein Rezept: Einfach die Salami in viel Fett anbraten, dann das Fett mit Burbon mischen und das Gemisch zwei Tage lang ziehen lassen, zum Erhärten in den Kühlschrank stellen, danach das feste Fett abschöpfen – et voilà, hat man einen Whiskey, der nach Salami schmeckt!

Wer nun blutiger Anfänger ist, der zu Silvester einfach nur mal Barmann spielen will, der muss freilich nicht gleich die Wurstdose aus dem Kühlschrank kramen. Experimentieren lässt es sich auch mit gängigen Zutaten sehr gut, sagt Kramer. Man sollte nur ein paar Regeln beachten: „Wichtig ist, dass man auf Qualitätsprodukte setzt, vor allem bei den Spirituosen.“ Auch sollten die Zitrussäfte unbedingt frisch gepresst sein.

Nun zu den Kombinationen: Grundsätzlich, erklärt der Fachmann, gehören in einen Cocktail drei Gruppen von Getränken: Spirituose, Likör und Saft. Doch woher weiß ich, welche Frucht zu welchem Schnaps passt? „Gut ist, wenn man den Geschmack der Spirituose in den Drink einbindet. Die Wachholder-Note im Gin wird zum Beispiel gut ergänzt durch Cranberry und Brombeere. Rum kann man mit Ananas und Pfirsich kombinieren. Tequila passt zu Säure.“ Ach ja, und auch, wenn so viel Schnaps auf dem Wohnzimmertisch verführerisch wirkt: Bitte nicht mehr als acht Zentiliter ins Glas kippen.

Wer lieber auf das Kombinationsgespür des Deutschen Meisters setzt, der findet hier (in der Bildergalerie) Kramers Rezept für den Volksstimme-Sektcocktail. Wie besprochen in Gelb-Grün. Ist wahrscheinlich auch sicherer. Nach der Nummer mit der Salami, wer weiß, woher er sonst die blaue Farbe genommen hätte? Vielleicht von Schlumpfeis oder Streifenzahnpasta.