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Krematorium Der letzte Weg dauert 60 Minuten

Der Tod gehört für das Team des Quedlinburger Krematoriums zum Berufsalltag. Ein Blick hinter die Kulissen.

Von Emily Engels 26.11.2017, 00:01

Quedlinburg l Das Ofenportal öffnet sich. Vorsichtig legt die Einfahrmaschine den Holzsarg in dem glühend heißen Flachbettofen ab. Innerhalb weniger Sekunden ist er vollständig von Flammen umhüllt. Das Tor schließt sich wieder. Dieser Vorgang, den die Mitarbeiter der Feuerbestattungen Quedlinburg GmbH als „Übergabe an das Feuer” bezeichnen, dauert nur wenige Sekunden.

Das Quedlinburger Krematorium ist kein trostloser Ort. Im Gegenteil. Die Wände sind in warmen Orangetönen gehalten, Kerzenschein und kleine Lichtpunkte an der Decke sorgen für ein angenehmes Dämmerlicht.

An den Wänden stehen Schlagwörter, die das Thema Sterben umreißen – mit all den Gefühlen, die Menschen damit assoziieren: „Angst, Hoffnung, Liebe, Würde, Trauer, Abschied, Trost.“ „Wir wollen den Menschen die Angst nehmen, dass das Krematorium ein düsterer, unpersönlicher Ort ist”, erklärt Kremationstechnikerin Anja Windel. Ihre Stimme ist ruhig, die Wörter wählt sie bedacht, während sie über den Tod spricht.

Ein Bestatter fährt sein Fahrzeug rückwärts an den Eingang des Krematoriums heran. Anja Windel und ihr Kollege Nils Herrschaft begrüßen ihn, nach der Übergabe einiger Dokumente wird der Sarg des Verstorbenen in den Klimaraum gebracht. Für Windel und Herrschaft eine tägliche Routine. Im Kühlraum bleibt der Körper bis zur Feuerbestattung. „In der Regel findet die Einäscherung bei uns dann innerhalb von drei Tagen statt”, erklärt Anja Windel.

Sie selbst arbeitet seit Juli 2014 im Krematorium. Bis zu dem Zeitpunkt war ihr das Thema völlig fremd. „Aufmerksam geworden bin ich auf den Beruf über eine Anzeige in der Zeitung”, sagt sie. Wie alle Mitarbeiter absolvierte sie eine Weiterbildung zur Kremationstechnikerin.

Dass sie einen ungewöhnlichen Beruf hat, bestätigt sich vor allem an den Reaktionen anderer. „Wenn ich in einem Gespräch erstmals erzähle, wo ich arbeite, ist die Neugierde grenzenlos. Meine Mitmenschen möchten dann genau erfahren, wie es bei uns abläuft”, beschreibt sie. Nach einem anfänglichen Schock werde man regelrecht mit Fragen gelöchert, bestätigt auch Nils Herrschaft.

Dass das Interesse am Thema Feuerbestattungen vorhanden ist, bestätigen nicht nur die Fragen der Mitmenschen, sondern auch die Besucherzahlen – beispielsweise am Tag der offenen Tür, der jährlich im Krematorium stattfindet. „Wir haben an diesen Tagen durchschnittlich 300, manchmal auch bis zu 500 Besucher”, so Anja Windel. Dabei handelt es sich um alle Altersgruppen, auch Schulklassen besuchen das Krematorium.

Vom Erdgeschoss, dem Empfangsbereich des Krematoriums, geht es einige Etagen nach unten. In einem Vorraum werden die Särge über zwei Ofenportale dem Feuer übergeben. Öffnet man die Tür zur Maschinenhalle, sieht man die beeindruckende Technik, die dahinter steckt.

Da stehen zwei riesige Flachbettöfen, in denen die Einäscherungen stattfinden. Doch den allergrößten Teil des Raumes füllt ein riesiges Filtersystem, zahlreiche große Rohre sind zu sehen. Nachdem der Rauch verschiedene Filterprozesse durchlaufen hat, steigt er aus einem langen Schornstein, der auf dem Quedlinburger Zentralfriedhof schon von weitem zu sehen ist, in den Himmel.

Alle Prozesse, die während der Einäscherung stattfinden, werden kontinuierlich überwacht. Auf mehreren Monitoren in der Leitwarte sehen die Mitarbeiter unter anderem den jeweiligen Fortschritt der Kremierung.

Was in den Öfen genau passiert, erklärt Ronny Strauß, Teamleiter Technik. Nach der Übergabe an das Feuer dauert die Einäscherung in der Hauptbrennkammer zwischen 60 und 80 Minuten. Dass es hier zwischen 750 bis 1100 Grad heiß ist, spürt man im gesamten Raum.

Danach muss der Flachbettofen geräumt werden, die sterblichen Überreste – etwa drei Kilogramm Knochenasche – werden in die Mineralisierungskammer geschoben und bleiben dort, bis sie vollständig aus dem Ofen entfernt werden. Ronny Strauß und seine Kollegen arbeiten jeweils zu zweit in der Schichtarbeit, zwischen 6.30 Uhr morgens bis 20 Uhr abends – bei Bedarf auch mal länger. Im Schnitt finden in Quedlinburg jährlich etwa 5500 Feuerbestattungen statt. Der Teamleiter hat ursprünglich das Maurer-Handwerk gelernt und war danach sieben Jahre im Ofenbau tätig, bis er den Arbeitsplatz im Krematorium bekam. Von seiner Arbeit hier spricht er – wie alle seine Kollegen – unaufgeregt, aber stets gemischt mit einer großen Portion Respekt. Während Ronny Strauß in seinem Berufsalltag täglich mit Verstorbenen zu tun hat, rettet er in seiner freien Zeit als Feuerwehrmann Menschen in größter Not. „Der Umgang mit dem Tod gehört daher für mich zum alltäglichen Leben dazu“, meint er.

Insgesamt drei Stunden verstreichen von der Übergabe des Verstorbenen ans Feuer bis zu der versandfertigen Aschekapsel. Diese sind schwarz und schlicht. „Die Angehörigen suchen sich dann beim jeweiligen Bestatter noch eine Schmuckurne aus“, so Anja Windel. Denn die fertigen Aschekapseln werden nach der Kremierung wieder zurück an den Bestatter übergeben. Die Aufgabe des Krematoriums ist mit der Übergabe erfüllt.

Wie fühlt es sich an, täglich mit Verstorbenen, mit dem Thema Trauer, Tod und Abschied zu tun zu haben? „Es wird einem wirklich bewusst, wie endlich das Leben sein kann”, sagt Nils Herrschaft. Er ist der Ansicht, dass in unserer Gesellschaft noch immer ein Ungleichgewicht herrscht, wenn es um das Leben und den Tod geht. „Wenn ein Mensch geboren wird, gibt es mehrere Feiern rund um den Geburtstermin, um dieses neue Leben zu begrüßen”, sagt er. Versterbe ein Mensch hingegen, gebe es oft noch eine gesellschaftliche Blockade.

Doch er und seine Kollegin Anja Windel beobachten, dass es auch hier langsam einen Wandel gibt. Bestattungen werden individueller, bunter – und auf keinen Fall weniger würdevoll und stilvoll. Im Gegenteil. Sie gehen mehr auf die Wünsche der Angehörigen ein – das fängt bereits bei der Feuerbestattung an.

So können Angehörige eines Verstorbenen in Quedlinburg beispielsweise bei der Übergabe an das Feuer mit dabei sein - wenn sie möchten. Denn, so Anja Windel weiter: „Jeder Mensch trauert schließlich anders – und jeder nimmt so auch auf eine andere Art und Weise Abschied von einer geliebten Person.” Durch ihren Beruf hat sie sich auch persönlich weiterentwickelt: „Ich habe durch meine Arbeit hier gelernt, dass der Tod zum Leben dazugehört und ich möchte mit meiner Arbeit dazu beitragen, alle Verstorbenen einen würdevollen letzten Weg gehen zu lassen.“

Nils Herrschaft ergänzt: „Man muss den Menschen respektieren, ihm gegenübertreten. Wir differenzieren da nicht zwischen einem Lebenden oder Verstorbenen.”

Am Totensonntag laden die Feuerbestattungen Quedlinburg von 10 bis 16 Uhr zum Tag der offenen Tür in ihre Räumlichkeiten im Badeborner Weg 15, direkt auf dem Zentralfriedhof in Quedlinburg ein.